Zeit für Tauwetter

Corona hat uns alle verändert. Im Negativen wie im Positiven. Manche sind bescheidener geworden, die meisten einsamer, manche übergewichtig, manche glücklich mit den einfachen Dingen und manche depressiv. Zeit für Pandemie-Tauwetter!

Von Lisa Neumann

Bild: Via Pixabay, CC0, bearbeitet

Zwei Jahre studentischer, kollektiver Einsamkeit

Hätte mir jemand vor fünf Jahren prophezeit, dass ich mich als weiße cis-Frau in diesem Land mal politisch vernachlässigt und wütend fühlen würde, so hätte ich vermutlich gelacht und mit »Als ob« oder »Ja, klar« geantwortet. Dann kam Corona. Eine Pandemie, in der wir als Studierende oftmals vernachlässigt wurden. Beinahe vergessen. Man »arbeitet« nicht, also existiert man in dieser Gesellschaft plötzlich auch nicht mehr: Eine Generation, die bei zwei Jahren nahezu allein im Home Office mal nicht meckern solle, denn uns ginge es ja materiell ganz gut. Und seelisch? Darüber herrscht nach wie vor zu großes Schweigen. Ja, die Infektionszahlen sind zurecht wiederkehrendes Gesprächsthema, aber vielleicht könnte man auch mal über den gravierenden Anstieg psychischer Krankheiten gerade unter jungen Menschen während der Pandemie-Isolation sprechen. Und ja, die Maßnahmen waren notwendig. Aber das Schweigen und Unverständnis, das uns Studierenden oftmals entgegengebracht wurde während all dieser Zeit, war es sicherlich nicht.

Frühlingskolumne

Der Frühling ist endlich da – und weckt bei den Litlog-Autor:innen ganz unterschiedliche Assoziationen. In guter Tradition der Sommerkolumne betrachten wir in unserer neuen Reihe die Jahreszeit in all ihren Facetten. Alle Beiträge findet ihr hier.

Wenn ich an jene Zeit zurückdenke, denke ich an die seelischen Narben, das Sich-Zurückziehen und Wieder-einmal-für-ein-Wochenende-nach-Hause-zu-den-Eltern-Fahren bei mir selbst und in meinem Freundeskreis. Das Gefühl, im Sumpf zu waten und immer weiter zu versinken, anstatt voranzukommen. Den Kopf hochzuhalten, wenn das schlammige Wasser bereits bis zu den Schultern steht. Gehe ich dieses Frühjahr raus in den Park, ist die Sonne auf meiner Haut wie ein verlockendes Versprechen von ›Normalität‹. Falls man das so nennen kann. Zurück in ein Leben mit Präsenz-Uni und immer mehr ohne Masken, das uns so fremd geworden ist wie eine Verwandte, die man seit Jahren nicht mehr getroffen hat. Die Sonne und ihre Wärme erinnern mich daran, dass wir leben. Und das heißt leider auch leiden. Aber bald vielleicht nicht mehr so sehr.

Einsam, aber nicht allein

Als Leser:in mag man sich vielleicht denken: Warum kommt dieser Text jetzt? Oder: erst jetzt? Ganz einfach: Wenn man mitten im Sumpf steht, ist man nur mit einer Sache beschäftigt – nicht zu versinken; die Personen, die einem nahestehen und mit denen man zusammen durch diese einsame Zeit geht, an den Armen zu packen und festzuhalten, so gut man eben kann. Denn eins ist mir in dieser Zeit trotz all der Einsamkeit besonders bewusst geworden: Man watet nie allein durch den Morast. Und auch die Menschen, die gerade oder generell höher am Ufer der Gemütslage stehen, haben eine:n nicht vergessen.

Und jetzt? – Drei Fragen

Was ich mir also in der Pandemie gewünscht hätte? Mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dass Präsenzlehre bei einer Impfquote von über 90 Prozent laut einer Stud.IP-Umfrage unter Studierenden an der Uni Göttingen schneller wieder in den Fokus rückt beziehungsweise Hybridlehre auch konsequent durchgeführt wird. Das Gefühl, als Studierende nicht vergessen zu werden. Was ich vermisst habe? Abende, an denen man zusammen sitzen und gemeinsam über die Absurdität dieser Welt lachen kann, Umarmungen, den Geruch anderer Menschen, zu wissen, wie ihre zweite Gesichtshälfte unter der Maske wirklich aussieht. Was ich nicht mehr erleben möchte? Online-Gruppenarbeiten, bei denen außer zwei Personen niemand was sagt; jeden Tag im Café sitzen, weil das die einzige Möglichkeit ist, zumindest etwas am Alltagsleben teilzuhaben. 

Jetzt ist Zeit für Tauwetter. Zeit für Umarmungen. Zeit, wieder auf den Campus, ins Kino und vielleicht auch mal feiern zu gehen. Zeit für Hoffnung, dass wir die Pandemie trotz ihrer Widrigkeiten bald überstanden haben. Dass der Sumpf austrocknet. Dass die Sonne scheint und man sie draußen, unter Menschen im Park, auf der Haut spüren kann.

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