»Ich liebe das Publikum. Und ganz besonders liebe ich mich.« So beschreibt sich die Dragqueen Kate Glory Lie. Im gleichnamigen Roman treibt Stefan Scheufelen uns durch Berlin. Zusammen mit Kate, Sebastião und Fabian tauchen wir in eine Welt voll von Glamour, Sex und Drogen ein.
Von Mareile Krüger
Auf dem Cover eine Dragqueen, die an einer Zigarette zieht. Mit künstlichen Wimpern, einer Perücke und viel Make-Up starrt sie einen in Marylin-Monroe-Manier an. Das ist Kate Glory Lie, »der hellste Stern des Berliner Nachtlebens«. Und sie liebt es, wenn alle Blicke auf sie gerichtet sind. Wenn sie die Rolle der Dragqueen einnimmt, ist sie eine Frau. Außerhalb ihrer Rolle beschreibt sie sich selbst als recht femininen Mann, der eigentlich Karsten Vogel heißt. Eine Frau, die sich scheinbar rundum wohlfühlt, doch der erste Eindruck täuscht.
Hinter der glamourösen Fassade versteckt sich ein Mann, dessen Vater ihn geschlagen und dann verlassen hat und dessen Mutter unter Alkoholismus litt und sich seit ihrem Outing von ihr abgewandt hat. Wie sehr sie das kränkt, lässt Kate nicht nach außen durchdringen. Aber wenn sie nachts alleine im Bett liegt, wird sie von ihrer Vergangenheit verfolgt, die nur durch das Zählen des Geldes, das sie durch ihre Auftritte verdient, gebremst werden kann – bis Kate es schließlich schafft, einzuschlafen. Allein ihre Gedanken lassen es zu, dass die Leser*innenschaft zwei Personen erkennt, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Ihre liebenswürdigen, homosexuellen Mitbewohner sind jetzt ihre Familie und zusammen wohnen sie in Berlin-Mitte. Sie dealen mit Drogen, jubeln sich gegenseitig heimlich LSD unter und lieben einander. Auch Kate wird immer weiter in das Drogengeschäft hineingezogen. Keine Party wird ausgelassen und es wird eine Zigarette nach der anderen geraucht. An Urlaub oder Pausen ist nicht zu denken, denn »the show must go on«. Besonders Fabian mischt das Ensemble mit seinen bunten Pillen und verrückten Ideen auf. Ein Dreiergespann, das viele Abenteuer verspricht.
»Ich mach das nicht, weil ich mit meinem männlichen Geschlecht unzufrieden bin.«
Ein in der heutigen Zeit hochsensibles Thema, das das Buch aufgreift, sind die Gendererwartungen an Mann und Frau. Auch wenn die Gesellschaft zunehmend aufgeschlossener auf Sexualität und Brüchen mit Genderklischees reagiert, werden Männer, die Make-Up und High Heels tragen, immer noch mit verwirrten Blicken oder Kommentaren als anders abgestempelt. Auch Kate wird immer wieder mit solchen Situationen konfrontiert. Die schlagfertige und egozentrische Drag lässt sich davon aber nicht beeindrucken und genießt die Aufmerksamkeit in vollen Zügen.
»Versteh das nicht falsch, mit Geschlechtsveränderung hat das nichts zu tun. Es ist einfach mein Hobby«, erklärt Kate einem Journalisten auf einer Party. Verstoßen und ausgegrenzt zu werden, weil man nicht den Vorstellungen der Gesellschaft entspricht, ist ein Gefühl, das die Drag nur allzu gut kennt. Nachts, wenn sie auf der Bühne steht und die Jubelrufe ihrer Fans hört, scheinen alle Probleme verschwunden zu sein. Durch ihre Identifikation mit der Rolle Kate Glory Lie, die sie auch in ihrer Freizeit ausübt, wird sie aber immer anders bleiben. Fabio und Sebastião erhalten keinen Blick in ihr Inneres und wissen nicht, wie es um sie steht, was die Zerrissenheit in Kate nur noch deutlicher zum Ausdruck bringt.
Nicht nur sozial, sondern auch politisch
Als Kate für einen Drogendeal und eine Theateraufführung in die USA reist, kommt sie bei Mother Rica unter, die das House of Rica leitet. Hier hat die queere Community einen Platz gefunden. Auf engstem Raum leben sie zusammen und proben für ihren großen Auftritt. Nicht nur ist die Theateraufführung ein wichtiger Bestandteil von Kates Identitätsproblemen ist, sie reist auch ihren Mitbewohnern, die einen großen Deal planen, zuliebe in das fremde Land. Scheufelen hebt durch diesen Ausflug den Zwiespalt seiner Protagonistin von der inneren Gefühlswelt auf die Handlungsebene. Doch wofür wird sie sich entscheiden, für Fabio und Sebastião, oder für die Chance, endlich einen Platz zu finden?
Es ist nicht nur die fiktive Geschichte einer Drag, die unterhalten soll, sondern auch Realität, verpackt auf 216 Seiten. Das Theaterstück, das in den USA aufgeführt werden soll, behandelt den Umgang mit Homosexuellen, Dragqueens und anderen queeren Lebensstilen in Gesellschaften, die dieses nonkonforme Verhalten nicht akzeptieren und Menschen verfolgen, oder sogar umbringen, wenn sie sich außerhalb der geschlechtsspezifischen Rollen bewegen. Aus diesem Grund ist Mother Rica die Aufführung so wichtig:
Eine der Darbietenden ist Ashtar The Partisan, eine Ausgestoßene aus Bagdad. Kate lernt die begabte Drag im House of Rica kennen und ist sofort von ihr angetan. Auf einem Ball den Mother Rica performt Ashtar zusammen mit einer anderen irakischen Feministin unter dem Motto »Sex Sirene« einen Bauchtanz, bei dem sie sich immer mehr entkleidet und damit gegen die Konventionen ihres Landes tanzt. Alle sind begeistert, so auch Kate die »Beautiful! Beautiful!« in die Menge brüllt.
Kritisch? Ja, aber mit Witz und Charme!
Kate Glory Lie ist ein gesellschaftskritischer Roman, aber anstatt den Leser*innen durchgehend Probleme, Vorwürfe und Verbesserungsvorschläge vorzuhalten, gestaltet Scheufelen ein Berlin, in dem obszöne Geschehnisse, farbenfrohe Partys und sexuelle Exzesse an der Tagesordnung stehen, sodass man die Kritik wahrnimmt, sie aber nicht die Überhand über die Geschichte und die in ihr wirkenden Charaktere gewinnt. Es wird nie eintönig, was insbesondere die Figur Kate mit ihrer Schlagfertigkeit und ihren wirren Gedanken zu verantworten hat. Auch mit Fabian und Sebastião gewinnt das Buch an Charme. Die unbekümmerten Mitbewohner geraten durch ihre Leichtfertigkeit immer wieder in absurde Situationen und bringen Kate manchmal an den Rand des Wahnsinns.
Dass in einer Geschichte, die auf so wenig Seiten komprimiert ist, so viel erzählt werden kann, überrascht. Es gibt viele Zeitsprünge, nichts wird wirklich ausformuliert oder detailreich beschrieben, Scheufelen setzt seine Akzente eher auf die im Vordergrund stehende Handlung und die Dialoge, aber insbesondere auf die Gedanken von Kate. Die kurzen Sätze, die oftmals nur aus drei oder vier Wörtern bestehen, sind anfangs ziemlich gewöhnungsbedürftig, da sie nur bruchstückhaft das darstellen, was eigentlich gesagt werden soll. Dadurch ist eine Herausforderung zu erkennen, was unterschwellig mitgeteilt wird.
Stefan Scheufelen
Kate Glory Lie
Frankfurter Verlagsanstalt: Frankfurt 2019
216 Seiten, 20,00€
Der Drogenmissbrauch bietet eine große Angriffsfläche für Kritik. An Karneval, in den USA, auf jeder Party. Immer wieder rücken die Drogen in den Vordergrund der Handlung. Auch wenn die zwei Chaoten in vielen Situationen mit einem blauen Auge davonkommen, wird der Konsum hier nicht beschönigt. Es sind die bunten Pillen, die das ganze Kartenhaus am Ende zum Einsturz bringen und dafür sorgen, dass auch Fabian und Sebstião der Realität endlich ins Auge sehen müssen.
Kate Glory Lie ist ein Name und ein Titel, der hält, was er verspricht. Scheufelen kreiert mit der Drag eine Figur des Glamours, die sich hinter einer Lüge versteckt, die ihr ganzes Leben auf einen Schlag verändern wird. Lachen, Trauer, Abneigung und Scham, nichts davon lässt er in seinem Debütroman aus. Wer also Lust auf Politik und Soziales hat, verpackt in einer rasant erzählten Story mit viel Witz und Charme, wird in diesem Roman fündig werden, denn er ist genauso abwechslungsreich wie die Drogenschublade von Fabian.