Sehnsucht und Schmerz in Glasgow

In Douglas Stuarts neuestem gesellschaftskritischen Roman Young Mungo gibt es kein Thema, das Tabu ist. Das Leben und Leiden einer queeren Person in einer queerfeindlichen Welt wird in all ihren Facetten gezeigt und lässt eine:n schaudern und den Kopf schütteln.

Von Anna Klaehn

Bild: Via Pixabay, CC0

Young Mungo von Douglas Stuart gibt einen Einblick in die Lebensrealität der frühen 90er in Schottland. Erschienen ist das englische Original im April 2022 bei Macmillan Publishers, die deutsche Übersetzung nun bei Hanser Berlin. Im Leben des 15-jährigen Protagonisten Mungo stehen Probleme wie Gewalt, Alkoholismus, Armut, Jugendschwangerschaften, Klassen- und Religionskonflikte an der Tagesordnung. Als Hauptmotive wählt Stuart den Konflikt der queeren Existenz in einer queer-feindlichen Gesellschaft. Jedoch nimmt auch der Konflikt zwischen katholischen und protestantischen Menschen Raum ein.

Zunächst verwirrend wirkt die Erzählperspektive des Romans, da teilweise in Rückblenden erzählt wird. Die Haupterzählung bildet ein Angelausflug, zu dem Mungo von zwei Männern begleitet wird. In abwechselnden Kapiteln erfolgt eine Rückblende ein paar Monate in die Vergangenheit und es werden die Ereignisse beschrieben, die letztendlich zum Angelausflug geführt haben.

Der Fokus des Romans liegt auf Mungos Erlebnissen, aber trotzdem werden auch Probleme anderer Charaktere beleuchtet, die für größere gesellschaftliche Fragen stehen. Mungos Leben gestaltet sich nicht einfach: Er lebt in Armut in einer Wohnsiedlung in Glasgow und ist isoliert von Gleichaltrigen, da diese ihn aufgrund seiner vermeintlich komischen Art ausschließen. Seine einzige Bezugsperson bildet seine ältere Schwester Jodie. Während sie in die Rolle der Mutter schlüpfen muss, sucht ihre alkoholabhängige Mutter ihr Glück bei einem anderen Mann, anstatt bei ihrer Familie. Zudem wird Jodie mit einer Schwangerschaft konfrontiert, und Stuart zeigt Brutalität und Verzweiflung junger Frauen auf, die ungewollt schwanger werden und das Kind nicht behalten wollen oder können. Eine Art Vaterrolle übernimmt der älteste Bruder Hamish, der seine Freizeit damit verbringt, Katholiken zu verprügeln und diese gewalttätige Attitüde auch mit nach Hause bringt.

Queerness in einer queerfeindlichen Welt

Mungos Leben wendet sich, als er zufällig auf James in dessen Brieftaubenstall trifft. Die beiden Außenseiter verstehen sich gut und es erblüht schnell eine innige Freundschaft. Beide träumen davon auszureißen und sich gemeinsam ein neues Leben aufzubauen, da Homosexualität zu dieser Zeit immer noch stigmatisiert und kriminalisiert wird. Ein harmloser Kuss zwischen zwei Männern in der Öffentlichkeit kann zu einer Verurteilung führen und das Ansprechen eines anderen Mannes kann als Belästigung verstanden und geahndet werden.

In einer eindrucksvollen Szene radeln Mungo und James zu einem kleinen Hügel, der das Gefängnis überblickt. Auch wenn sie dort scheinbar allein sind, trauen sie sich nicht ihre Zuneigung zu zeigen, aus Angst verhaftet zu werden. Sie blicken sinnbildlich auf ihre Zukunft, sollten sie ihre Liebe jemals offen kundtun.

Schlussendlich werden Mungo und James von Hamish entdeckt, was darin resultiert, dass Mungo auf den anfangs erwähnten Angelausflug geschickt wird. Hierbei stellt sich zu einem heraus, dass Mungos Begleiter auf diesem Ausflug vorbestrafte Sexualstraftäter sind, und zum anderen, dass dieser Trip als Art »Konversionstherapie« für Mungo dienen soll. 

Eine nüchterne Reise durch Natur und Gesellschaft

Der Roman zeichnet sich durch zwei Aspekte besonders aus. Zum einen begibt man sich auf literarische Reise durch Schottland: Durch Beschreibungen erkundet man Teile von Glasgow, aber man lernt auch das Umland kennen, wie z.B. den Loch mit umliegenden Wäldern, Dörfern und einer herunterkommenden Schlossruine. Lesende, die an Sprachen und Dialekten interessiert sind, kommen im englischen Original hier auf ihre Kosten. Stuart baut bewusst schottische Vokabeln und Aussprache ein, um ein authentisches Bild zu vermitteln. Beispielsweise wird im Roman »police« zu »polis«. Dies lässt einen schmunzeln, aber auch teilweise verzweifeln, wenn man nicht an diese Sprache gewöhnt ist.

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Douglas Stuart
Young Mungo

Hanser Berlin: Berlin 2023
416 Seiten, 26,00€

Zum anderen schockiert Young Mungo mit der rauen Nüchternheit in der Erzählweise. Besonders eindrücklich ist die in der Welt des Romans vorherrschende Haltung zum Religionskonflikt und zu Homosexualität. Oft findet sich Mungo ungewollt in Straßenkämpfen zwischen Protestanten und Katholiken wieder und muss entscheiden, ob er sich mutig dagegen ausspricht oder ob er aus Angst vor seinem Bruder und möglichen Bestrafungen seine Moralvorstellung ausblendet und mitkämpft. Einprägsam ist ein Gespräch zwischen den Brüdern vor einem solchen Kampf. Mungo versucht verzweifelt, Hamish vom Kämpfen abzuhalten, und fragt, warum er Hass gegen die Katholiken hege. Hierauf antwortet der Ältere, dass er es selbst gar nicht so wirklich wisse und es einfach schon immer so gewesen sei. Dies zeigt die erschreckende Realität des Religionskonflikts in Schottland, aber auch in anderen Teilen des UK wie z.B. in Nordirland: Die Wurzeln des Konflikts liegen so tief, dass der Kampf selbst heutzutage aus Tradition weitergeführt wird.

Homosexualität wird als Phase verstanden, aus der man herauswachsen kann und es wird in Stammtischparolen darüber geurteilt. Der Roman ist ein Einblick in die schockierende Lebensrealität einer jungen queeren Person in den frühen 90ern. Deren Darstellung ist gut gelungen, denn Stuart schafft es komplexe Themen, wie beispielsweise erste Erkundungen queerer Identität oder die Queerfeindlichkeit der Gesellschaft mit alltäglichen Handlungen und Situationen zu zeigen. So wird ein realistisches und authentisches Bild geschaffen. Auch wenn sich seit den 90ern viel zum Positiven verändert hat, ist Homosexualität noch immer stigmatisiert und steht in manchen Teilen der Welt sogar unter Strafe. Mungos Geschichte erinnert an eine queere Version von Romeo und Julia, Mungo und James stehen auf verfeindeten Seiten (einer als Protestant, der andere als Katholik) und finden trotz dieser Umstände zueinander. Es lässt das Herz bluten und den Kopf schütteln. Warum ist manche Liebe verwerflich?

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