Still, medium oder prickelnd?

Es ist Samstagabend. Wir treffen uns mit Freunden, um nach der anstrengenden Woche zusammen etwas trinken zu gehen. Dass mit »was trinken gehen« Alkohol gemeint ist, ist dabei vollkommen klar. Wir verabreden uns ja nicht für ein Glas Wasser. Beim Trinken machen alle mit, und sollte es doch jemanden geben, der auf Alkohol verzichtet, bekommt diese Person oft den Stempel des Langweilers beziehungsweise der Spaßbremse aufgedrückt. Man solle sich gefälligst nicht so anstellen. Ein Gläschen Wein oder ein Bier hätten noch keinem geschadet! Wie aber ist es, mit Leuten etwas trinken zu gehen, obwohl man dem Alkohol abgeschworen hat?

Von Verena Stanusch

Bild: Life Of Pix via pexels / CCO

Allein unter Trinkern

Alkoholkonsum gehört seit Jahrhunderten zum Kulturgut unserer Gesellschaft. Wenn wir uns zum Trinken treffen, wird davon ausgegangen, dass auch alle mitmachen. Schließlich sind diese Abende immer sehr lustig. Was aber, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, auf den Alkohol aber nicht auf die angenehme Gesellschaft verzichten möchte? Im ersten Teil von Nüchtern am Weltnichtrauchertag beschreibt Benjamin von Stuckrad-Barre einen netten Abend mit Freunden oder Kolleginnen. Nur eben aus der Perspektive des einzigen Nichttrinkers am Tisch. Statt Wein, Sekt oder Bier beschränkt sich seine Wahl auf Wasser mit oder ohne Sprudel.

Kann man wirklich auch ohne Alkohol Spaß haben? Die ernüchternde Antwort, die Benjamin von Stuckrad-Barre darauf gefunden hat, lautet: Nein, man tut eben nur so. Bleiben alle am Tisch nüchtern, mag das vielleicht noch gehen. Spaß hat man nüchtern aber zumindest dann nicht, wenn der Rest der Gruppe den ganzen Abend über Alkohol konsumiert. Denn während alle um einen herum immer ausgelassener werden, wird man selbst zum Außenseiter. Als würde jeder denselben Witz erzählt bekommen, aber nur diejenigen, die vorher ein lustig machendes Getränk zu sich genommen haben, sind in der Lage, ihn zu verstehen. Da hilft selbst die anfängliche freudige Überlegung darüber, was man mit dem nicht verkaterten nächsten Morgen alles anfangen kann, wenig.

In seinem letzten Buch, der autobiographischen Erzählung Panikherz, beschrieb Stuckrad-Barre den Rausch. Das Gefühl, von Alkohol und Drogen völlig euphorisiert zu sein. Bis hin zum Absturz. Das im Gegensatz zu der fast 600 Seiten umfassenden Autobiographie nicht einmal 100 Seiten lange Büchlein Nüchtern am Weltnichtrauchertag liefert den starken Kontrast zum Hochgefühl des Rausches. Nüchtern, und zwar ohne Ausnahme. Selbst, wenn der Kellner zum dritten Mal mitleidig fragt, ob es wirklich nichts Anderes als Wasser sein darf. Selbst, wenn man ständig das »zum Gläschen verniedlichte Alkoholglas« angeboten bekommt. Selbst, wenn man auf ewig die »nüchterne Antithese« zur Rauschstimmung der anderen bildet.

Pro Alkoholkonsum

Nur woher kommt eigentlich dieses Bedürfnis, alle zum Mittrinken überreden zu wollen? Sollte es in unserer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft nicht möglich sein, auf Alkohol zu verzichten, ohne direkt als verdächtig eingestuft zu werden? In einem ZEIT-Artikel schaut die Autorin Fabienne Hurst genauer hinter die gesellschaftlichen Kulissen und analysiert, warum gerade Alkohol diesen übermächtigen Gruppenzwang auslöst und warum wir immer versuchen, die übrigen Gäste mit ins Party-Boot zu holen.

Zunächst einmal macht alleine trinken natürlich keinen Spaß. Wenn wir mit jemandem in einem Restaurant sitzen und das Gegenüber bestellt lieber Wasser als Wein, grenzt das automatisch die Freude am eigenen Genuss ein, da wir uns ja mit niemandem darüber austauschen können. Alkohol ist außerdem eine Form der sozialen Interaktion. Wir treffen uns zum Vorglühen, wir trinken noch einen Absacker etc. Jeder, der keinen Alkohol trinkt, kann bei dieser Art von Zusammenspiel zwar anwesend sein, wird aber irgendwann aus der Kommunikation ausgeschlossen, wie auch von Stuckrad-Barre beschrieben. Bekanntermaßen gilt Alkohol als universelles Heilmittel gegen peinliches Schweigen. Selbst, wenn das Gespräch beim ersten Glas noch stockt, können wir uns zumindest über das, was im Glas ist, austauschen. Bei Wasser oder Apfelsaft wird das etwas schwierig.

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Benjamin von Stuckrad-Barre
Nüchtern am Weltnichtrauchertag

KiWi 2016
80 Seiten, 8,00€

Durch den Konsum von Alkohol signalisieren wir außerdem, dass wir gerne dabei sind und uns genau da wohl fühlen, wo wir sind. Wir sind alle gleich in unserem Ziel, uns heute einfach mal gehen zu lassen und einen lustigen Abend zu genießen. »Nüchterne Kontrolleure«, wie Hurst sie nennt, stehen uns dabei nur im Weg. Denn sie sind diejenigen, die uns daran erinnern, dass wir uns eigentlich zusammenreißen sollten. Wir versuchen also die Überwachenden zum Trinken zu überreden, damit wir uns selbst nicht so mies dabei fühlen müssen. Wir können quasi das schlechte Gewissen, das uns gegenüber sitzt, zum Mittäter machen. Dass der Abend für einen Nichttrinker oder eine Nichttrinkerin unter dem Aspekt der Nötigung alles andere als entspannt ist, vergessen dabei viele.

Es bleibt stressig

Mit Humor aber doch ernst erläutert Stuckrad-Barre den üblichen Ablauf eines solchen Abends. Woran erkennt man den Moment, in dem man besser geht, und vor allem: Wie macht man sich möglichst unauffällig und ohne unangenehme Fragen aus dem Staub? Schnell wird klar, dass der Abend immer nach einem bestimmten Muster verläuft. Was Stuckrad-Barre beschreibt, ähnelt eher einem Spießrutenlauf als dem lustigen Event, an das die meisten von uns denken. Es ist schon erstaunlich, wie weit die Wahrnehmungen auseinandergehen, abhängig davon, ob man Alkohol konsumiert oder nicht. Obwohl viele der Situationen mit einem ironischen Unterton beschrieben werden, schwingt auch immer ein wenig Bitterkeit in Stuckrad-Barres Worten mit.

Weltnichtrauchertag

So viel zur Nüchternheit. Was das Ganze mit dem Weltnichtrauchertag zu tun hat, erklärt der Autor im zweiten Teil des Buches.
Um der Alkoholabstinenz die Schwere zu nehmen, führt Stuckrad-Barre im zweiten Teil Buch über den Tagesablauf eines Rauchers. Denn auch wenn der Autor seit 2006 keinen Alkohol mehr anrührt, so bleiben ihm zumindest die Zigaretten. Eben auch am Weltnichtrauchertag – klar, Rebellion muss sein. Es gibt immer einen guten Grund, eine Zigarette zu rauchen, sei es die Abschätzung der Pausenlänge zwischen Terminen oder das gute Wetter. Mehr allerdings passiert hier nicht, die Vehemenz, mit der der Autor sein permanentes Rauchen schildert, wirkt beinahe wie ein erhobener Mittelfinger gegen die, die trinken dürfen.

Da der zweite Buchteil lediglich unterhaltsam ist, stimmt der erste umso nachdenklicher. Analytisch und ehrlich bieten die Schilderungen einen Einblick in die Welt eines Abstinenzlers. Und spannend sind die Beobachtungen, die man an sich selbst als LeserIn dabei machen kann: Grinsen wir da etwa, weil wir denken: Zum Glück muss ich mich nicht mit so etwas herumschlagen? Runzeln wir die Stirn, weil wir denken: Ich muss mir eine Stuckrad-Barre-Scheibe abschneiden? Wie auch immer wir uns entscheiden: Nüchtern am Weltnichtrauchtertag ist eine gekonnte Trink-Analyse der Gesellschaft mit einer notwendigen Portion Selbstreflektion.

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