The Americans

Bei Tag betreibt das Ehepaar Jennings ein Reisebüro in Washington DC, bei Nacht sind sie KGB-Spione. Das Doppelleben stellt sie vor besondere Erziehungsfragen: Wie umgehen mit dem Klassenfeind im Kinderzimmer? Adrian Bruhns über das letzte Prestigedrama des goldenen TV-Zeitalters: The Americans.

Von Adrian Bruhns

Bild: Die Gebrüder Opel via Wikimedia / CCO

»How do I know you‘re not making all this up?«, fragt eine Prostituierte flirtend einen Mann an der Bar. Der hatte zuvor mit seinem privilegierten Zugang zum Präsidenten geprahlt. Er zeigt ihr seinen Mitarbeiterausweis des Justizministeriums. Später am Abend verlässt die Frau nach erfolgreichem Geschäft das Zimmer des Mannes, im Auto streift sie erleichtert ihre blonde Perücke ab. In der nächsten Szene ist dieselbe Frau wieder zu sehen, aber jetzt gibt sie sich als Polizistin aus. Gemeinsam mit einem Partner verhaftet sie einen Mann, schleift ihn in ihr Auto, das so gar nicht nach Polizeiwagen aussieht. Schnell wird klar, die Frau ist weder Polizistin noch Prostituierte. Sie selbst scheint hier bloß etwas vorzugeben.

The Americans ist ein im Washington DC der frühen 80er-Jahre angesiedeltes Spionagedrama und gerade in die fünfte (und vorletzte) Staffel gestartet. Im Zentrum der Serie steht ein Ehepaar, sowjetische KGB-Spione, das unter dem Namen »Jennings« mit seinen Kindern vermeintlich als bürgerliche Familie den amerikanischen Traum lebt. Die Erzählgeschwindigkeit verleiht der Serie eher ein Filmflair als einen typischen Seriencharakter: Zwar hat jede Episode einen internen Spannungsbogen und es gibt einen staffelumspannenden Plot, aber wesentlicher sind die Entwicklung der Figuren und ihre Beziehungen über die ganze Serienspanne. The Americans steht damit in Tradition der TV-Prestigedramen der letzten zwanzig Jahre. So finden sich, wie zu erwarten, thematische Anklänge an The Sopranos und Mad Men, dessen 60er-Jahre bei The Americans die 80er sind. Sorgfältig wird das uns schon so vergangen erscheinende Jahrzehnt in Kostümen, Musik und Themen nachgestellt und offenbart dabei Gewinn und Defizite des Aktuellen. Das ausgerufene »goldene Zeitalter des Fernsehens« realisiert sich aber nicht einfach in der Ausstattung, sondern vor allem in der Schwerpunktsetzung auf das Figureninnenleben, auf den emotionalen Preis der äußeren Handlung. Diese ästhetischen Werte hält die erst 2013 gestartete Serie als letztes Drama seiner Art hoch, während andere Neustarts zum Spektakel zurückkehren.

Elizabeth (Keri Russell) und Philip Jennings (Matthew Rhys) wurden, kaum 20 Jahre alt, im Rahmen des historisch verbrieften »Illegals Program« unter falschen Identitäten in den USA installiert. Hier leben sie als Reisebürobetreiber und Eltern zweier Kinder ein scheinbar normales Leben, während sie zugleich bemüht sind, sich unter Einnahme zahlreicher Alter Egos in den engeren Zirkel von Personen zu arbeiten, die wertvolle Informationen haben könnten. Im Vergleich zu diesen Alter Egos scheint ihr bürgerliches Leben als Ehepaar Jennings wie die Wahrheit. Doch ihre Ehe wurde ursprünglich vom KGB arrangiert, das eingerichtete Familiendasein dient als bürgerliche Fassade vor ihrem Agentendasein und auch diese Namen sind nicht wirklich ihre. Echt sind allerdings die Kinder, die von dem Doppelleben ihrer Eltern zunächst nichts wissen und die Familie in der Realität verankern. Das Leben als die Jennings ist die Basis, von der aus die anderen Scheinidentitäten eingenommen werden können und die selbst nicht kompromittiert werden darf. Die Figur der namenlosen Prostituierten kann über Nacht mit der Perücke weggeworfen werden. Aber das Leben als die Jennings beinhaltet ein Haus und einen Arbeitsplatz – und eben die Kinder. Die immer elaborierter werdenden Kostüme und Perücken des Ehepaars markieren stets optisch, ob sie gerade ihrer Agententätigkeit nachgehen oder ihr echtes falsches Leben führen.

Wie echt oder unecht dieses Leben insbesondere mit Blick auf die emotionalen Bindungen zwischen den Familienmitgliedern ist, wird mit dem Fortschreiten der Serie immer mehr zum eigentlichen Thema. Insofern ist es ebenso ein Familien- wie ein Spionagedrama. Wie echt ist das Familienleben der Jennings? Philip hat noch eine zweite Frau. Lange hat er gearbeitet an und mit diesem »Asset« – eine Person, die meist unter Vorspielung falscher Tatsachen für die Informationsgewinnung gebraucht wird –, die als Sekretärin bei der Spionageabwehr des FBI angestellt ist, indem er unter Verwendung einer seiner Zweit-Identitäten eine Beziehung mir ihr anfängt. Um immer mehr von seinem Asset verlangen zu können, muss auch die Beziehungsintensität stetig gesteigert werden und schließlich ist sein Alter Ego also nicht nur mit der Sekretärin verheiratet, sondern er gibt sich ihr auch letztlich als sowjetischer Spion zu erkennen. Was bedeuten seine Rollen als Ehemann von Elizabeth und Familienvater noch neben dieser zweiten Ehe, die das gleiche oder im Vergleich zu den Kindern sogar ein größeres Level an Vertrautheit erreicht hat?

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The Americans

Autor/in: Joe Weisberg
DreamWorks Television 2013
The Americans, Staffel 1-2, wird auf Netflix gestreamt
Die aktuelle Staffel ist auf iTunes zu haben

    The Americans stellt die zum thematischen Gemeinplatz gewordenen Ehe- und Familienkonflikte um Treue, Privatheit oder unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung mit einer Steigerung ins Existenzielle in ein neues Licht. Wo andere Fernseh-Eltern sich nicht darüber einig sein mögen, was ihre Kinder anziehen dürfen und was nicht, ist sich das Ehepaar Jennings uneins, in welchem Umfang die Kinder letztlich aufgeklärt und womöglich sogar in die Agententätigkeit einbezogen werden sollen. Eine Einbeziehung würde ihrer Familie eine Art von Echtheit verleihen, die sie bisher nie hatte, denn zumindest das eigene Familienleben stünde dann nicht mehr auf einem fiktiven Fundament. Vor allem aber könnten die Kinder lernen, die Werte ihrer sowjetischen Eltern zu teilen. Doch die beiden wären auch den gleichen Gefahren von Entlarvung und – schlimmer – Ermordung ausgesetzt. Und nicht zuletzt birgt eine Offenbarung das Risiko, die Kinder selbst könnten ihre Eltern aufgeben und enttarnen. Wie also umgehen mit dem Klassenfeind im Kinderzimmer? Das sind Erziehungsfragen von Gewicht!

    Serienschöpfer Joe Weisberg trifft schließlich die kluge kreative Entscheidung, Tochter Paige in das Geheimnis der Eltern einzubeziehen, aber ihren jüngeren Bruder nicht. So wird der Lose-Lose-Charakter dieser Situation offenbar. Verstärkt widmet sich die Serie ab der dritten Staffel dem Verhältnis zwischen Eltern und Tochter, die, noch bevor sie das Doppelleben ihrer Eltern durchschaut hat, zum Mitglied einer Gruppe von Kumbaya-Christen geworden ist, ganz zum Schrecken ihrer säkularen Eltern. Während die Jennings daran arbeiten, die Pläne für eine Trägerrakete von einem Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums zu stehlen, geht Tochter Paige mit ihrer Gemeinde gegen die atomare Aufrüstung demonstrieren. Nachdem sie das Geheimnis ihrer Eltern zumindest ansatzweise aufgedeckt hat, gelingt es denen, Paige davon zu überzeugen, dass sie doch eigentlich für die gleiche Sache arbeiten: den Frieden zwischen den Blöcken. Zum ersten Mal wittert insbesondere Mutter Elizabeth die Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit mit der Tochter zu finden. Aber Paige wird zerrieben zwischen der Loyalität zu den Eltern und ihren doch ganz eigenen Überzeugungen.

    Ganz anders Sohn Henry. Der Auftakt der fünften Staffel widmet sich thematisch dem Eltern-Sohn-Verhältnis, obwohl er selbst in der Folge nur für Sekunden auftaucht. »Is Henry coming? Where has he been lately?«, fragt der Nachbar der Jennings, als Paige zum Abendessen vorbeikommt. Paige versichert, er käme gleich nach, und das tut er auch. Henry sagt Hallo, kurze Einstellung auf das Geschwisterpaar neben dem Sohn des Nachbarn, Schnitt, das war sein ganzer Auftritt für die Episode. Trotzdem ist das Verhältnis zum Sohn das Hauptthema dieser Folge. Henry weiß weiterhin nichts vom Leben seiner Eltern und dieses Unwissen macht ihn nun auch gegenüber der Schwester zum Außenseiter. Die Situation der Jennings hat sich über die letzten Monate zugespitzt, ihre Enttarnung drohte mehr denn je und das vorgetäuschte Familienleben nimmt einen immer kleineren Teil ihrer Welt ein, was für Henry bedeutet, dass sein halb echtes, halb fiktives Leben immer weiter reduziert wird. Die Frage, wo Henry steckt, sollten sich eigentlich seine Eltern stellen, aber die haben anderes zu tun. Längst hat Henry sich den Nachbarn als alternative Elternfigur genommen und verbringt dort mehr Zeit als Zuhause.

    Seine eigentlichen Eltern sitzen derweil selbst unter anderem Namen und mit einem anderen Sohn bei Bekannten am Esstisch. Die Episode eröffnet mit einer dem Zuschauer ganz unbekannten Figur in einer High-School. Ein jugendlicher Schüler erbarmt sich und freundet sich beim Lunch mit einem neuen Schüler an, offenbar einem Flüchtling aus der UdSSR. Nach der Schule geht der kontaktfreudige Junge nach Hause und erzählt seinen Eltern davon. Die Eltern, ein Pilot und eine Stewardess, beide in Uniform, erkennen wir sogleich als die Jennings in neuer Perücke. (Serienfreunde erinnern sich hier womöglich an den Auftakt der ebenfalls fünften Staffel von Buffy, in dem die Vampirjägerin am Frühstückstisch auf ihre dem Publikum noch nie begegnete Schwester Dawn trifft, als hätte diese immer schon dort gelebt und habe nur nie Erwähnung gefunden.) Das neue Leben und der neue Sohn sind zwar nur eines der vielen bis ins letzte Detail ausgestalteten Kurzzeitcover der beiden, aber dieser falsche Sohn nimmt tatsächlich am Leben der beiden vermeintlichen Eltern teil, ist er doch eingeweiht und hilft ihnen, über den Flüchtlingssohn an dessen Eltern heranzukommen. Dort sitzen sie nun alle gemeinsam beim Abendessen. Während der ganzen Episode treffen die Jennings nicht auf Henry. Als sie nach dem Essen mit ihrem ausgedachten Sohn wieder zu ihrer eigentlichen Familie heimkehren, informiert sie Paige beiläufig, »Henry is in his room«. Anders als der Nachbar hat hier aber niemand nach dem Verbleib des Kindes gefragt.

    Die episoden- und staffelweise gesponnenen Themen leben in den Zwischentönen, in kurzen Blicken, Nebensätzen und Kameraeinstellungen. Das Verhältnis zu den Kindern etwa entwickelt sich in dieser Folge thematisch vor allem anhand von Stellvertreterfiguren wie dem ausgedachten Sohn. Jedes wiederholte Anschauen vergrößert den Bedeutungsüberschuss. Diese Anklänge in einer Rezension explizit zu machen, birgt die Gefahr einer Fehldarstellung ihrer Subtilität und Komplexität. Durch die Variationen der Themen in immer neuen Konstellationen entzieht sich die Serie einfachen Antworten. Wenn Rezensionen die Serie immer wieder als die zurzeit beste im Fernsehen bezeichnen, haben sie Recht. Aber sie irren sich grandios, wenn ebenso häufig behauptet wird, sie sei politisch brisant, weil die Wirklichkeit die Serie eingeholt habe. Russische Wahlkampfeinmischung hin oder her, die UdSSR dieser Serie und ihr Verhältnis zu den USA teilen mit dem heutigen Russland recht wenig, sodass der Vergleich der politischen Lagen witzlos ist. Vor allem sticht The Americans mit der emotionalen Nadel ins Private und nicht ins Politische. Natürlich ist es weiterhin auch eine Spionageserie, die Spannung aus den entsprechenden Agentenplots generiert, den Morden und Überfällen, dem Katz- und Mausspiel zwischen FBI und Kommissariat. Zwar wird hier auch der politische Systemkonflikt der 80er dargestellt. Doch bei diesen Konflikten handelt es sich um den Aufhänger, die Frage nach der Echtheit von Beziehungen ins Existenzielle zu steigern. How do I know you‘re not making all this up?

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