Spucke in Texas

»Ich habe es getan, ich habe meine Spucke nach Texas geschickt«, so beginnt Hape Kerkeling seine Lesung im Deutschen Theater am 27.10. Die Ergebnisse seiner Ahnenforschung hat er in seinem Buch Gebt mir etwas Zeit niedergeschrieben. Mit Applaus und Gelächter wird er in Göttingen am letzten Abend des Literaturherbstes empfangen.

Von Marie Bruschek

Bild: Marie Bruschek

Schallendes Gelächter hallt durch die Ränge des großen Saals: Das Deutsche Theater bebt, als Hape Kerkeling die Bühne betritt. Im Rahmen des alljährlichen Literaturherbsts stattet der Komiker Göttingen einen Besuch ab, Anlass ist sein neuestes Buch Gebt mir etwas Zeit. Auf der Bühne ist nur Kerkeling, bewaffnet mit dem Text und einer Menge Lesezeichen. Doch gleich in der ersten Reihe unterstützen ihn sein Mann – der sei immer dabei – und seine Lektorin. Nicht, dass weitere Unterstützung nötig wäre: Ganz Göttingen ist von Beginn an begeistert vom Entertainer.

Kerkeling in Göttingen, das Publikum begeistert

Als klassische Lesung möchte Kerkeling sein Programm nicht verstanden wissen. Neben drei vorgelesenen Kapiteln ist viel Raum für Fragen, die Kerkeling gerne beantwortet, sowie für spontane Interaktionen mit dem Publikum. Zuerst möchte er jedoch etwas erfahren, nämlich wie weit seine Zuhörer:innen angereist sind. »Aus Hamburg!«, wird unter anderem zurückgerufen, es ginge noch am selben Abend mit dem Metronom zurück. »Mit dem Zug? Sie sind ja verrückt!« antwortet Kerkeling, das Publikum reagiert mit Gelächter.

Gebt mir etwas Zeit sei teils eine Reaktion auf die Pandemie gewesen. Sie hätte ihm die nötige Zeit gegeben, sich mit Ahnenforschung zu befassen: »Ich habe es getan, ich habe meine Spucke nach Texas geschickt«, so der Komiker. Mittels DNA-Analysen und Internetforen bringt Kerkeling etwas Licht in die Dunkelheit seines genetischen Ursprungs. Das Eintauchen in die genetische sowie eigene Vergangenheit reflektiert der Text vielseitig: Er behandelt sowohl den Anfang seiner Karriere als auch den Anfang der Familie Kerkeling als solche – zumindest, bis wohin sich diese nachvollziehen lässt. Einen vor allem niederländisch und britisch geprägten Stammbaum weist der Autor auf. Seine Vorfahren waren teils reiche, gut situierte Händler – »und in meinem Buch erzähle ich den Abstieg bis zu mir«.

Vier Prozent italienische Gene seien auch dabei, diese kämen von Geronimo und Lucrezia, deren Kind in Holland blieb. Dieses Kind italienischer Eltern wurde Teil der Familie Kerkeling und: »man merkt’s bis heute noch«, so Kerkeling augenzwinkernd zu seinem »südeuropäischen Flair« – damit sind vermutlich veraltete Stereotype und Klischees gemeint. Mit Anekdoten schlüsselt er für den ausverkauften Saal auch diese kleinen Anteile seiner genetischen Ursprünge auf. In den drei vorgelesenen Kapiteln geht es um ihn und seine Oma, die eine Leidenschaft für den europäischen Adel teilen. Es geht um die Anfangszeit der Unterhaltungsindustrie, aber auch um ein ausgedachtes Treffen seiner Ahnin mit König Edward VII. Diese Mischung macht Lust auf den Text: Ist letztere eine Geschichte wie ein klassischer Prosatext, sind die ersteren eher persönlich-biografisch geprägt. Ahnenforschung kann demnach zum Reflektieren eigener Interessen führen (wie die Vorliebe für Tratsch aus Adelsfamilien), zum Ausdenken von Fahrradunfällen, zum Reminiszieren. Kerkeling ermutigt sein Publikum aktiv dazu, es ihm nachzutun: »Aber machen wir uns nichts vor, man sucht sich Familie nicht aus«. Familie und Herkunft bleiben zentrale Themen des Abends.

Fragerunde im großen Kreis

Die Einblicke in das Buch werden mit großem Applaus empfangen, seine Antworten auf diverse Fragen sind Grund zum Lachen. Denn die sind trocken, ehrlich, ungeskriptet. Ob er den Jakobsweg nochmal laufen werde? »Ich bin doch nicht bekloppt!« Er habe es zwar ein zweites Mal versucht, sei aber durch Waldbrände zum Abbrechen gezwungen worden und hätte darauf das getan, was er beim ersten Mal schon hätte tun sollen: »Ich war in einem Hotel am Meer, und hab mir die Gin Tonics am Pool reingekippt«. Könne man es lernen, witzig zu sein? Der inzwischen 59-Jährige meint: ja. Er selbst mag alle, die in der Comedy vertreten sind, »ich finde sogar die gut, die ich nicht gut finde«, der Vielfalt wegen. Ob man seine Einschätzung teilt, dass die Welt inzwischen empfindlicher ist und man es als Comedian schwerer hat, ist eine andere Sache. Man könnte dem entgegensetzen, dass die Sensibilisierung für Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit in den letzten Jahrzehnten auch in der Unterhaltungsindustrie zu Recht und zum Glück gewachsen ist. Wie man eine Disney-Rolle bekommt, ist eine weitere Frage aus dem Publikum. Journalist:innen sollen an dieser Stelle nicht mitschreiben, der genaue Vorgang sei geheim, sagt Kerkeling streng. Doch überraschend ist sein Bericht keineswegs, grob darf sicher wiedergegeben werden: Kerkeling wurde zu einem Vorsprechen eingeladen, wusste jedoch nicht, wofür. Nachdem das Casting gut lief, wurde er zu Olaf, dem Schneemann.

Eine Frage fasst den Abend gut zusammen: Wird er Göttingen nochmal einen Besuch abstatten? »So nett wie Sie hier sind, komme ich öfter vorbei«. Ein Abend, der sowohl für Hape Kerkeling als auch für das Publikum ein voller Erfolg war. Gemeinsam lachend, so klingt der 33. Literaturherbst aus.

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