Zeit für Lyrik und »Bücher der Stunde«

Das Literarische Zentrum stellt sein Frühjahrsprogramm vor. Literaturvermittelnde Formate und Diskussionen stehen ebenso auf dem Plan wie Grenzen auslotende Lyrik, politische Sachbücher und aktuelle Romane – überwiegend von Autorinnen.

Von Svenja Brand und Lisa Marie Müller

Bild: Lisa Marie Müller

Während Göttingen tief verschneit und winterlich kalt noch nicht viel von Frühling erahnen lässt, präsentieren am 18. Januar im Literaturhaus Zentrumsleiterinnen Gesa Husemann und Anna-Lena Markus zusammen mit Marisa Rohrbeck (Junges Literarisches Zentrum), Amelie May (Festivalverantwortung »an|grenzen«) und den Volontärinnen Lotte Aden und Lea Taube mit viel Elan das aktuelle Frühjahrsprogramm.

»Wir lieben Lyrik«

Am 6. Februar startet der Zentrumsfrühling und mit ihm ein Bekenntnis des Literarischen Zentrums zur Lyrik: Lina Atfah und Jan Wagner lesen auf Arabisch und Deutsch aus ihren jeweils letzten Gedichtbänden und sprechen im Rahmen des Projekts »Weiter schreiben«, das im Exil lebende Schriftsteller:innen fördert, über ihre Texte. »Wir lieben Lyrik«, lassen die Organisatorinnen während der Pressekonferenz dann auch verlauten, und das zweitägige »Lyrikspektakel« im Rahmen der Festivalreihe »an|grenzen« im April verleiht dem Nachdruck. Um Lyrik im digitalen Zeitalter wird es dabei gehen, um Fragen der Genregrenzen und der Möglichkeiten, diese zu sprengen: Mit Performances, Videoinstallationen, im Raum virtueller Realität oder in gebärdeter Form. Mit den Stipendiat:innen des Förderprogramms SchreibZeit der Stiftung Niedersachsen Katia Sophia Ditzler, Giorgio Ferretti, Ozan Zakariya Keskinkilç und Inana Othman ist ein bewusster »Ausnahmezustand« geplant, der das Wesen von Lyrik abseits von formalnüchternen Analysen auf der Grundlage von Jambus und Daktylus zur Diskussion stellen soll, wie Festivalverantwortliche Amelie May erklärt.

Bücher der Stunde

Auch für drei aktuelle Sachbücher, allesamt »Bücher der Stunde«, wie Anna-Lena Markus meint, bietet das Literarische Zentrum eine Plattform. Jonas Schaible verhandelt in seinem Buch Demokratie im Feuer Fragen von demokratischer Mitbestimmung und Freiheit im Zeichen notwendigen Klimaschutzes und entwickelt den Gedanken einer »wehrhaften Klimademokratie«. Ebenfalls mit Demokratie beschäftigen sich im März Volker Heins und Frank Wolff: In ihrem Buch Hinter Mauern analysieren sie die Gefahren, denen sich freiheitlich-liberale Gesellschaften im Inneren aussetzen, wenn sie sich nach außen hin durch Gewalt und Grenzen abschotten – etwa gegen Migration. Teresa Brücker, wichtige Stimme des gesellschaftspolitischen Online-Formats »Die feministische Presserunde«, befasst sich in ihrem ersten Sachbuch Alle_Zeit, für das sie 2023 mit dem NDR Sachbuchpreis ausgezeichnet wurde, mit Fragen rund um die Ressource Zeit: Wie gehen wir mit Zeit um? Und wer hat überhaupt Zeit?

»Eine Powerfrau nach der anderen«

Um »Bücher der Stunde« geht es auch im genuin literarischen Programmbereich – und um »eine Powerfrau nach der anderen«, so Gesa Husemann. Am 15. Februar spricht WDR-Moderatorin und Journalistin Mona Ameziane bei einer Buch-Lounge mit Autorin Paula Fürstenberg, deren zweiter Roman Weltalltage am 8. Februar erscheint, und Moderatorin Ninia LaGrande über gesellschaftspolitische Themen, aber vor allem über Literatur. Mit Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan und ihren neuen Roman über das Erwachsenwerden Verpuppt trifft am 20. Februar Elke Schmitter zusammen, die im vergangenen Jahr die Göttinger Anna-Vandenhoeck-Gastdozentur für Literaturkritik inne hatte. Eine Ausnahme zwischen den »Powerfrauen« bildet der Autor Fiston Mwanza Mujila, sein Roman Tanz der Teufel garantiert neue, kreativ erzählte Perspektiven auf die Auswirkungen von Kolonialisierung und Bürgerkrieg. Das Gespräch über den Roman im April soll sich um Musik und Rhythmus ebenso wie um kongolesische Geschichte drehen. Auf sehr unterschiedliche Weise setzen sich Dana von Suffrin und Inger-Maria Mahlke mit jüdischen Familiengeschichten auseinander: Im Mai geht es mit Dana von Suffrin und ihrem Roman Nochmal von vorne um den Streit und Zerfall einer Familie zwischen Deutschland und Israel, im Juni mit Inger-Maria Mahlkes Lübecker Generationenroman Unsereins um diejenigen Milieus und Menschen Ende des 19. Jahrhunderts, die von Thomas Mann in seinem großen Lübeck-Roman Buddenbrooks nicht in den Blick genommen werden: um Frauen, Angestellte, um Marginalisierte. Den Saisonabschluss bildet am 12. Juni Terézia Mora, die ihren für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Muna oder Die Hälfte des Lebens im Gepäck hat.

Barrieren abbauen

Auch das Kinder- und Jugendprogramm hält einiges bereit: Bei vier Familiensonn- bzw. -samstagen gibt es Gelegenheit schon für die Jüngsten, in Kontakt mit Literatur zu kommen. Die Kinderveranstaltungen stehen so ganz im Zeichen eines Barrierenabbaus, der, wie Husemann betont, dem Literarischen Zentrum sehr wichtig sei. Eltern und Kinder können sich auf eine Revue von Kirsten Fuchs Miesepups freuen, illustrationsreich und mit dem Anspruch, den Klimawandel für Kinder verständlich zu machen, kommt Katharina Weiss-Tuiders Expedition Polarstern daher. Im April stellt Anke Engelke ihr erstes gereimtes Kinderbuch Die neue Häschenschule vor und in Kooperation mit dem Jungen Theater werden im Mai zwei Bände der erfolgreichen Biografiereihe Little People, Big Dreams in einer szenischen Lesung auf die Bühne gebracht.

Dezidiert für Jugendliche gibt es in Schreib- und Workshop-Angeboten die Möglichkeit, selbst produktiv zu werden. Etwa beim Schreibwettbewerb #MachtText (Schüler:innen können ihre Texte noch bis zum 29. Februar einsenden), während eines Illustrationsworkshops mit Josephine Mark oder bei einer Summerschool u. a. mit Studierenden der Universität Hildesheim zur Frage, wie zeitgenössische Autor:innen eigentlich ihren Stoff recherchieren. Schulveranstaltungen nehmen in Lesungen den Iran in den Fokus (mit Autorin Atefe Asadi) oder nähern sich in einer viertägigen Schreibwerkstatt herausfordernden Themen und eigenen Geschichten (mit Schriftstellerin Nikola Huppertz).

»Auf kleinem Raum viel ausdrücken«

Nach dem offiziellen Teil gibt Husemann Antwort auf die Nachfrage, welchen Stellenwert Lyrik eigentlich habe, was Lyrik alles sein könne: Fasse man Lyrik etwas weiter als »kurze Form«, sei sie viel präsenter, als man denke. Die Lyrics von Song- oder Raptexten, auch Posts bei Twitter (heute X) oder Instagram,– das alles falle im Zweifelsfall darunter. Im Verkauf habe es Lyrik weiterhin am schwersten, auch deshalb sei es den Veranstalterinnen ein Anliegen, möglichst viel dazu zu präsentieren. Und der große Vorteil: Mit wenig Worten könne viel bewirkt werden: »Auf kleinem Raum viel ausdrücken – das ist ja Lyrik.« Die Barriere sei gar nicht so hoch, wie man denke; zu Lyrikveranstaltungen könne man einfach kommen, zuhören, wirken lassen. Mit dieser Einladung in die Lyrik endet die Programmvorstellung; eine weitere Pressekonferenz im Februar wird gesondert das Programm der Göttinger Frühjahrslese bekanntgeben, die vom 5. bis zum 7. April stattfinden wird.

Karten für alle Veranstaltungen des Literarischen Zentrums können an der Tourist-Information am Alten Rathaus, bei allen Reservix-Geschäftsstellen, an der Abendkasse und online über die Website des Literarischen Zentrums erworben werden. Studierende haben mit dem Kulturticket freien Eintritt an der Abendkasse, sofern noch Restkarten verfügbar sind.

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