Scheiß der Hund drauf

Lukas Bärfuss entwirft in seinem Erzählband Malinois in dreizehn Texten dreizehn Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und trotzdem eine Gemeinsamkeit aufweisen: denselben heimlichen Protagonisten.

Von Stephanie Schennach

Bild: Via pxhere, CC0 1.0

Mit dem Georg-Büchner-Preis nahm Lukas Bärfuss im November vergangenen Jahres die renommierteste literarische Auszeichnung im deutschsprachigen Raum entgegen und trat damit in die Fußstapfen dreier Schweizer Autoren, die die deutsche Literaturgeschichte nicht minder prägen und prägten: Adolf Muschg, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Auch Bärfuss hat bereits einige Aufmerksamkeit durch seine Bücher erlangt. So zählen zu den bisher bekanntesten Büchern des Schweizer Autors die im Göttinger Wallstein Verlag veröffentlichten Romane Hundert Tage und Koala sowie das Bühnenstück Die sexuellen Neurosen unserer Eltern. Im September 2019 erschien nun sein erster Erzählband mit dem Titel Malinois.

Das doch sehr überschaubare Büchlein enthält dreizehn Erzählungen, die sich, laut Nachbemerkung, über die letzten zwanzig Jahre am Schreibtisch des Autors angesammelt haben. In Anbetracht dieses Alters stellt sich die Frage, ob Lukas Bärfuss versucht, mit den drei zuvor genannten großen Autoren mitzuhalten. Hat er deshalb mal eben das sich in den vergangenen Jahren Angesammelte drucken lassen und hat er das überhaupt nötig?

Wo kein Hund, da eine Verhundung

Dabei hat der Band Konzept. Das verrät schon der Titel: Bei dem Eigennamen »Malinois« handelt es sich um die Bezeichnung für eine Varietät der Belgischen Schäferhunde. Die heimliche Konstante fast aller Erzählungen in Bärfuss’ Band ist der Hund. Dabei muss es sich aber nicht immer um einen lebendigen Vierbeiner handeln. In einer Erzählung beschimpft sich der Protagonist selbst als »Du dummer Hund, du dummer«, in einer anderen wackelt in einem weißen Wagen auf der Hutablage ein Stoffhund mit dem Kopf. Und in der Erzählung »Eine feine Nase«, greift sich der Protagonist »die Sporttasche, die auf ihn wartete wie ein lästiger anhänglicher Hund.«

Wer aber glaubt, in einer Erzählung mal ausnahmsweise keinen Hund vorzufinden, hat die Rechnung ohne die feinfühligen Charakterisierungskünste Bärfuss’ gemacht. Eine Erzählung sticht an dieser Stelle besonders ins Auge. In »Der Schlüssel« taucht ein Mann auf, der sich mindestens genauso wie ein Hund verhält. Hier leiht sich der Protagonist den Schraubenschlüssel des Nachbarn aus, um den Motor eines Alfa Romeos auszubauen. Das leere Autogehäuse stellt er anschließend in seinen Garten und bepflanzt es. Als er aber für einige Tage vergisst, den Schraubenschlüssel zurückzugeben, kommt es, dass der Nachbar ihm – offensichtlich rachsüchtig – mitten in der Nacht vor den nun als Zierstück dienenden Oldtimer scheißt. Drei Haufen nebeneinander an drei aufeinanderfolgenden Nächten. In der Nacht scheint nicht nur der Mond, sondern auch der weiße Hintern des Nachbars. Wo ein anderer hier einen Schlussstrich gezogen und die Erzählung so hätte ausklingen lassen, setzt Bärfuss noch einen drauf. Denn was mit den Exkrementen des Nachbars schlussendlich passiert, könnte zynischer nicht sein.

Noch lange nicht langatmig

In der titelgebenden Erzählung wird man von Anfang an ein flaues Gefühl nicht los. Kurz gesagt handelt »Malinois« von einem Geschirrschrank, einem eifersüchtigen Ehemann, zwei Haufen ungewaschener Wäsche, einer Pistole und einem Hund der Varietät Malinois. All das kulminiert in einer unschönen und zugleich derben Schlussszene. Nicht nur durch die Erzählstruktur schafft es der Autor hier, die Spannung bis zuletzt aufrecht zu erhalten, indem er in manchen Textpassagen die Figurenperspektiven zwischen intern und extern oszillieren lässt. Auch die Textoberfläche lässt einen weder zur Ruhe kommen, noch mit einem Gedankenstrang abschließen. Nach einem Komma wird in einem neuen Absatz klein weitergeschrieben. Bärfuss setzt die Regeln der Satzzeichen außer Kraft.

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Lukas Bärfuss
Malinois

Wallstein Verlag: Göttingen 2019
128 Seiten, 18,00€

So wie seiner Zeichensetzung keine Grenzen gesetzt sind, bewegt sich auch seine Prosa in keinem abgesteckten Territorium. Generell strotzt der gesamte Erzählband geradezu vor langen Sätzen, die aber alles andere als langatmig sind. Bärfuss gelingt es, nicht abzuschweifen und der scheinbaren Banalität mancher Situationen einen gewissen Charme zu verleihen.

Eine runde Sache

Gerade dieser Charme macht einen Wermutstropfen des Erzählbands besonders sichtbar: Frauenfiguren kommen in den Erzählungen im Gegensatz zu den männlichen etwas unglücklich und einfältig davon. Sie werden teils auf ihr Äußeres reduziert und dienen als Lustobjekte. Ein veraltetes Frauenbild nimmt überhand, wenn die Frau den Anzug des Mannes bügeln und dafür sorgen soll, dass das Abendessen pünktlich auf dem Tisch steht. Schließlich geht aber Hollywood-like fast jede Liebesbeziehung mit einem Hauch von Verzweiflung einher – Hollywood-unlike ist hingegen das fast nie zustande kommende Happy End. Ebenso macht sich ein Mutterkomplex bei den Figuren breit, der kaum auszuhalten ist. Wo es bei den einen heißt, sie haben keine Frauen außer ihren Müttern in deren Leben, kann sich der andere nicht mehr daran erinnern, ob seine Mutter ihn wusch, die Nase putzte oder die Haare kämmte und die Nägel schnitt. Doch dieses Unbehagen macht den Band nicht weniger rund.

Obwohl der Titel der ersten Erzählung in Lukas Bärfuss’ Erzählband als Frage (»Was ist die Liebe?«) formuliert ist, bekommt man keine zufriedenstellende oder zumindest aufklärende Antwort – was auch keineswegs vonnöten ist. Noch dazu enthält diese kurze Erzählung solch pittoreske und zugleich ironische Sätze wie, »Ich möchte bei ihm sein, ich möchte sehen, wie er Krokusse streichelt,« sodass man am Ende des Texts schon wieder vergessen hat, welches denn jetzt eigentlich nochmal das Motto war, unter dem die Erzählung steht. Gerade diese Lakonie ist es, die das Lesen dieses Erzählbandes zu einem solchen Vergnügen macht. Auch wenn es dem Autor bewusst scheint, dass es sich bei manchen der von ihm beschriebenen Situationen um dramatische handelt, so weicht er doch nie von seinem lapidaren Beschreibungsstil ab. Bärfuss’ Erzählband endet mit einer Analogiebildung; er schließt mit der letzten Erzählung, deren Titel wieder als Frage formuliert ist (»Was ist ein Hund?«), mit dem pelzigen und bellenden Geschehen ab.

Schön, dass der Autor im Nachwort daran erinnert, dass hinter jeder Erzählung gleichfalls eine Begebenheit steckt, die diese erst zustande kommen ließ. Fast schon invisible Epitexte, die in Form von Geschehenem auf jede Erzählung Einfluss nehmen und diese formen. Etwas, das einigen von uns manches Mal selbstverständlich erscheint. Doch auch um die Frage, die zu Beginn gestellt wurde, zu beantworten: Nein, Herr Bärfuss hat den Versuch nicht nötig, mit den drei zuvor genannten Schweizer Schriftstellern mithalten zu können. Seine Erzählungen lesen sich angesichts der Tatsache, dass manche davon älter sind, in einer schnelllebigen Welt wie heute einwandfrei und können locker mithalten. Chapeau!

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