Von Zahnbürsten und dem Klimawandel

Zur Göttinger Frühjahrslese liest der österreichische Autor Marc Elsberg aus seinem neuen Umwelt-Thriller °C – Celsius in der Sheddachhalle im Sartorius Hauptquartier. Der Abend beginnt zunächst mit einer unerwarteten personalen Änderung, gefolgt von Auszügen aus dem Thriller und humoristischen Seitenhieben.

Von Luis Pintak

Bild: Alciro da Silva, mit freundlicher Genehmigung des Göttinger Literaturherbst

Der Samstagabend in der Sheddachhalle beginnt in Orange und zunächst überraschend. Orange, weil der schwarze Vorhang hinter der Bühne so wie das große C auf dem Cover von Marc Elsbergs neuem Roman °C – Celsius angestrahlt wird. Überraschend, weil die Klimajournalistin Sara Schurmann nicht erscheint. Diese sollte eigentlich die Diskussion mit Elsberg führen. So vermeldet ihre spontane Vertretung Gesa Husemann vom Literarischen Zentrum Göttingen, als sie mit Elsberg die Bühne betritt: »Wie Sie sehen, bin ich nicht Sara Schurmann. Sie ist leider nicht gekommen und wir wissen nicht, wo sie ist. Wir hoffen, dass es ihr soweit gut geht.« Das Publikum verzeiht, sowas kann man schließlich nicht voraussehen.

»Ich habe etwas über elektrische Zahnbürsten gelesen«

Dynamisch beginnt Husemann den Abend mit vergnüglichem Smalltalk. Elsberg und Husemann spaßen über die »gute« Ernährung, wie Marillenknödel und Kaiserschmarrn, auf Buchmessen. Dann legt Husemann los, Elsberg ein paar Fragen zu seinem neuen Thriller °C Celsius und seinem bisherigen Werk zu stellen. Zunächst wundert man sich ein wenig über die doch allzu typischen Fragen und Antworten, die auch bequem im Internet abrufbar sind zum Beispiel Details zu Elsbergs Tech-and-Science-Thrillern. Das Erstlingswerk des Österreichers, Blackout, hat sich rund zwei Millionen mal verkauft und ist in einige Sprachen übersetzt worden. Ein »Long-Seller«, wie es Elsberg treffend beschreibt. Die Verkaufszahlen prangen sogar auf dem goldenen Aufkleber auf den Blackout-Covers. In Blackout geht es um einen globalen Stromausfall, in Elsbergs anderen Werken um Big Data, Gentechnik oder auch die Verurteilung eines US-Präsidenten. Themen, die eine globale Rolle spielen. In °C – Celsius dreht es sich diesmal um eine der wohl bedrohlichsten Herausforderungen unserer Zeit: den Klimawandel.

Nach dem Smalltalk allerdings geht es ans Eingemachte. Wie Elsberg auf seine Themen komme, fragt Husemann. Bei Blackout habe er nicht direkt an einen Stromausfall gedacht, erklärt er. »Ich habe etwas über elektrische Zahnbürsten gelesen«, schmunzelt er, das Publikum lacht. Aus einer kleinen Alltäglichkeit wurde Stück für Stück ein Roman. Elsberg arbeitete ursprünglich in der Werbung, aus der er auch einen bestimmten Trick anwende, um auf Themen mit großer Bedeutung neugierig zu machen: »Lass es weg«, meint er in Bezug auf Elemente, durch deren Fehlen gerade die Neugier beim Publikum erweckt wird. Nach ein paar weiteren Anekdoten beginnt Elsberg aus °C – Celsius vorzulesen. »Wir fangen am besten am Anfang an«, sagt er und fragt das Publikum: »Wer hat denn schon mal ein Buch von mir gelesen?« Fast alle im Saal melden sich. »Oh, das sind aber viele!«

»Mit den Flugobjekten in Montana haben wir aber nichts zu tun«

Elsberg wählt mehrere recht kurze Auszüge, jeder von ihnen einer bestimmten Figur gewidmet. Oberthema ist Geoengineering, also der vorsätzliche Eingriff in das Klimasystem mit technischen Mitteln. Ausgangspunkt der Handlung ist eine Bedrohung, die ihren Anfang in Asien nimmt: China will sich offenbar die Macht über das Weltklima einverleiben. Was recht spektakulär und fernab klingt, soll im Thriller Realität werden. Im ersten Auszug geht es um den jungen Chen, der in einem Flugzeug auf dem Weg nach Taipeh sitzt, als mehrere UFOs auftauchen und offenbar zum Angriff ansetzen. »Mit den Flugobjekten in Montana haben ich und der Verlag aber nichts zu tun«, scherzt Elsberg über die wohl chinesischen Flugobjekte im US-amerikanischen Luftraum vor ein paar Monaten.

In Chens Flugzeug jedoch ist alles in Panik. »So mussten sich die Menschen in den hoch gelegenen Büros des World Trade Centers am 11. September 2001 Sekunden vor dem Einschlag des ersten Flugzeugs gefühlt haben«, liest Elsberg mit angenehm rau-kräftiger Lesestimme und österreichischer Mundart. In einem anderen Auszug senkt er seine Stimme, um den Part eines brummeligen US-Generals zu betonen. Man merkt schnell, dass °C – Celsius eine multiperspektivische Erzählung ist. An anderer Stelle wiederum geht es um den Journalisten Pat Welzer, den Elsberg als eine Art Hauptfigur vorstellt. Eingeladen von der chinesischen Regierung, beobachtet er mit einer Gruppe Journalist:innen das Abschmelzen eines Gletschers im Verlauf der Jahre durch eine virtuelle Brille.

»Ich bin eher ein planender Schreiber«

Zwar leitet Husemann das Gespräch auf zielstrebige und freundliche Art, wirkt teilweise aber etwas in ihr Buch versunken, während Elsberg erzählt. Angesichts ihres spontanen Einsatzes als Moderatorin ist das allerdings nachvollziehbar. Zwischendurch müssen Elsberg und Husemann irritiert nach den richtigen Textstellen in ihren Büchern blättern. »Mir ist gerade aufgefallen, dass ich eine andere Version des Buches habe als Sie«, sagt Husemann. »Und meine Lesezeichen sind irgendwie durcheinander«, ergänzt Elsberg. Zwischen den Auszügen stellt Husemann weitere Fragen über die Charaktere, die Recherche oder Science Fiction: °C – Celsius sei weniger Science Fiction, denn was er beschreibe werde zunehmend wahrscheinlicher. Elsberg wolle auch nicht Science Fiction schreiben, sondern die Menschen »hier und jetzt abholen«, da Science Fiction eine größere Distanz zum alltäglichen Geschehen schaffe: »Es betrifft mich nicht.« Interessant ist auch seine Vorgehensweise beim Schreiben: Er sei »eher ein planender Schreiber«, im Gegensatz zu manchen seiner Kolleg:innen, und wisse meist alles über seine Figuren.

Die Recherchen zu Zero seien wiederum in »abendlichen Bars« entstanden, indem Elsberg Expert:innen befragte. Für °C – Celsius sei das nicht nötig gewesen – denn schließlich seien Informationen zum Klimawandel omnipräsent. Elsberg merkt jedoch an, dass vieles über den Klimawandel und seine Konsequenzen noch im Unklaren sei. Da ist ihm sicher zuzustimmen. Er lasse das fertige Skript dann von zwei bis drei Personen auf Sachlichkeit überprüfen. Jedoch nicht bei der Dramaturgie: »Da lasse ich mir nicht reinreden.« Doch warum gerade China als Ausgangspunkt eines Eingriffs in das Weltklima durch Geoengineering, wundert man sich. Die Frage kreist die ganze Lesung über dem Publikum in der Sheddachhalle. Eine Hörerin ergreift schließlich in einer kleinen Abschlussfragerunde unter neugierigem Kopfnicken des Publikums die Initiative: Ja, warum? China sei nur der Anfang der Geschichte, erklärt Elsberg, und verweist auf die weiteren Entwicklungen im Roman.

Längere Auszüge wären wünschenswert gewesen

Elsberg und Husemann liefern dem Publikum insgesamt einen informativen Samstagabend mit vielen humoristischen Anekdoten in rund neunzig Minuten. Zwar wäre eine regere Diskussion zwischen beiden wünschenswert gewesen, doch  angesichts dessen, dass Husemann spontan als Vertretung einspringt, läuft die Lesung erstaunlich rund. Empfehlenswert wäre es hingegen gewesen, die Hauptfigur mehr in den Mittelpunkt der Lesung zu rücken, anstatt durch viele unterschiedliche Lesestellen verschiedene Figuren vorzustellen. Hat man sich nämlich einmal in die Situation eingefühlt, ist der Auszug bereits wieder zu Ende. Die in den Auszügen geschilderte Bedrohung der Welt durch Geoengineerung ist durchaus von Spannung durchzogen, doch stellt sich der »Thrill« und damit die Brisanz des Klimawandels durch die Kürze der Auszüge nicht wirklich ein.

Vielleicht ist es auch gerade die Omnipräsenz der Klimawandel-Problematik, durch die der Spannung ein Abschwung widerfährt: Gerade ein Thema von so großer Tragweite wie der Klimawandel ist schwer aufzubereiten, wenn die Allgemeinheit damit fast täglich durch die Medien konfrontiert wird – oder schon persönlich betroffen ist. Das humoristische Nebenprogramm könnte seinen Teil zur Spannungsarmut beigetragen haben, darf aber nicht unbedingt als Nachteil ausgelegt werden: Gerade die lockere Atmosphäre zwischen Elsberg und Husemann vermittelt ein angenehmes Bild und hebt Elsbergs Person und Wirken hervor.

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