Das Buch 100 Seiten Biodiversität von Jasmin Schreiber befasst sich mit Fragen zum Artenschutz, Klimawandel, der Biodiversität und ihrer Krise. Beim diesjährigen Göttinger Literaturherbst kam die Autorin mit Michael Schwerdtfeger, Doktor für Botanik und Kustos des Botanischen Gartens, zusammen, um über Biologie und den Umgang mit der Biodiversitätskrise zu sprechen.
Von Pearl Väth
Bild: Pearl Väth
Jasmin Schreiber ist am 5. Novmeber beim diesjährigen Göttinger Literaturherbst per Zoom zugeschaltet, um aus ihrem Buch »100 Seiten Biodiversität« zu lesen. Live vor Ort im Auditorium für eine anschließende Diskussion ist Michael Schwerdtfeger, Doktor der Botanik und Kustos des Botanischen Gartens in Göttingen.
Biodiversität und die Eselsdistel
Jasmin Schreiber beginnt den Abend mit einer Lesung aus ihrem Buch: Nach einem Ausschnitt über die Eselsdistel folgt das Kapitel über Endlinge, die jeweils letzten Individuen einer Art. Die Anwesenden lauschen gespannt, während Jasmin begeistert von ihrer Eselsdistel erzählt, die sie inmitten Frankfurts fand und täglich besuchte, bis sie eines Tages vom Mäher verschluckt wurde, wie so manch andere Wiesenblume:
So wie die Eselsdistel vom Rasenmäher verschluckt wurde, so wurde es auch im Auditorium immer stiller.
Doch wie kam es eigentlich zu diesem Buch? Das nur 100 Seiten umfassende Werk im Reclam-Format soll laut Schreiber nicht nur über Biodiversität informieren und den Wissensgrundstein legen, sondern auch dazu dienen, »Sachverhalte bezüglich der Biodiversität in den Medien einzuordnen.« Denn so manch eine:r kommt als Laie bei all den Begriffen durcheinander. Auf den 100 Seiten wird das Einmaleins der Biodiversität, der Wandel in der Zeit und die Bedrohung der Biodiversität erläutert. Mit persönlichen Geschichten versucht Schreiber eine emotionale Komponente einzubauen, um den Leser:innen das Thema näher zu bringen. Denn Schreiber ist der Meinung, dass »man nur schützt, was man liebt. Für die Probleme der flauschigen Koalas sind die Leute schon sensibilisiert, doch bei Schnecke, Muschel und kleineren Organismen fehlt es an öffentlicher Wahrnehmung«. Diese Erzählungen reichen von der Eselsdistel, die sie auf ihrem täglichen Spaziergang besuchte, bis hin zu Autofahrten mit dem »VW Jetta ihrer Mutter«.
Warum müssen wir uns mit Biodiversität beschäftigen?
Biodiversität ist ein Begriff, der heutzutage fast jeder:m verständlich ist. Doch es geht hierbei um mehr als nur Artenvielfalt. Der Begriff Biodiversität setze sich aus drei Ebenen zusammen: »genetischer Vielfalt, der Vielfalt an Organismen und der Vielfalt der Ökosysteme«. Biodiversität bedeutet nicht nur »die Anzahl an Individuen, spndern die Anzahl an Arten«, merkt Jasmin Schreiber an. Kurz gesagt, ist unser Ökosystem gesund, wenn die Biodiversität hoch ist. »Ein gesundes Ökosystem und eine hohe Biodiversität haben den Vorteil anpassungsfähig an sich ändernde Faktoren zu sein, wie z.B. Temperaturschwankungen«, erzählt Schreiber. Das klingt vertrauter, denn die meisten von uns wissen immerhin, dass die Biodiversitätskrise mit dem Klimawandel einhergeht. Ist unsere Biodiversität bedroht, sind unsere Ökosysteme nicht anpassungsfähig, brechen also zusammen. Es kommt zu Ernteausfällen, Wassermangel, Hitzewellen, Fluten und Artensterben.
Diese Düsterheit, die den Abend womöglich hätte überschatten können, rückt durch Michael Schwerdtfeger in den Hintergrund. Der Doktor der Botanik spricht nicht nur eifrig über die erwähnte Eselsdistel und verschiedene Pflanzen, die in der Biodiversitätskrise oftmals zu kurz kommen, sondern bringt das Publikum zum Staunen mit den mitgebrachten Tieren. Mit Schnecken, Gespenstschrecken und Tausendfüßlern bis hin zu einer Vogelspinne, die »wirklich eine ganz harmlose Art ist«, zieht er das Publikum in den Bann der Biologie. Stolz erzählt er von den 130 Arten Wildbienen, die sich im botanischen Garten über die letzten Jahre angesiedelt haben und beschreibt den Garten als »Fenster zur Natur in Mitten der Stadt«. Auch Jasmin Schreiber freut sich über die kleinen Besucher bei der abendlichen Lesung und zeigt dem Publikum über Zoom ihre große Achatschnecke, die ihre ganze Hand einnimmt. »Und vielleicht zeigen Sie so der nächsten Schnecke, die Sie in ihrem Garten begegnen, etwas mehr Milde«, sagt die Autorin.
Wozu also brauchen wir die Biodiversität? Bei dieser Frage sind sich beide einig. »Biodiversität ist ein Wert an sich. Es stört mich, begründen zu müssen, warum wir sie brauchen. Das ist ein Denken, was seit Jahren ausgestorben gehört«, betont Michael Schwerdtfeger. Was in dieser Krise benötigt wird, sei »Wissenschaftskommunikation« und »Personen mit dem nötigen Know-How«, fügt Schreiber hinzu. Denn es sei jetzt so wichtig wie noch nie, dass gehandelt wird. Durch den Abend hinweg wird vermittelt, worum es bei der Biodiversität und ihrer Krise geht. Das Publikum erhält nicht nur umfangreiche Informationen zum Thema Biodiversität und Artenschutz, sondern auch den ein oder anderen Tipp. Von der richtigen Mischung an Wildblumensaaten, die man auch online finden kann, über das Anlegen einer eigenen kleinen Wildblumenwiese, bis hin zu Insektenhotels, gibt es für jede:n eine Idee zur Umsetzung, ob für Garten oder Balkon.
Göttinger Literaturherbst 2022
Vom 22. Oktober bis 6. November findet der 31. Göttinger Literaturherbst statt. Litlog ist wieder mit dabei und veröffentlicht jeden Tag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms. Hier findet ihr unsere Berichterstattung im Überblick.
Biodiversität – ein Wert an sich
Eine Lesung und Diskussion, die ein trauriges und bedrückendes Thema behandelt hat und dennoch hoffnungsvoll auf die Zukunft blicken lässt. Nicht nur hat die Auseinandersetzung mit so manch einem Tier, was kreucht und fleucht, an dem heutigen Abend vielleicht bei dem ein:en oder der anderen das Interesse geweckt, sich mehr mit Biodiversität zu beschäftigen, sondern auch geholfen, eine neue Perspektive zu gewinnen. Das kleine Buch von Jasmin Schreiber ist ein Schritt in die richtige Richtung, hin zum Verständnis und Schutz der Biodiversität.
Und wer so gleich etwas für die Diversität unseres regionalen Pflanzenreiches tun möchte, der hatte das Glück, sich einen Ableger der Eselsdistel, bereitgestellt von Michael Schwerdtfeger, mitnehmen zu können, um im nächsten Jahr die schneeweiße Blüte in voller Pracht erleben zu dürfen. Wer möchte, hatte im Anschluss an den Vortrag noch die Möglichkeit, die Tiere und Pflanzen aus der Nähe zu begutachten und sich offene Fragen zu ihnen von dem Experten des Botanischen Gartens beantworten zu lassen. Was wohl jede:r Zuschauer:in von diesem Abend mitnehmen kann ist, dass »Biodiversität ein Wert an sich ist« und hoffentlich ist das der Anfang für den Schutz unserer Biodiversität, denn: »Wann, wenn nicht jetzt?«