Ein Romanexperiment auf über 300 Seiten: Heike Geißlers Roman Die Woche ist sprachlich durchstilisiert, politisch und voller Reflektionen und Kommentare, alles ohne erzählerisches Grundgerüst. Er ist langatmig, zäh und dennoch unerträglich gegenwärtig.
Von Eva Schuchardt
Der Titel von Heike Geißlers 2022 erschienenen Roman Die Woche kommt natürlich nicht einfach so daher. Eine Woche voller schlechter und unheilvoller Ereignisse in Leipzig, die in einem immer wiederkehrenden Montag in Erscheinung treten. Direkt vor der Haustür Pegida-Demonstrationen, Rassismus gegen Geflüchtete, die Gentrifizierung bestimmter Stadtteile und bedrohliche, unheilbringende Investoren, die das Bild der Stadt mit dem Neubau von Malls und überteuerten Wohnungsneubauten zunichtemachen. In dieser Gegenwart findet sich die namenlose Ich-Erzählerin, Arbeiterkind, in der ehemaligen DDR geboren und mit zwei Kindern im Schulalter, wieder. An ihrer Seite ihre Freundin Constanze, ebenfalls um die vierzig Jahre alt, wohnt mit der Ich-Erzählerin zusammen.
Einfach zusammengefasst beobachten, reflektieren und kommentieren beide Protagonistinnen auf über dreihundert Seiten jene einleitend beschriebene Gegenwart, die auf der einen Seite von rechtsextremer Hetze und Gewalt, drohenden Kriegen und der Aufrüstung der Polizei in der Stadt, und auf der anderen Seite von zahlreichen persönlichen Schilderungen, die auf dem Erfahrungshorizont der Ich-Erzählerin beruhen, durchzogen ist: Nicht Nein sagen können. Ein Nachbar, der in seinem Garten Maulwürfe vergiftet. Morgenroutinen. Ängste. Kinder, die das Frühstück verschmähen. Rollenbilder. Klagen über die eigenen Verhältnisse. Herausforderungen, Abgründe und die Ratlosigkeit der Gegenwart.
Heike Geißler
Die Woche
Suhrkamp: Berlin 2022
316 Seiten, 24,00€
Erzählerisches DIY
All diese Gegenwartsbeobachtungen und -schilderungen treten an der Textoberfläche nicht in einem stringenten Gerüst aus Erzählstimme, Handlungsverlauf und Figurenkonstellation auf. Die Lektüre erinnert an die Romane von Felicitas Hoppe, die erzählerisch ähnlich assoziativ und vertrackt aufgebaut sind. Da ist zunächst die Erzählstimme, die zwischen der Ich-Erzählerin und einem nicht genau zu bestimmenden Wir wechselt. Das Wir ist mutmaßlich die Stimme der Ich-Erzählerin zusammen mit Constanze, was jedoch nicht genau zu entschlüsseln ist. Unabhängig davon stellt sich beim Lesen die Frage, welchen Zweck der Wechsel zwischen diesen zwei Perspektiven verfolgt. Idealerweise würde er zu verschiedenen Sichtweisen und Figureneinsichten führen, die dem:der Leser:in ein differenziertes Bild zum Erlebten geben. Das Gegenteil ist jedoch eher der Fall, das Wir scheint lediglich Constanze mit einzubeziehen und darüber hinaus an vielen Stellen auch als ein unbestimmtes Kollektiv, ein empörter Chor in Erscheinung zu treten:
Auch ein Hinweis der Ich-Erzählerin, der den Erzählrahmen verlässt und Bezug auf das Schreiben als übergeordnetes Verfahren nimmt, steht konträr zu einer homogenen und geschlossenen erzählten Welt:
Wenig überraschend ist, dass auch die Zeit in Geißlers Roman keiner Ordnung folgt und sich ihr widersetzt. Der Roman ist zwar zeitlich unverkennbar in den letzten vier Jahren verortet und wehrt sich dennoch an zahlreichen anderen Stellen, einer zeitlichen Logik zu entsprechen. Dies äußert sich in den wiederkehrenden Montagen, die auch die Kapitel des Buches strukturieren. Dies ist etwas irritierend und es bleibt die Frage offen, ob es schlichtweg einfach darum ging, auch die Zeit als erzählerischen Modus aus dem Ruder laufen zu lassen oder ob da doch irgendein Kausalzusammenhang besteht. Da ist beispielsweise ein Dienstag, der anzubrechen vermag, unterbrochen wird und später weitergeführt wird:
Absolut gelungen sind von Heike Geißler jedoch wichtige realpolitische Bezüge kritisch in den Text eingearbeitet. Ohne auch nur einmal die AfD, Höcke und co. zu nennen, verweist der Text so beispielsweise auf die Pegida-Aufmärsche in Chemnitz, bei denen weiße Rosen als Symbol des Widerstandes von Rechtsextremist:innen missbraucht wurden:
Aber auch neben den vielen Anspielungen auf die rechtsextreme Gewalt in Sachsen, das Problem von der Verdrängung aus langbewohnten Wohnungen oder den Kampf gegen Rollenbilder wirkt das Buch gnadenlos gegenwärtig und macht auf viele kleine blinde Flecken aufmerksam: ob es nun um persönliche und für den:die Leser:in möglicherweise wiedererkennbare Konflikte aus dem Alltag geht oder gesamtgesellschaftliche Themen, wie den immer wiederkehrenden Rassismus in Deutschland geht.
Toll ist, dass da viel Wut gegen all diese Problematiken seitens der Erzählerstimmen zu spüren ist, weniger toll, dass viele Dinge auch genauso schnell von einem auf den anderen Absatz wieder relativiert oder abmoderiert werden.
Auch die Art und Weise wie das Erlebte wiedergegeben wird, fällt in Geißlers Roman aus der Rolle. Die Distanz zum erlebten Geschehen und der Ich-Erzählerin und ihrer Freundin Constanze ist vollkommen reduziert. So wird im gesamten Roman konsequent auf die Verwendung von distanzschaffenden Anführungszeichen verzichtet. Allein Verben, die den Sprech- und Denkvorgang ausdrücken, kennzeichnen die direkte Rede der Figuren:
Ein endloses Mosaik aus Satire, Reflexion, klugen Beobachtungen und Witz
Die wechselnde Erzählerstimme, die fehlende Ordnung der Zeit und die sich gefühlt jeden Absatz verändernden Schauplätze machen es zu einer Herausforderung, dem Text zu folgen. Irgendwie funktioniert das aber, da der Text ohnehin bruchstückhaft aufgebaut ist, sich aus zahlreichen Episoden kurzer Beobachtungen, Erinnerungen und teilweise märchenhaft anmutender Träumereien mehr oder weniger spielerisch zusammensetzt. Stellenweise erinnert der Textaufbau an Lyrik, wenn beispielsweise für jeden neuen Satz eine neue Zeile begonnen wird. Es ist alles sehr unmittelbar und ungeordnet, dennoch sind die einzelne Textbausteine in ihrer Essenz klug beobachtet, satirisch und der Gegenwart akkurat entnommen und münden zu keinem Zeitpunkt in einer platten Gesellschaftskritik oder gar Rührseligkeit.
Zu guter Letzt funktioniert auch die Figur Constanzes als ein erzählerisches Hilfsmittel: Sie kommentiert nicht nur die Gedanken der Ich-Erzählerin, stabilisiert, spiegelt und stützt sie, sondern scheint auch eine Vorliebe für das Entwerfen von hypothetischen Seminaren zu haben, die gleichermaßen ernst und leise ironisch daherkommen und immer akademischen Klang haben:
Kein Raum für den:die Leser:in
Heike Geißlers Roman belustigt, verunsichert, irritiert und erfordert vor allem die Bereitschaft, sich auf ein 300-seitiges Konglomerat an einerseits klugen und witzigen Beobachtungen, andererseits zusammenhangslos erscheinenden Träumereien einzulassen, die nahezu ohne jedes erzählerische Gerüst – es gibt keine Handlung – daherkommen. Dennoch macht es Spaß, den beiden Protagonistinnen zu folgen, ihnen dabei zuzusehen und zuzuhören, wie sie reflektieren, abdriften, immer wieder Widerstand leisten, Widerstand leisten wollen, daran scheitern, es das nächste Mal schaffen, sich mal todernst, mal gar nicht ernst nehmen, politisch sind, bequem sind, durchaus meinungsstark, ab und zu kühn und furchtlos und mal überfordert sind.
Das ist allerdings auch die Essenz des Buches: Als Leser:in bleibt einer:m nicht viel übrig als zu folgen und die beiden Protagonistinnen von außen zu betrachten, sie möglicherweise zu bestaunen oder für nervig zu befinden. Es erfordert Durchhaltevermögen auf den 300 Seiten den Überblick zu behalten, wenn man erkannt hat, dass es zum Konzept des Buches gehört, dass es kaum Konzept gibt. Die beiden Protagonistinnen stehen im Zentrum, der Roman scheint darauf angelegt, nur sie im Blick zu haben, ihren Gedanken unmittelbar beizuwohnen. Jede andere Form eines interaktiven Raum, einer Möglichkeit für den Leser:in die Seiten zu wechseln, durch beispielsweise eine solidere Figurenkonstellation oder gar eine Handlung, gibt es im Roman gar nicht erst.