Schade

Julia Friese schreibt in ihrem Debütroman MTTR von Schwangerschaft und Mutterwerden einer Frau in den 30ern. Wenn man auf ein emanzipatorisches Werk hofft, wird man hier aber leider enttäuscht.

Von Frida Labitzke

Bild: Deon Black via Letstalksex

Teresa Borsig hat ein eigenes Unternehmen, einen Freund und eine Hundert-Quadratmeter-Wohnung in Berlin – und sie ist schwanger. Zu Beginn des Romans MTTR beschreibt Julia Friese nicht ganz eindeutig, ob ihre Protagonistin denn nun ursprünglich schwanger werden wollte oder nicht. Sie nimmt Folsäure – schwangerschaftsanregend – und hat Tests im Büro, doch als die Gewissheit kommt, ist Teresa geradezu geschockt. Ihre erste Reaktion ist der Abtreibungswunsch. Völlig legitim. Doch als sie sich dann in der Klinik befindet, zeichnet sich schon ab, in welche Richtung der Text führt: Die ›bösen‹ Pfleger:innen, die leider als Figuren viel zu platt dargestellt sind, wollen sie geradezu zwingen, eine Pille zu nehmen, die sie auf die Abtreibungs-OP vorbereitet und nach deren Einnahme sie den Embryo auf jeden Fall verlieren würde. Teresa weigert sich und so nimmt der Roman seinen viel zu langen Lauf, in dem sich nicht so recht eine Handlung abzeichnen will.

Das Thema des Buches ist zunächst reizvoll, das Cover ästhetisch und der Buchrücken lockt mit Wörtern wie ›reflektiert‹, ›dringlich‹, ›überwältigend‹ und ›mitreißend‹. Doch sprachlich wie auch inhaltlich ist das Buch halbgar, könnte man sagen: Die Idee ist klasse, an der Umsetzung hapert es. Wie in einem endlosen Gedankenstrom werden Leser:innen durch Teresas Welt geleitet. Die Zeitspanne beträgt etwa ein Jahr und zehn Monate – Schwangerschaft und das erste Lebensjahr des Kindes. Dabei liest man in abgehackten, kurzen Sätzen von verschiedenen Eltern-Kind-Beziehungen, von Vorbereitungskursen und davon, was in der Gesellschaft alles falsch läuft. Ein konventionellerer Schreibstil hätte dem Roman wahrscheinlich besser gestanden, denn ohne diesen zieht sich die kurze Handlung auf immerhin 421 Seiten, wo es maximal 300 auch getan hätten. Statt Einwortsätzen wünscht man sich an vielen Stellen lieber längere, schön ausformulierte Passagen, die eine:n nicht aus dem Lesefluss reißen. So schneidet Friese zu viele Themen zu kurz an und das Potenzial des Textes bleibt unausgeschöpft.

»Zunge ans Fenster. Macht. Man. Nicht. Schwanger werden. Asozial, hatte sie gesagt. Meine Mutter. Damals, als Judith Kowalski schwanger war. In der zehnten Klasse. Asozial. Mit ihren Absätzen auf dem steinernen Küchenboden. Jeder ihrer Schritte hallte. In der Schulzeit schwanger werden ist das Letzte. Hat sie gesagt.«

Rabenmutter vs. Helikoptermutter

Bei den Charakteren wurde an Einfällen leider gespart: So gibt es die böse ›Rabenmutter‹ und die vermeintlich gute, aber eben nervige ›Helikoptermutter‹. Eine mental labile Exfreundin, fieses, profitorientiertes Krankenhauspersonal und, natürlich, ›Eso-Hebammen‹. Was Friese damit ansprechen will, ist klar: Deutsche Krankenhäuser sind nur am Geld der Eltern interessiert und ermöglichen oft nicht die Geburt, die sich Gebärende wünschen. Mutterwerden wird in der Gesellschaft immer noch viel zu sehr als die lebenserfüllende Aufgabe von cis-Frauen verstanden – und ja, es geht bewusst nur um cis-Frauen, denn dass auch andere Menschen gebären können, ist der öffentlichen Meinung noch kein Begriff. Leider scheint diese Kritik nicht stark genug durch. Stattdessen sind der Text und seine Figuren schwarz-weiß und teilweise sehr platt gestaltet und Teresa ist natürlich die Einzige, die die Probleme am eigenen Mutterwerden sieht.

»Die Angst, dass das Baby mich beobachtet. Die Erzählstimme meines Lebens wird. Erbärmlich, Mama. […] Es geht jetzt nicht mehr um dich, Teresa.«

Auch die Handlung enttäuscht leider. Zwar gibt es diverse Interaktionen zwischen Figuren, doch laufen diese immer gleich ab. Alle sind in den immer selben Mustern gefangen, niemand hat mal eine Einsicht und so zieht sich eine melancholische Stimmung durch den gesamten Roman. Dabei geht es gar nicht darum, dass Teresas Schwangerschaft nur aus Lobesgesängen bestehen soll, aber als Leser:in kann man nicht anders, als den Roman immer wieder zu pausieren, weil eine:n Aussagen und Entscheidungen von Figuren stutzen lassen. Teresas Entscheidungen im Besonderen sind so willkürlich, dass kein Bild zu dieser Figur entstehen kann und sie oft fern jeglicher realistischer Darstellung auftritt und ihre Kritik teilweise an der falschen Stelle angesetzt ist: So ist sie natürlich gegen Voruntersuchungen, weil sie ihr Baby auch mit einer Behinderung bekommen wollen würde, was völlig berechtigt ist, doch ignoriert der Text dabei vollkommen, dass diese Untersuchungen auch überlebensnotwendige Informationen für die Gebärenden beinhalten können. Die Autorin bringt auf diese Art Kritik an, die aber zu eindimensional bleibt. 

Befreiung von elterlichen Zwängen

Trotzdem muss man MTTR und Friese zugutehalten, dass wichtige Themen angesprochen werden. So lässt eine:n die Definition von ›MTTR‹ (mean time to repair), die dem eigentlichen Text vorangestellt ist, bereits vor der Lektüre hoffen, dass dieser Text wichtige Aspekte wie Gender-Care-Gap und veraltete Mutterbilder zur Sprache bringen wird. Eine wichtige und wiederkehrende Angelegenheit sind unter anderem aber auch die Zwänge, die Kinder oft von ihren Eltern übernehmen. In der Generation von Teresas Eltern sind das vor allem Essstörungen und veraltete Schönheitsideale, die die Protagonistin auf keinen Fall an ihr Kind übertragen möchte. Aber auch Themen wie den Loslösungsprozess von den eigenen Eltern oder aber das Grenzen-Ziehen in der Schwangerschaft spricht die Autorin an. Bei dem weiten Spektrum an vielen wichtigen Punkten passiert es nur leider bei den meisten, dass sie zu kurz kommen und deshalb nicht tiefgehend besprochen werden können.

»Noch gar nichts sieht man. Und es war ein Lob, dass man nichts sah. Denn von einer Schwangerschaft durfte man natürlich nichts sehen. Von außen musste alles so bleiben, wie es gewesen war. Jung und dünn.«

Wie Teresa sich von ihren Eltern und denen ihres Partners Erk frei macht, von ihren Ansprüchen und Kritiken lossagt, gestaltet Friese nachvollziehbar und interessant. Sie schafft es, das angespannte Klima genau einzufangen, das zwischen der Hauptfigur und ihrer immer nörgelnden und kritisierenden Mutter herrscht. Der Befreiungsschlag, den sie für sich selbst unternimmt, ist lange ersehnt. Die Mutterfiguren der Protagonist:innen wirken im Gegensatz zu den anderen dabei auch gar nicht aufgesetzt, sondern wie Menschen, denen jede:r schon mal begegnet sein könnte. Erks Mutter bildet somit den Antityp, ist weniger offen kritisierend, sondern mehr überbehütend und dabei eben auf ihre eigene Art problematisch.

macbook

Julia Friese
MTTR

Wallstein: Göttingen 2022
421 Seiten, 25,00€

Julia Friese spricht in ihrem Debütroman MTTR vieles an, das gesellschaftlich beim Thema Mutter- und Schwangerschaft immer noch falsch läuft. Ihr Buch fasst ein weites Spektrum an wichtigen Themen und meint es sicherlich gut damit, ist an der ein oder anderen Stelle aber leider genau dadurch überladen. An den besonderen Schreibstil, in dem der Text verfasst ist, müssen sich interessierte Personen erst mühselig gewöhnen. Das erhoffte feministische Manifest ist es leider nicht, aber vielleicht ein Anfang.

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