Too Much

Eine wilde Mischung aus Tanz, Malerei und Theater ist Wim Vandekeybus Produktion Die Bakchen – lasst uns tanzen am Münchner Cuvilliéstheater. Die Inszenierung beeindruckt mit ihrem Ideenreichtum: Die Vielfältigkeit sorgt allerdings zeitweise auch für Reizüberflutungen.

Von Anika Tasche

Bild: by Julien Reveillon via unsplash, unsplash licence

Mittlerweile prangt am Resi ein riesiges Banner mit der Aufschrift: »Wir spielen im Cuvilliéstheater und im Maststall bis 24. Juli!« Und genau in Ersteres zog es mich diesmal, denn mein letzter Tanztheaterbesuch ließ mich etwas im Ungewissen, was ich nun von dieser Theaterform halten sollte. Wie passend, dass ich das Cuvilliéstheater noch nicht kannte und dort gerade Wim Vandekeybus Die Bakchen – lasst uns tanzen von Peter Verhelst nach Euripides gegeben wird. Bezeichnet wird das Stück vom Theater selbst als Tanz-Musik-Malerei-Theater, sprich es bietet alles und noch mehr als das, was man braucht.

Kontraste, wo man nur hinguckt

Genauso kontrastreich wie das Versprechen des Theaters kam das Haus an diesem Abend daher. In der Residenz selbst liegt das Haus als eines der bekanntesten Rokokotheater Deutschlands. Beeindruckend wie viel Gold verbaut wurde und wie groß schon das Foyer mit Glasdach erscheint. Das imposante Theater lud jedoch nicht nur Anzugträger ein, sondern auch junge Menschen, die eher lässig gekleidet waren. Keine wirklich wilde Mischung, doch man sah auch die eine oder den anderen in Jeans herumschleichen. Der Saal selbst war rot-golden gehalten, wie es im Rokoko ebenso üblich war. Wir nahmen in einer der Logen Platz – auch etwas, das sich in modernen Theatern eher selten findet. Der erhabene Stil war ›dahin‹, als sich der Vorhang hob, denn das Bühnenbild war in Schwarz-Weiß gehalten. Ein großer weißer Turm sowie drei ineinander verkeilte Dreiecke fanden sich auf der ansonsten schwarzen Bühne. Sehr modern im Kontrast zum Rest des Hauses.

Farbe, überall Farbe

Vom Turm glitt kurz nach Beginn des Stücks der in Brüssel bekannte Fassadenkünstler Bonom (eigentlicher Name: Vincent Glowinski), der mit schwarzer Farbe zunächst den Turm anmalte, um danach Dionysus (Niklas Wetzel) mit der Farbe zum Leben zu erwecken. Im Laufe des Abends malte er zunächst eine überdimensionale Frauenfigur auf den Turm und die Blöcke, später bekamen die Schauspieler*innen und Tänzer*innen auch noch ihre Farbe ab, ein wildes Farb- und Tanzgemetzel, passend zur Geschichte von Pentheus (Till Firit). Dieser versuchte ein Tanzgelage Dionysos᾽ zu unterbinden. Sein Plan scheiterte jedoch und er wurde von seiner eigenen Mutter Agaue (Sylvana Krappatsch) und seiner Tante Autonoë als Opfertier zerrissen.

Reihe

Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, bleibt sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.  

Vandekeybus, der nicht nur Tanzchoreografien kreiert, sondern auch als (Film-)Regisseur und Fotograf arbeitet, zeigte sein breites Spektrum an inszenatorischen Mitteln, was allerdings zum Teil auch exorbitant wirkte. Irritierend war auf jeden Fall die Mischung aus Tanz und Sprache, denn die eigentlichen Dialoge kamen oftmals als monologisierte Dialoge daher und verpufften im Raum, da keine wirkliche Interaktion der Schauspieler*innen bei den Gesprächen stattfand. Dahingegen war der Tanz vielmals ekstatisch und übertrieben. Davon abgesehen hatte sich der Regisseur aber einiges einfallen lassen, was durchaus zu eindrucksvollen Bildern führte. So hing Augaue eine ganze Weile an der Wand des Turmes, während auf der Vorderbühne das Stück weiterlief. Bonom malte fröhlich weiter. Er machte auch vor Krappatsch keinen Halt und malte sie komplett schwarz an. Anschließend bekam sie mit der schwarzen Farbe noch spinnenartige Beine gezeichnet. Dies ermöglichte den folgenden Effekt: Sie löste sich von der Wand und hatte offenbar nun wirklich solch lange Beine. Es stellte sich jedoch heraus, dass Bonom sie auf seinen Schultern trug. Ein überzeugender Trick, der auf den ersten Blick Erstaunen hervorrief, bevor man die Szene durchschaute.

Idee über Idee

Darüber hinaus kam oftmals Stroboskoplicht zum Einsatz, um die Ungezähmtheit der wilden Tanzgelage zu verstärken. Laute Musik ertönte dazu und es war kaum noch möglich, die einzelnen Bewegungen zu verfolgen, so gingen sie im ungezügelten Tanz unter. In manchen Szenen ging es aber auch sinnlicher zu. Gleich zu Beginn der Inszenierung näherten sich Männer und Frauen an. Nahezu schwebend bewegten sich die Paare über den Bühnenboden. Wie Pendel hoben die Herren die Damen in die Höhe und ließen sie hin- und herschwingen. Diese Sinnlichkeit ging jedoch im Laufe des Abends verloren und schließlich war alles in Farbe getaucht: Rot, Schwarz, Blau und Gold. Nichts und niemand wurde verschont – die Radikalität von Pentheus’ Handeln kam auf jeden Fall rüber. Dafür hätte man allerdings auf die Dialoge verzichten können und sich gänzlich auf das Choreografische fokussieren können. Die Bakchen – lasst uns tanzen trumpft fraglos mit seinem Ideenreichtum, der jedoch manches Mal zu viel des Guten war. Mal sehen, ob der nächste Theaterbesuch wieder weniger intensiv wird, denn der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr gesehen habe.

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