Schimpfen über… Harry Potter

»Geschmäcker sind verschieden.« Obwohl im Mainstream Platz für Abneigungen gegen am Kult vorbeigerauschte Trash-Filme und Liebesnovellen ist, scheint der Toleranz predigende Spruch seine Grenzen zu haben. Denn seine schimpfenden Fans machen Harry-Potter-Aversionen zum Tabuthema.

Von Theresa Croll

Bild: Via Pixabay, CC0

Es sind zunächst eure von Skepsis getränkten Blicke, die anschließende Empörung glitzert in euren Augen: »Wie kann man Harry Potter nicht mögen.« – Eine Frage, die auch noch in 50 Jahren Zweifel an meiner Existenz als Millenial schüren wird. Die allgemein plädierte Toleranz gegenüber persönlichen Vorlieben und Abneigungen findet ein Ende, wenn der blitzgestirnte Zauberboy Nummer eins in Verruf gerät. Es gibt offenbar kulturelle Phänomene, deren festgeschriebene Würdigung nicht in Frage gestellt werden sollte. Was mir wegen Harry-Potter-Antipathien entgegenschlägt: Sozialer Ausschluss, Diffamierung, Hass. Alles, was ich will: meine Ruhe.

Eine Chronologie meiner Gleichgültigkeit

Ich bin 10 und schaue mit meinem Stiefbruder Der Stein der Weisen. Die Eule finde ich niedlich, die Handlung verstehe ich nicht, aber ich schaue auch nicht richtig hin. Mein Bruder ist so alt wie Harry, er mag den Film, aber »die Bücher waren besser.« Nee, nee, lass mal. Ich lese lieber andere Bücher und konzentriere mich beim Filme Gucken auf Disney und Die Wilden Kerle.*

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Ich bin 19 und fange mit meiner amerikanischen Gastfamilie an, den zweiten Teil zu schauen. Bäume kreischen (?), ich finde den Film uninteressant, ein sechsjähriges Kind macht sich über mich lustig. Ich gräme und schäme mich aber trotzdem nicht, Harry Potter-Resilienz.

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Ich bin 23, die Harry Potter Story ist zu Ende, aber ich kenne sie immer noch nicht. Ich sage gerne den Namen Voldemort, weil dann alle schreien DU DARFST DEN NAMEN NICHT SAGEN. Andere Charaktere kenne ich nur durch popmediale Repräsentation. Ein Freund ist der erste, dem es mit mir reicht.¹ Er bringt mich dazu, die Hörbücher von Rufus Beck zu hören, die Bücher seien ja sowieso besser und man müsse sie zuerst lesen. Rufus Beck kenne ich noch von Die Wilden Kerlen und ich mag ihn. In drei Jahren werde ich ihn treffen und meine Freund*innen werden neidisch sein: »Ausgerechnet du, Theresa.«

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Ich bin 25, habe über die letzten beiden Jahre hinweg die ersten vier Hörbücher gehört und für jedes circa ein halbes Jahr gebraucht. Im Anschluss an jedes schaue ich den entsprechenden Film. In zwei Jahren werde ich mich nur noch brüchig an die Handlung erinnern. Denn Harry Potter und alles, was damit zu tun hat, ist mir egal.

Um fair zu bleiben: Sage ich Harry-Potter-Antipathie, meine ich eigentlich euch. Korrekterweise müsse ich also Harry-Potter-Fan-Antipathie sagen. Den Hype-Train nach Hogwarts habe ich verpasst, das heißt, ich wollte auch gar noch nie aufspringen. »Komm, komm«, versucht ihr mich nach Jahren noch mitzuzerren. Eure Persistenz nervt, eure manischen Versuche, mich zu bekehren. Ihr gebt euch rational und bildungsbürgerlich, befeuert eure Argumentation aber mit besorgniserregender Sektenrhetorik.

Manchmal behaupte ich, ihn zu hassen, nur um euch zu provozieren. Die einzige Genugtuung, die sich mir aus unseren Diskussionen ergibt, ist, wie ihr ganz langsam eine Kette von Emotionen abarbeitet, jede*r einzelne von euch, denn ich treffe euch mit meiner Potter-Lethargie schwer. Schock, Fassungslosigkeit, Wut. Ich frage häufig, wieso man als sogenannter Zauberer sich nicht einfach die Welt zusammen hext, wie sie einem gefällt, doch aufgebrachte Hogwarts-Maniacs erklären mir immer wieder, dass das mit der Magie ja sehr komplex sei: »Zaubern geht nicht so einfach, das ist eine Wissenschaft und ja auch sowieso sehr schwer zu lernen.« Merkt ihr’s zumindest selbst?

Wirklich nichts ist mir egaler als dieser Harry und seine Crew (außer vielleicht Frodo und seine Crew1»Oh mein Gott Theresa, was für eine Schande, das ist Literatur- und Filmgeschichte«). Aber ihr Fanatiker, ihr Hardcore-Fans, ihr Besessenen unterstellt mir Kulturlosigkeit, ihr schaut mich mit euren Zornesfalten im Gesicht an: »Wie kannst du nur?« Ich habe nichts für Fantasiewesen übrig, ich möchte keine Zauberer und Hexen und ekelige, schleimige Geschöpfe sehen, ich möchte nicht sehen, wie Jugendliche auf Besen reiten. Segelohr-Hauselfen mit unerträglichen Stimmen, Zwerge, Zentauren … oder wie ich es nenne: Quatsch.

Schimpfen über…

In der neuen Semesterferienkolumne versucht Litlog eine Rehabilitation des Schimpfens. In unregelmäßigen Abständen erscheinen hier Texte, die über die polemische Auseinandersetzung eine neue Perspektive auf ihren Gegenstand eröffnen. Alle Beiträge im Überblick findet ihr hier.

Ich möchte Harry Potter ignorieren, aber ihr lasst mich nicht. Mir ist es egal, ob ihr damals die Ersten nachts in der Schlange vor den Buchhandlungen wart, mit dämlichem Blitz auf der Stirn und gelb-rot gestreiften Schals. Sollen doch alle machen, was sie wollen.Ihr ladet mich aber zu euren Mottopartys und Filmabenden ein, um euch dann regelmäßig vergewissern zu wollen, dass sich hinter meiner zynischen Fassade nicht doch ein Möchtegern-Fan verbirgt. Ihr verwandelt meine Gleichgültigkeit so langsam in Abneigung, wegen euch werde ich Harry Potter niemals mögen wollen. Wieso kann es euch nicht egal sein, dass es mir egal ist? Toleranz gilt – zurecht! – als eines der höchsten gesellschaftlichen Güter und doch möchtet ihr mich in Streitgesprächen zerpflücken. Ich belästige euch nicht damit, ich habe noch nie ein Gespräch mit, »Puh, Harry Potter, mag ich gar nicht«, begonnen, aber ihr werft mir immer wieder Referenzen an den Kopf, die ich nicht verstehe, woraufhin ich sagen muss, dass es mir nichts sagt. »Wie, du kennst Harry Potter nicht?«2»Oh mein Gott Theresa, was für eine Schande, das ist Literatur- und Filmgeschichte«

Mittlerweile kenne ich Harry Potter. Vor Public Shaming wegen Unwissenheit wäre ich geschützt, vergäße ich nicht ständig Handlungsstränge und verwechselte Charaktere. Einmal sprach ich vor ungläubigen Gesichtern von dieser Challenge. »Challenge?« – »Na, da wo Robert Pattinson stirbt und dann ist da ein Labyrinth und auch Voldi.« Nach kurzer unangenehmer Stille fragte man mich mit regungsloser Miene, ob ich das Trimagische Turnier meine. Diese Gespräche haben mir so viel kostbare Lebenszeit geraubt. Im Schnitt führe ich einmal im Monat ein einstündiges Gespräch über meine Harry Potter-Gleichgültigkeit: »Aber hast du überhaupt die Bücher gelesen, diesindjasovielbesser.« Das sind über 200 Stunden in den vergangenen 17 Jahren, in denen Harry Potter mein Leben stört. Allein, dass mich diese Gespräche zum Schreiben dieses Textes und zum Ausrechnen dieser Zahl brachten, ist Lebenszeit, die ich mit Harry Potter verschwendet habe.

In ferner Zukunft wünsche ich mir eine Welt ohne Harry Potter und euch Fans. Ist es nicht an der Zeit, Hogwarts hinter uns zu lassen? Get over it, schafft Platz für Neues, steckt eure Energie in wichtige Dinge. Erzürnt ihr mich mit eurer Harry Potter-Aufdringlichkeit, wird es ab jetzt meinerseits Whataboutisms hageln. Ach so, ihr beschäftigt euch lieber mit fiktivem Zauberkram als ernstzunehmenden politischen und klimatischen Bedrohungen, nun gut. Oder: Ihr lasst mich in Ruhe, ich lasse euch in Ruhe ­– ein Friedensangebot.

Ich hasse Harry Potter nicht (mehr). Hass ist ein Gefühl und mir sind meine Gefühle wirklich zu schade für irrelevante Fantasiewelten. Auch euch hasse ich nicht. Viel mehr konzentriert sich mein Hass auf etwas, wofür ich mindestens genauso viel, wenn nicht noch mehr Ablehnung erfahre: Tomaten. Glitschig und ekelig, nein, die aus eurem Garten schmecken mir genauso wenig, ja auch die kleinen, ja Ketchup esse ich. Expecto Patronum, lasst mich in Ruhe.

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