Aus Friedrich Schillers Die Räuber macht Leonie Böhm Räuberinnen. Die Probleme der Figuren bleiben dieselben, ansonsten haben die Adaption und der Klassiker nur wenig gemeinsam. Heraus kommen einige Längen, aber auch ein Abend voller Spielfreude.
Von Anika Tasche
Bild: By Julien Reveillon via unsplash, unsplash licence
Wer an Friedrich Schillers Die Räuber denkt, denkt an die beiden Brüder Franz und Carl Moor. Ersterer leidet unter der mangelnden Liebe und Anerkennung seines Vaters und spekuliert auf dessen Erbe. Letzterer kommt intelligent und klug daher und ist des Vaters Liebling. Diese Differenzen münden in die zentralen Motive zwischen Gefühl und Verstand, Gesetz und Freiheit. So der Inhalt des Dramas, das Schiller 1782 zu großer Berühmtheit verhalf.
Doch was Leonie Böhm nun an den Münchner Kammerspielen als Adaption Räuberinnen aufführt, ist ziemlich anders als der bekannte Klassiker. Wie der Titel des Stücks schon verrät, geht es hier um Frauen. Und das mag wohl schon das erste Novum am Theater sein, nahezu alles wird in dieser Inszenierung von Frauen gemacht: Das Ensemble besteht nur aus Schauspielerinnen, es gibt eine Regisseurin, eine Dramaturgin, eine Bühnenbildnerin und mit Friederike Ernst auch eine Musikerin, die auf der Bühne steht. (Nur beim Licht scheint das Team noch auf männliche Unterstützung zu bauen.)
Kein feministisches Plädoyer
Der zu erwartende Feminismus bleibt allerdings angenehm untergeordnet und wird nicht zum großen Thema gemacht. Aus Franz Moor (Eva Löbau) wird nicht Franziska Moor und auch Carl (Julia Riedler) wird nicht zu Carla. Und trotzdem bleiben es Schauspielerinnen, die Frauen verkörpern. So beschwert sich Franz über seine Vulva und sein hässliches Gesicht und Carl buhlt um die Anerkennung des Publikums, gibt sich mit dessen Antworten, sie sei unterhaltsam und gutaussehend, allerdings nicht zufrieden. Beide Frauen gelangen in eine Krise, das wird aus ihren (zum Teil dialogisierten) Monologen deutlich. Es ist sehr schön, dass den Frauen der Raum gegeben wird, ihr Inneres zu offenbaren und den Zuschauer*innen Einblick in ihre tiefsten Gefühle zu geben. Allerdings sind die Monologe relativ ausartend, sodass an der einen oder anderen Stelle doch Kürzungen geholfen hätten. Und wie gewohnt lässt das Publikum der Kammerspiele seinen Emotionen während der Aufführung wieder einmal freien Lauf. So stöhnt es zurecht zwei Reihen vor mir, dass es gar keine Handlung gibt und es ganz schön langweilig ist. Ganz so radikal hätte ich es nun nicht formuliert, aber etwas mehr Bewegung hätte der Produktion gutgetan.
Böhm streicht nahezu alles von Schillers eigentlicher Handlung und bedient sich lediglich an Figuren und einzelnen Motiven. So wird der Abend durch einen Monolog von Spiegelberg (Gro Swantje Kohlhof) eröffnet, der auf Schillers Vorreden beruht. Dort heißt es:
Immer wieder durchbrechen die Schauspielerinnen, wie von Schiller gefordert, die Grenzen eines Theaterstücks und involvieren das Publikum, wenn sie es gezielt ansprechen. Der Duktus des großen Dramatikers bleibt demnach erhalten und so schafft es Böhm, den Klassiker zu aktualisieren. Und die Probleme, die Schiller im 18. Jahrhundert den Männern zuschreibt, auf Frauen zu übertragen.
Spiel und Spaß nach Langerweile
Dennoch kommt die Inszenierung erst in ihrer zweiten Hälfte richtig in Fahrt, wenn Spiegelberg die mittlerweile drei ›depressiven‹ Frauen – Böhm integriert auch die Geliebte von Carl, Amalia (Sophie Krauss), in ihre Produktion – mit auf eine Traumreise nimmt. Kohlhof klettert in die Mitte der Sitzreihen und entführt mithilfe des Publikums die Protagonistinnen in einen Zauberwald. Die Ränge singen wie Vögel, im Parkett weht der Wind und siehe da – plötzlich wird Spiegelberg zu einem Reh, das fasziniert davon ist, seine Stars, die Moor-Brüder, endlich vor Augen zu haben. Voller Enthusiasmus hebt das Reh die Talente der Frauen hervor und berichtet von den Erlebnissen, die sie alle gemeinsam hatten. Hierbei referiert Kohlhof auf bekannte Filme, wenn sie beispielsweise davon erzählt, wie sie nach einer Party in Las Vegas in einem Hotel aufwachten, einen Tiger im Zimmer fanden und Carl eine Tätowierung im Gesicht hatte. Eine Traumreise, wie sie nicht hätte besser inszeniert werden können.
Reihe
Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, blieb sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.
Pitschnass und gut gelaunt
In diesem Zuge kommt dann doch noch die Geschichte auf die Räuberinnenbande, die spektakulär durch einen Fluss im böhmischen Wald taucht, um zu flüchten. Und wie es sich eben so gehört, geht dies nun mal besser ohne Klamotten. Amalia, Carl, Franz und Spiegelberg entkleiden sich also peu à peu, was darin mündet, dass alle am Ende splitternackt auf der Bühne stehen. Es kommt die altbekannte und vieldiskutierte Frage auf, ob es denn immer notwendig ist, sich auf der Bühne auszuziehen und irgendwelche Geschlechtsorgane zur Schau zu stellen, doch in dieser Produktion wirkt dies so leicht und unbefangen, dass die Frage schnell verworfen wird. Denn Zahava Rodrigos Bühnenbild lädt geradezu dazu ein. Es wird auf eine verhängnisvolle Kumuluswolke aus Pappmache reduziert, aus der es bereits während der Inszenierung regnet, sodass der Boden voller Pfützen ist. Darauf lassen sich die Schauspielerinnen über den Bühnenboden gleiten. Am Ende heißt das Spiel: Wer landet als erstes auf dem Schoß eines Gastes aus der ersten Reihe? Die Brüste der Schauspielerinnen werden währenddessen zu Musikinstrumenten, durch deren Berührung diverse Glockentönte erklingen. Denn auf so Brüsten lässt sich doch auch ganz nett musizieren, oder? Und obwohl hier an Misogynie gedacht werden könnte, schafft es das Stück vielmehr aufzuzeigen, wie schön es sein kann, eine Frau zu sein, und welche Möglichkeiten dies mit sich bringt. Zwar wird durch die Eingangsmonologe deutlich, dass es Frauen (auch) nicht immer leicht haben, doch am Ende siegen die Freiheit und die Freude am Leben.
Böhm schafft es, Schillers Die Räuber zu entstauben, baut jedoch einige Längen ein. Für Verehrer vom Klassiker ist diese Produktion sicher nicht das Richtige, denn die Modernisierung bezieht sich nur bedingt auf das Original. Doch schon der Titel Räuberinnen lässt darauf schließen, dass es hier auch gar nicht um das große Werk geht. Wer sehen möchte, wie vier Schauspielerinnen auf der Bühne einfach Spaß haben, dem kann man diese Inszenierung nur ans Herz legen. Wer einen Abend mit einer spannenden Handlung erwartet, der sollte sich für eine andere Produktion entscheiden. Welche das sein könnte, bleibt herauszufinden. Denn der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr gesehen habe.