Viel Wind, wenig Revolution

In einem kleinen Hinterhof versteckt, findet sich das Volkstheater als eine der drei großen Bühnen Münchens. Trotz der charmanten Lage konnte Felix Hafners Inszenierung von Dostojewskis Die Dämonen nicht recht überzeugen. Es stellt sich die Frage, wie und warum Klassiker dramatisieren?

Von Anika Tasche aus München

Bild: By Julien Reveillon via unsplash, unsplash licence.

Trotz meiner Exkursion ins Gärtnerplatztheater hatte ich natürlich mein Vorhaben, die drei großen Theater Münchens als erstes kennenzulernen, nicht aus den Augen verloren. Und schon beim Blick auf den Spielplan des Volkstheaters, das mit Klassikern wie Nathan der Weise und Ein Sommernachtstraum ebenso trumpft wie mit Inszenierungen von Romanen wie beispielsweise Thomas Manns Felix Krull, wusste ich, was mein Favorit sein wird: Dostojewskis Die Dämonen.

Das Phänomen Romandramatisierung

Es ist mittlerweile nicht ungewöhnlich, dass die deutschen Bühnen ein stetig wachsendes Repertoire an Romandramatisierungen besitzen. Im Speziellen Klassiker scheinen dabei besonders begehrt zu sein. So etwa die Inszenierung von Günter Grass’ Die Blechtrommel am Deutschen Theater Göttingen, um nur eines der vielen Beispiele zu nennen. Die Frage, warum dies der Fall ist, benötigt wohl ein eigenes Essay, naheliegend ist zumindest, dass viele Menschen vor Mammutromanen wie etwa den russischen Werken von Dostojewski und Tolstoi zurückschrecken, weshalb die Inszenierungen in komprimierter Bühnenform begehrt sind. Auf der einen Seite ist das schade, denn es kann ein unglaubliches Vergnügen bereiten, diese ›Giganten‹ zu bewältigen, auf der anderen Seite verständlich, denn es verlangt doch einiges an Zeit und Durchhaltevermögen, die Lektüre auch wirklich zu beenden. Dass solch umfangreiche Werke gekonnt inszeniert werden können, bewies zum Beispiel Frank Castorf seinerzeit in Berlin mit den Brüdern Karamasow und auch Armin Petras zeigte in Bremen, wie Anna Karenina die Bühne erobern kann.

Für mich stellen solche Produktionen immer wieder einen Reiz dar, denn die (russischen) Klassiker der Weltliteratur haben mich in ihren Bann gezogen und für einen Theaterabend bin ich sowieso immer zu haben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich ausgerechnet Die Dämonen von Dostojewski noch nicht gelesen habe. Neben Der Spieler eines der Bücher, das mir von ›Doste‹ noch fehlt. Glück im Unglück, konnte ich doch gleich testen, ob meine These stimmt, dass Dramatisierungen für ›Lesefaule‹ sind.

Auf in neue Welten

Das Volkstheater befindet sich – anders als das Resi und die Kammerspiele – nicht am Max-Joseph-Platz, sondern im Künstlerviertel, unweit vom Lenbachhaus (für dieses Kunstmuseum muss an dieser Stelle auch eine Empfehlung ausgesprochen werden). Versteckt in einem kleinen Innenhof macht es einen weniger imposanten Eindruck, versprüht aber dennoch Charme durch seine Lage in der zweiten Reihe; so bietet sich der Hof im Sommer zum Innehalten an. Im Inneren des Theaters entsteht ein neutraler, mehr oder weniger moderner Eindruck. Der Saal erinnert an einen übergroßen Kinosaal, der anstelle der roten Sessel in grau daherkommt. Aber all dies wird bald der Vergangenheit angehören, denn das Haus ist mittlerweile zu klein und das Requisitenlager weit vom Theater entfernt, weshalb man sich für einen Neubau auf dem Viehhofgelände entschied. Ab Mai 2021 soll er als Spielstätte dienen.

Auf die ersten Volkstheater-Besucher*innen stieß ich schon weit vor der Theaterschwelle. Erst nervte mich die Gruppe von Schülerinnen, die vor mir in gemächlichem Tempo radelte, bis ich heraushörte, dass die Mädchen auf dem Weg ins Volkstheater waren. Und wie der Zufall es wollte, saßen sie dann direkt vor mir. Locker gekleidet in Jeans und ihren Lieblingspullis, machten es sich die vier bequem. Neben mir eine Frau und ein Mann, sportlich schick angezogen, wobei er Insider des Hauses war und seiner Begleitung zunächst einige Infos über das Volkstheater gab – mein Vorteil, denn auch ich war unwissend, was dieses Haus anging. Rechts von mir zwei leere Plätze, die bereits das Problem des Abends deutlich machten: Der Saal war nicht einmal zur Hälfte voll. Ungewöhnlich, meinte mein Sitznachbar, weil normalerweise Karten für die Inszenierungen heiß begehrt seien, denn Hausregisseur Abdullah Kenan Karaca »habe dem Haus seinen ganz eigenen Fußabdruck verliehen.«

Heute allerdings war nicht Karacas Abend, sondern der sechsundzwanzigjährige Felix Hafner führte Regie. Die Dämonen (auch: Böse Geister, 1873) ist der vorletzte der fünf Elefanten von Dostojewski, dazu zählen ansonsten noch: Schuld und Sühne (oder auch: Verbrechen und Strafe, 1866), Der Idiot (1869), Ein grüner Junge (auch: Der Jüngling, 1875) und Die Brüder Karamasow (1880). Den Namen erhielten sie von ihrer wohl bekanntesten deutschen Übersetzerin Swetlana Geier (Dokumentarfilm: Die Frau mit den fünf Elefanten, 2009). Den Inhalt des knapp 1000-seitigen Romans kurz darzulegen, stellt eine Herausforderung dar, scheint die Handlung doch überaus verstrickt. Wichtig ist, dass der charismatische Nikolaj Starogin in seinen Heimatort zurückkehrt, wodurch er einiges an Chaos auslöst. Ebenso kehrt Pjotr Werchowenskij heim, der schließlich eine Gruppe junger Menschen um sich versammelt, um eine Revolution anzuzetteln. Doch das Vorhaben gerät aus den Fugen, als in der Stadt eine Reihe von Morden geschieht. Letztlich ist der Vereinigung jedes Mittel recht, um ihre Forderungen umzusetzen. So der Kern des Romans, doch wird schon bei dieser kleinen Zusammenfassung offensichtlich, dass die Handlung nicht allzu leicht zu verstehen ist. Und genau das stellt auch eine Schwierigkeit des Abends dar.

So komplex die Handlung auch erscheint, so minimalistisch kam das Bühnenbild daher. Lediglich sechs große Windmaschinen befanden sich an den Seiten der Bühne. Hinzu kamen während des Stücks schwarze Fahnen, die unterschiedlich auf der Bühne platziert werden konnten. Dadurch hatten die neun Schauspieler*innen die Möglichkeit, im leeren Raum zu spielen, aber auch – wenn die Fahnen standen – sich darin einzuwickeln oder durch die wehenden Ungetüme zu laufen. Dies führte mitunter zu beeindruckenden Bildern: beispielsweise wenn alle neun Beteiligten die Fahnen auf der Bühne trugen, während die Windmaschinen diese zu Ungeheuern aufbrausen ließ.

Schlag auf Schlag

Zu Beginn des Stücks waren die Fahnen jedoch noch nicht zu sehen, sondern acht der neun Schauspieler*innen standen auf der Bühne und versuchten, irgendwie eine Art Exposition zu geben. Nicht einfach dem zu folgen, wurden doch viele Inhalte in den Raum geworfen, viele Textauszüge gesprochen, aber wenig Zusammenhänge deutlich: In diesem Stück überwiegt die Dialogform, hinter die die Handlung ein wenig zurücktritt. Selbst der Ball im Salon kam wie eine mechanische Choreografie daher und hatte wenig mit den detailreichen Bildern in der russischen Literatur zu tun. Folglich dauerte es etwas, bis man sich in dem Stück zurechtfand. Hinzu kam ein Problem, das eine der Schülerinnen in der Pause äußerte und auf das man immer wieder bei der Lektüre von Tolstoi, Dostojewski und anderen stößt: Die russischen Namen sind nicht leicht zu behalten und führen so oft zu Verwirrungen. Darüber hinaus waren die Übergänge zwischen den Szenen oft sprunghaft, Themen und Konflikte daher nur schwer zu durchdringen. Ein Gespräch folgte dem anderen und oftmals ging dabei der Zusammenhang verloren. Wenn man sich dann orientiert hatte, waren es besonders die Choreografien, die Spaß bereiteten. So trat nahezu das gesamte Team als Zuchthausflüchtling auf und sprach Passagen zusammen, während es sich als Gruppe über die Bühne bewegte.

Reihe

Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, bleibt sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.

Die O-Töne in der Pause zeigten auch nur wenig Begeisterung. So fragte eine ältere Dame ihren Begleiter, wie er das Stück denn fände und er antwortete:

interessant, aber verwirrend.

Für einige Zuschauer*innen mal wieder zu verwirrend. Aus den zwei freien Plätzen neben mir wurden acht. Auch im zweiten Teil der Inszenierung musste man sich die Verknüpfungen der einzelnen Szenen hart erarbeiten und die Ereignisse überschlugen sich: Da waren ein Deserteur, eine Leiche, ein Selbstmörder und ein Feuer. Die Situation geriet aus den Fugen, doch wie alles so recht zusammenpasste, blieb offen. Vollends verwirrt war man am Ende des Abends, als das Feuer nicht nur durch die Nebelmaschinen entstand, sondern tatsächlich der Vorhang zu qualmen anfing. Ein Schauspieler begutachtete den Schaden, ging von der Bühne, etwas Getuschel bekam man dank Mikro mit, dann kehrte er zurück und nahm wieder seinen ursprünglichen Platz ein. Und schließlich zeigte ein anderer in Richtung des Vorhangs, schrie: Feuer! und das Licht ging aus.

Natürlich begann niemand zu klatschen, denn alle fragten sich, ob nun die Evakuation folge – doch nein, tatsächlich gehörte dieser Ausruf zum Stück und markierte das Ende. Selbstverständlich folgte dann doch noch der Applaus, allerdings muss man gestehen, dass zurecht niemand in Euphorie ausbrach. Das Stück hatte dank des Bühnenbildes und einzelner Szenen seine schönen Momente, doch um Dostojewskis Dämonen zu verstehen, hat es für mich nicht gereicht. Dann ziehe ich doch lieber weiterhin die Lektüre der Klassiker vor, denn beim Lesen zeigen sie immer wieder Aspekte auf, die sich auch auf die Gegenwart übertragen lassen. Sicherlich haben auch Die Dämonen dieses Potenzial, das leider an diesem Abend verschenkt wurde. Dass es moderne Inszenierungen schaffen können, auch auf aktuelle Aspekte hinzuweisen, bewiesen Castorf und Petras mit ihren Inszenierungen. Und auch Die Blechtrommel am Deutschen Theater Göttingen zeigt die Aktualität solcher Klassiker. Demnach scheint es kein Ding der Unmöglichkeit darzustellen, Klassiker auch im Theater auf gegenwärtige Situationen zu übertragen.

Bei meinem kleinen Streifzug in der Pause habe ich allerdings Lust bekommen, weitere Inszenierungen des Volkstheaters anzuschauen, denn die Bilder, die die Wand des Pausenfoyers schmückten, versprachen viele moderne Produktionen. Ich werde dem Volkstheater noch eine Chance geben, denn sicherlich ist es nicht umsonst eines der drei großen Häuser Münchens und der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr gesehen habe.

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