Unfassbare Stärke, großer Mut

Birgit Weyhe zeichnet in Rude Girl die Lebensgeschichte der afroamerikanischen Professorin Priscilla Layne nach und sensibilisiert für alltagsrassistische Erfahrungen. Dabei stellt sich die Frage: (Wie) Kann eine weiße Autorin in angemessener Weise die Lebensgeschichte einer Schwarzen Frau erzählen?

Von Paulina Zapfe

Bild: via Pixabay, CC0

Die Graphic Novel Rude Girl von Autorin Birgit Weyhe hat diverse Preise abgeräumt, unter anderem den für das Buch des Jahres beim Hamburger Literaturpreis. Zudem, und das ist vielleicht der größte Erfolg, wurde Rude Girl als erster Comic überhaupt für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch nominiert. Mit der 2022 erschienenen Graphic Novel erzählt Birgit Weyhe die Lebensgeschichte von Priscilla Layne, einer afroamerikanischen Germanistik-Professorin mit karibischen Wurzeln, deren Schul- und auch Universitätszeit in der Graphic Novel dargestellt werden. Eine Auseinandersetzung mit den Vorurteilen anderer gegenüber einer Schwarzen Person mit karibischen Wurzeln – das ist Rude Girl.

Kulturelle Aneignung?

Für das Buch arbeitete Weyhe mit Layne zusammen und so sind zwei parallele Erzählstränge entstanden. Der eine behandelt die Lebensgeschichte Laynes. Die entstandenen Zeichnungen und Texte fußen laut der Autorin auf Erfahrungen und Gesprächen mit Layne, seien aber dennoch als fiktiv zu betrachten. So wird zwar das Leben von Priscilla Layne konstruiert, jedoch heißt das Mädchen, welches Layne repräsentiert, in der Novel Crystal. Der zweite Erzählstrang ist ein Interviewteil mit Layne, welcher als Zwischenhandlung fungiert. Die beiden Frauen lernten sich 2018 kennen, nachdem Layne Berlin besucht und um ein Gespräch mit Weyhe gebeten hatte, um über deren Comics zu reden. Dabei war Weyhe sehr fasziniert von Laynes Lebensgeschichte, woraufhin sie eine Graphic Novel über das Leben von Layne beschlossen.

Germanist:innen werfen Weyhe kulturelle Aneignung vor: Sie würde die Privilegien als Autorin ausnutzen und zu Unrecht als weiße Frau eine Biografie über das Leben einer Schwarzen Person schreiben. Weyhe selbst weist den Vorwurf zurück und will zeigen, dass sie bei ihrer Arbeit professionell vorgeht. Den Erzählprozess und den Prozess der Biografisierung reflektiert sie daher in der Graphic Novel. Doch zunächst zurück zum Inhalt:

Diskriminierung und Missbrauch

Pricilla Layne ist ein »Oreo« – zumindest für ihre weißen Mitschüler:innen. Sie ist laut ihnen nicht Schwarz genug, um Schwarze zu sein, aber eben auch nicht weiß genug, um Weiße zu sein. Mit dieser gewaltvoll-diskriminierenden Aussage wird sie oft konfrontiert. Traumatisierende Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch durch ein Familienmitglied werden zu einem weiteren großen Thema der Graphic Novel. Niemand außer ihrer Mutter schenkt den Aussagen von Priscilla über den Missbrauch Glauben, weshalb es zu einem Bruch mit der Familie kommt. Das erschüttert die damals noch junge Priscilla sehr und prägt sie für ihr weiteres Leben.

Bewältigungsstrategien

Im Interviewteil eröffnet Layne, dass die Bewältigung der Diskriminierungs- und Missbrauchserfahrungen nicht einfach für sie war. Einen Umgang mit diesen Erfahrungen und eine Zuflucht findet sie in der Musik. Und an anderer Stelle: der Name Rude Girl, was übersetzt so viel bedeutet wie ›unverschämtes‹ oder ›unhöfliches Mädchen‹, entsteht, als Priscilla durch eine Freundin Mitglied bei den Skinheads wird. Sie rasiert sich ihre langen Haare ab und fühlt sich zur Ska-Musik hingezogen, die in der Gruppe gehört wird. Andere Mitglieder der Skinheads identifizieren sie durch ihren Haarschnitt als Mitglied und schätzen ihr Interesse und Wissen in Bezug auf Politik und Musik. Auf die Nachfrage, warum sie jetzt Rassistin sei, antwortet sie, dass sie nicht die Ideologien der Neonazi-Gruppe vertrete, sondern durch die Mitgliedschaft die Hoffnung habe, dass andere Menschen dächten, sie wäre stark, könne kämpfen und sich verteidigen.

Der herausfordernde Weg von Priscilla Layne

Die Anfeindungen, denen Layne ständig ausgesetzt ist, haben sie nie zum Scheitern gebracht. Stattdessen bekämpft sie sie und erfüllt sich den Traum von einer Karriere. Nach der Schulzeit beginnt sie ein Studium der Germanistik an der University of Chicago. Später geht sie sogar nach Berlin, wo sie ein Stipendium an der Freien Universität erhält.

Für ihr Studium kehrt sie zurück in die USA und studiert in Berkeley. Auch hier erfährt sie Zurückweisung. Außerdem befürchtet sie, dass sie das Studium nicht schaffen könne und es fehlt es ihr an Vorbildern, da es nicht viele Schwarze Germanist:innen gibt. Dank ihres großen Durchhaltevermögens setzt sie sich gegen Vorurteile und Schwierigkeiten durch und erfüllt sich ihren Traum einer Germanistik-Professur.

Ein gelungenes Zusammenspiel von Bild und Text

Die Graphic Novel, macht durch ihr Zusammenspiel aus Bildern und kurzen Dialogpassagen das Buch leicht zugänglich. Die rund 300 Seiten lassen sich dadurch schnell lesen. Der Stil der Bilder ist bei den Personen eher einfach gehalten, während Bilder der Umgebung meist detailreicher gestaltet sind. Keiner der Figuren werden detaillierte Gesichtsmerkmale verliehen. Der Stil ist so eher skizzenähnlich. Allerdings harmoniert das sehr gut, denn so liegt das Augenmerk eher auf dem Inhalt der eingefügten Sprechblasen. In einzelnen Passagen werden auch nur detailreiche Bilder ohne nebenstehenden Text in die Handlung eingebaut, die das vorher Gesagte atmosphärisch verdeutlichen.

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Birgit Weyhe
Rude Girl

avant-verlag: Berlin 2022
312 Seiten, 26,00 €

In der Farbgebung wechseln sich Gelb und Orange ab. Dabei bilden die gelb illustrierten Parts die Rahmenhandlung und die orangen Parts sind eingeblendete Gespräche zwischen der Autorin und Priscilla Layne. Die Zwischengespräche mit Layne dienen dazu festzustellen, ob die Informationen und die damit zusammenhängenden Gefühle von Weyhe richtig transportiert und aufgeschrieben wurden. Wenn etwas nicht passt, wird hier aufgeklärt und die Geschichte sozusagen ›berichtigt‹. Dies liefert ein Gegenargument zur kontroversen Frage, ob Weyhe als weiße Person das Leben einer Schwarzen Person darstellen kann und darf. Weyhe schreibt Laynes Geschichte, ist aber zu jeder Zeit im Gespräch mit ihr, wodurch Layne die letzte Deutungshoheit über ihre eigene Geschichte besitzt.

Emotionen und Musik

In besonderer Weise transportiert Weyhe Emotionen: Werden etwa Angst oder Wut dargestellt, so werden die nachfolgenden Bilder mit immer mehr Schwarz angereichert, bis man irgendwann nur noch ein ganz schwarzes Bild sieht. Das ruft nicht nur die Gefühle hervor, die an die Leser:innen getragen werden soll, sondern zeigt gleichzeitig auch, dass diese Gefühle sich langsam aufbauen, bis man von ihnen erdrückt wird.

Dass die Musik einen Großteil des Lebens von Priscilla Layne ausmacht, wird ebenfalls sehr raffiniert in Bilder umgesetzt. Jedes Kapitel, welches einen neuen Lebensabschnitt von Priscilla Layne behandedlt, startet mit dem Bild eines Plattencovers, das in die entsprechende Zeit passt. Dabei legt sich jedes neue Cover auf die anderen bereits gezeigten, sodass am Ende eine ganze Sammlung an Plattencovern entsteht. Das symbolisiert den Aspekt, dass jede Herausforderung im Leben von Priscilla von einer weiteren überdeckt wird und alle zusammen ihren Lebensweg bilden – immer begleitet von Musik als Zufluchtsort.

Rude Girl ist ein wichtiges Buch, nicht nur, weil Schwarze Menschen noch immer Diskriminierungen und Gewalt unterschiedlichster Art ausgesetzt sind. Die Graphic Novel kann gerade durch die emotional wirkungsvolle Verschränkung von Bildern und Text dazu einladen und hoffentlich einige dazu bewegen, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist. Und sie zeigt eindrücklich, wie biografisches Erzählen feinfühlig gemeinsam gestaltet werden kann.

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