Zwischen Fakt und Fiktion

Bret Easton Ellis ist durch American Psycho bekannt: Auch in seinem neuen Roman The Shards geht ein Serienmörder um – der eine Clique reicher Jugendlicher terrorisiert. Den Spagat zwischen autobiographischer Coming-of-Age-Story und fiktivem Psychothriller bewältigt Ellis wackelig.

Von Marie Bruschek

Bild: via Pixabay, CC0

Eine fiktionalisierte Autobiographie, die Coming-of-Age-Ästhetik mit der Paranoia um einen Serienmörder verbindet – so könnte man Bret Easton Ellis’ neuen Roman The Shards (deutsche Übersetzung: Stephan Kleiner) beschreiben. Im L.A. der frühen 80er-Jahre durchlebt eine Gruppe von Teenagern in ihrem letzten Jahr an der Highschool eine Reihe an Traumata. Ellis scheint hier sein Debüt Unter Null mit seinem Magnum Opus American Psycho zu verbinden. Ergebnis ist ein über 700 Seiten langer Roman – der erste, den er seit 13 Jahren veröffentlicht hat. Was dabei herauskommt, ist eine waghalsige Balance zwischen dem retrohaften Glamour L.A.s, der Lebensrealität privilegierter junger Erwachsener, etlichen Drogen und der immer größer werdenden Bedrohung durch einen Serienmörder und eine aggressive Sekte.

Reichtum, Ennui, Jeunesse dorée

Protagonist Bret Ellis – natürlich nach dem Autor selbst benannt – wird in die Welt der Oberschicht geboren. Koks, Gras, Valium und Quaaludes gehören zum Alltag der Freundesgruppe dazu, ebenso wie eigene Autos. Auf dem Parkplatz der exklusiven Buckley, einer teuren Highschool, stehen Mercedes, BMW und Porsche nebeneinander, mit denen am Nachmittag nach Malibu und am Wochenende nach Palm Springs gefahren wird. Die Eltern – in eigene Dramen verwickelt – lassen ihre verwahrlosten Kinder auf die Stadt los. Dazu beschreibt der Ich-Erzähler im Detail, mit welcher Musik, mit welchen Filmen, welchen Büchern sich die Clique befasst: So taucht die Leser:innenschaft völlig in ein vergangenes, an Joan Didion und Eve Babitz erinnerndes Los Angeles ein. Schon dafür lohnt sich die Lektüre des Romans, der ein Paradies aus popkulturellen Referenzen ist.

»Wir waren Teenager, die sich mit Sex und Popmusik beschäftigten, mit Filmen und Prominenten, mit Lust und kurzlebigen Phänomenen und unserer eigenen neutralen Unschuld.«

Diese scheinbar heile Welt bröckelt Stück für Stück auseinander, als ein neuer Schüler die Clique rund um Bret infiltriert. Der gutaussehende Robert Mallory wird schnell beliebt, während zeitgleich der als Trawler bezeichnete Serienmörder immer näher an die Jugendlichen heranrückt. Einen wirklichen Plot gibt es nicht. Ab Mallorys Ankunft an der Buckley lädt uns Bret vielmehr dazu ein, mit ihm das Senior-Jahr gemeinsam zu erleben. Der Spannungsbogen ist langsam, streckt sich schließlich über mehrere Monate, und ist vielmehr eine Spirale aus Paranoia, in der sich Bret Stück für Stück verliert. Seine feste Freundin Debbie bleibt unbesorgt, ebenso wie das Traumpaar Thom und Susan, die laut seiner Erzählung zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um Augen für die Gefahr zu haben.

Dazu verheddert sich der eigentlich schwule Bret immer mehr in Lügen: Das sexuelle Verhältnis zu Matt Kellner, dem inzwischen ermordeten Außenseiter, muss er geheim halten, ebenso wie die Affäre mit Filmmogul Terry, dem Vater Debbies. Explizit beschriebener Sex gehört ebenso zu Brets Bericht dazu, wie Robert Mallory nach der Schule durch die Canyonstraßen und Freeways zu folgen. Ob er das aus Verliebtheit oder Skepsis gegenüber ihm zum Ritus gemacht hat, weiß der 17-Jährige selbst nicht genau. Dass noch dazu die Sekte der sogenannten Riders of Afterlife in L.A. ihr Unwesen treibt, gibt der bereits gesättigten California-Noir-Ästhetik auch noch Charles-Manson-Vibes.

Wem kann man trauen?

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Bret Easton Ellis
The Shards

Übers. von Stephan Kleiner
Kiepenheuer&Witsch: Köln 2023
736 Seiten, 28,00 €

The Shards ist nicht bloße Fiktion, sondern baut auf der Biografie des Autors auf. Der Alltag der Charaktere, ihre Persönlichkeiten und die Intermedialität zwischen Musik, Kunst, Literatur und Film wirken real, aus dem Leben von Bret Easton Ellis gezogen. Vor- und Nachwort des Romans betonen die gespielte Authentizität – was wirklich echt und was erfunden ist, verrät der Autor nicht, der schon bei Lunar Park pseudo-autobiographisch arbeitete.

Doch diese biographischen Aspekte vermischen sich etwas holprig mit den Krimi-Elementen. Der Trawler löst in Bret wachsende Ängste aus, als unzuverlässiger Erzähler zieht er seine Leser:innen in zunehmend wachsende Paranoia und Isolation. Was Ellis auf über 700 Seiten ausgebreitet hat, fühlt sich angesichts der Klimax unbefriedigend an. Das hätte auch auf 400 Seiten funktioniert. Sich herabzulassen, die etlichen offenen Fragen zu beantworten, dazu sind weder Autor noch Hauptfigur bereit.

Wirklich sympathisieren kann man mit den reichen Sprösslingen nicht, doch Ellis’ gekonnter Schreibstil und die aufgebaute Welt kreieren eine immersive Geschichte. Der Erzählfluss dümpelt hier und da vor sich hin, aber gerade die Szenen mit Gruselfaktor lassen ihre Leser:innen mit erhöhtem Puls zurück. Wenn Ellis eines kann, dann ist es, sein Publikum zu schocken. Unfreiwillig verliert sich dieses mit Bret zusammen im Jahr 1981, erlebt seine Traumata und kann – und darf – nicht damit aufhören, sich simultan zu fragen: Wo hört Fakt auf und wo fängt das Lügengewirr Brets an? Den unzuverlässigen Erzähler beherrscht Ellis mit aller literarischen Geschicktheit.

Scherben und Abgestumpftheit

Der Titel The Shards – übersetzt: Die Scherben – ist genau das, womit Leser:innen und Figuren am Ende zurückgelassen werden. Ist die Welt der 17-Jährigen zwar von Anfang an durch Bruchstellen gekennzeichnet, halten sich die meisten von Brets Freund:innen für unverwundbar, er selbst bezeichnet sie oft als »griechische Götter im Teenageralter«. So wie im Showdown Fenster zerschlagen werden, zerschmettert der Trawler die scheinbar heile Welt. Er ist Symbol dafür, wie fragil die Illusion der Romantik rund um L.A. und der starken und mutigen Jugend eigentlich ist.

An den Scherben schneidet sich jedoch niemand, da Apathie zum gemeinsamen Motto aller wird. Königin der Teilnahmslosigkeit ist Susan, über die Bret schreibt: »Susan Reynolds und ihre Abgestumpftheit – die ich von ihr entlieh und die zum ästhetischen Grundprinzip meiner Werke wurde«. Gewidmet ist der Roman trotzdem nicht der Muse Susan, sondern: niemandem. Fehlt es hier und da an Substanz, scheint doch genau dieser Mangel das Lebensgefühl Brets einzufangen.

Metaebene beherrscht Ellis auch. Nicht nur thematisiert er oft den eigenen Debütroman Unter Null, Bret bezeichnet sich zudem regelmäßig als Autor, der eine Erzählung strickt. Da heißt es dann »Aber ich war ein Geschichtenerzähler, und es gefiel mir, einen ansonsten gewöhnlichen Vorfall […] auszuschmücken […]. Es waren keine richtigen Lügen – ich bevorzugte nur die übertriebene Version«, oder »Plötzlich dachte ich: Als Autor hört man ständig Dinge, die gar nicht da sind«. Somit lässt der Thriller sich auch als Geschichte eines jungen Autors lesen, der sich in seiner Fantasie verliert und daran scheitert, die Fassade des typischen heterosexuellen Teenagers aufrechtzuerhalten – und so in Angstzustände abrutscht. Dass er gerade den als Übeltäter verdächtigt – nämlich Robert Mallory – der ihn mit einem bloßen Lächeln erregen kann, versteckt Bret nicht.

Mit The Shards beweist Bret Easton Ellis, dass er auch dreizehn Jahre später noch immer schreiben kann. Auch wenn der Roman nicht das neue Meisterwerk Ellis’ ist, gelingt es ihm dennoch, seine Leser:innen mit auf eine Zeitreise zu nehmen. Das Spiel mit Fakt und Fiktion ist ein dünner Grat, den Ellis zu meistern versucht. Letztlich lohnen sich ganze 736 Seiten, um diesen – etwas holprigen – Balanceakt zu beobachten.

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