Und jedes Jahr die gleichen Ziele

Der Frühling kommt und damit der Wunsch an sich zu arbeiten. Zwar sind Neujahresvorsätze in unserer Generation verschrien, doch unsere Autorin findet, dass wir uns gute Alternativen erschaffen haben. Diese sind zum Glück genauso heuchlerisch wie ihre Vorgänger.

Von Lisa E. Binder

Bild: Via Pixabay, CC0, bearbeitet

Ich sitze auf dem Balkon und strecke die Nasenspitze in die ersten Sonnenstrahlen. Der Frühling kommt und ich kann es kaum erwarten. Ich möchte raus, spazieren, unter Menschen. So wie die Krokusse möchte ich meine kleine kuschelige Wohnung verlassen und die Natur genießen. Ich möchte, dass dieser Frühling, dieser Neuanfang der Natur, auch ein Themenwechsel ist.

Zwei Tage später irgendwo in Weende auf einem Feldweg. Zwei Freundinnen, dick eingepackt mit Pulli und Sonnenbrille, dampfende Kaffeebecher in der Hand. Ein Bild, das nur diese Jahreszeit erzeugt. Dieser Umschwung, währenddessen man sich ständig fragt, wie sehr man die Sonne herausfordern darf und die Risikofreudigen unter uns ohne Jacke das Haus verlassen. Die beiden Frauen quatschen über dies und das.
»Eigentlich hätte ich richtig Lust, wieder Sport zu treiben. Vielleicht Pilates oder Yoga.«
»Ich steh nicht so auf Sport.«
»Zieh das nicht so herunter. Als ob du nicht selbst darüber nachgedacht hast, an dir zu arbeiten.«
»Naja, vielleicht ein bisschen auf die Ernährung achten, oder so.«

Die beiden lachen – wissend, dass diese Vorsätze nie den Weg in die Umsetzung finden werden.

So geht es vermutlich allen. Zwar ist sich GenZ relativ einig in der Tatsache, dass Neujahresvorsätze veraltet sind und falsche, nahezu heuchlerische Ideale fördern, doch sind wir im Kern nicht besser. Wir haben dem Kind einfach einen neuen Namen gegeben. Niemand würde sich nach zwei Jahren Pandemie noch ernsthaft und total unironisch eine Neujahrsvorsatzliste machen. Vielmehr widmen wir uns der Ästhetik unseres neuen, Veränderung versprechenden Lifestyles, für die es immer auch ein passendes Social-Media-Farbkonzept gibt.
Inspiration gibt es im Internet dafür wie Sand am Meer. Man muss nur die richtigen Hashtags in die Suchmaske eingeben und schon befindet man sich im Dschungel der Selbstoptimierungs-Influencer. Die alles verändernde Morgenroutine, die Lernroutine, die Putzroutine. Es ist schwer, ihm zu widerstehen, diesem Rausch, der eine:n durchfährt, wenn man sich sein optimiertes, so viel einfacheres Leben vorstellt. Perfekt schlank, gesund, glücklich vergeben und organisiert, alles überlagert von einem farbenfrohen Filter.

Es wirkt wie die natürliche Fortsetzung der letzten Jahre: Erst erschufen wir #cottagecore (grün, gelb, beige), dann #darkacademia (schwarz, braun, rot). Also die GenZ-Alternativen zu den Millennial-Versionen von shabby chick und gothic. Da ist es doch klar, dass bald eine Alternative zur #hustleculture und dem #girlboss folgen muss.

Frühlingskolumne

Der Frühling ist endlich da – und weckt bei den Litlog-Autor:innen ganz unterschiedliche Assoziationen. In guter Tradition der Sommerkolumne betrachten wir in unserer neuen Reihe die Jahreszeit in all ihren Facetten. Alle Beiträge findet ihr hier.

Vorhang auf für #thatgirl (weiß, beige, grün) und seit neustem auch #thatboy. Eine kurze Zusammenfassung für alle, die dem Algorithmus entkommen sind: Bei diesem Lifestyle liegt der Fokus auf dem Ausbauen des eigenen Potenzials durch verschiedene Wellnesspraktiken. Dabei geht es weniger um Konsum, wie zum Beispiel noch bei #girlboss. Man schafft hingegen eine Fusion: Zwar werden immer noch fleißig Gesichtsmasken, teure Smoothies und lululemon-Sportklamotten in die verschiedenen Linsen gehalten, doch bilden sie nicht den Mittelpunkt. Während sich Boomer ihren Lifestyle erkaufen konnten und die Millennials ihn sich krankhaft erarbeiteten, sucht GenZ einen Kompromiss. Man kombiniert die harte Arbeit mit symbolischen Produkten. Wir haben keine Liste an Neujahresvorsätzen oder ein eingerahmtes Visionboard.

Dieser neue Lifestyle kommuniziert über Dritte, über die Beobachtung der anonymen Massen im Internet, da der betrachtete Mensch seinen Fokus nicht auf andere, sondern sich selbst setzt. Früher brauchten die Generationen von #girlboss noch direkte Kommunikation, um ihre Überlegenheit zu zeigen: Kaffeebecher mit Schriftzug, klare Slogans. Doch ein #thatgirl ist sich bewusst, dass es ständig beobachtet wird. Es ist ehrgeizig und inspirierend durch seine Taten, nicht seine Art und Weise, diese gleich allen unter die Nase zu reiben. Die Idealisierung entsteht in den Augen der anderen.

Es geht dabei, natürlich, im Kern um Selbstoptimierung. Diese Person, die von außen als #thatgirl/boy bezeichnet wird, hat vermutlich genau die gleichen Selbsthilfeklassiker im Regal stehen wie die ihr vorangegangenen Generationen: Atomic Habits von James Clear, How to Win Friends and Influence People von Dale Carnegie etc.
Es ist das gleiche Paket, wie wir es uns jeden Januar schnüren, nur mit einem kleinen Twist: die subtile Art und Weise seiner Verbreitung. Denn eine Person würde sich nie selbst als #thatgirl oder #thatboy bezeichnen, sondern sie werden als solche erkannt. Aus der Ferne, wie ein Ideal, so nah und doch so fern. Man bildet sich offensichtlich nichts darauf ein, obwohl man ganz klar einem Ideal entgegenstrebt. Hier geht es also um Außenwirkung. Man ist sich in seiner Rolle bewusst, dass man unter genauer Beobachtung steht, sodass man im Gegensatz zum #girlboss seinen Erfolg nicht mehr selbst kommunizieren muss, das machen ja andere für eine:n.

Doch sollte man sich bei jedem neuen Lifestyle der gleichen Dinge bewusst sein: Diese Art des Lebens ist eine Fantasie und ein Luxus. Seine Verbreitung geschieht hauptsächlich durch weiße Frauen aus der Oberschicht. Zwar wird das teure Auto-Logo nicht direkt gezeigt, aber klar ist: Nicht jeder hat das nötige Kleingeld, um sich jeden Tag einen Smoothie aus diversen Gemüse und Obstsorten zu machen. Man zeigt den eigenen Reichtum, ohne ihn zu zeigen. Es ist eine scheinbar natürliche, organisiert chaotische Eleganz.

Und für diese Art der Message eignet sich gerade der Frühling. Er schafft Motivation, Erneuerung. Diese eine:n umgebende Aufbruchsstimmung kann und darf ein Motivations-Booster sein. Aber wir wären nicht GenZ, würden wir nicht insgeheim gerne allen unter die Nase reiben, dass wir nicht nur ständig vom Neuanfang träumen, sondern es auch wirklich durchziehen, zumindest für diesen einen Moment.

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