Thomas Köcks Stück Dritte Republik (Thalia Theater) glänzt beim Radikal Jung-Festival in München mit eindrücklichen Dialogen. Doch der Text geht in der Inszenierung unter. Was bleibt, sind einzelne Episoden, die mal mehr, mal weniger überzeugen können.
Von Anika Tasche aus München
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Zum 15. Mal fand Anfang Mai das Radikal Jung-Festival in München statt. Ein Festival, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, junge Regisseur*innen zu fördern. Zu Gast sind diverse deutschsprachige Theater. Ein spannendes Konzept, denn an den Ideen der ›Jungen‹ lässt sich doch erahnen, wie sich die Theaterwelt in naher Zukunft entwickeln könnte. Die Auswahl an Produktionen war groß, sodass es nicht einfach war, sich für ein Stück zu entscheiden. Letztlich fiel dank des Kriteriums ›Zeit‹ (Wann haben wir überhaupt Zeit?) die Wahl auf Die Dritte Republik (Thalia Theater, Hamburg) unter der Regie von Elsa-Sophie Jach und Thomas Köck. Interessant ist, dass Letzterer auch der Autor des Stücks ist. Eine ungewöhnliche Konstellation für eine Inszenierung.
Das Festival zeigte sich nicht nur durch die Stückauswahl bunt und offen, sondern auch die Dekoration des Volkstheaters verdeutlichte dieses Prinzip. Auf dem Innenhof fand sich ein Zelt mit Mobiliar aus den Sechzigern, auf dem man im Anschluss der Inszenierung Platz nehmen durfte, um einem Nachgespräch zu lauschen. Und auch im Foyer hingen unzählige Luftballons an der Decke. Anders als bei Die Dämonen war das Haus diesmal nahezu ausverkauft.
Verloren in der Absurdität
Reihe
Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, bleibt sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.
Der Saal war von dichtem Nebel verhangen, der zu Beginn des Stücks noch verstärkt wurde. Beinahe musste man Angst bekommen, lediglich ein Hörspiel geboten zu bekommen, da man nichts sehen konnte. Doch ähnlich erging es auch der Protagonistin (Barbara Nüsse), einer Landvermesserin, die für ihre Mission, neue Grenzen auszumessen, in die Provinz geschickt wurde, wo sie jedoch in ein Schneegestöber geriet. Manch einen mag das an Kafkas Das Schloss erinnern. Und genauso ist es auch, denn Thomas Köck bedient sich für seinen Text immer wieder bei Kafka, aber auch bei einem Gespräch zwischen Paul Celan und Theodor Adorno sowie bei diversen Spielfilmen. Im Dramentext wimmelt es nur so von Intertextualitäten. Sie jedoch alle zu erkennen, ist eine Herausforderung und wirft die Frage auf, wo das Stück die Zuschauer*innen überhaupt abholt. Oder irrt man genauso verloren herum, wie es die Landvermesserin die Inszenierung hindurch tut? Ihr Begleiter, ein Kutscher (Björn Meyer), findet im Schneegestöber sein Gefährt nicht mehr.
Zusammen treffen die beiden auf die verschiedensten Gestalten, die nach Kriegsende 1918 die unterschiedlichsten Visionen von Europa haben: So wie ein junger Soldat (Victoria Trauttmansdorff) mit seinem Fallschirm im Baum hängt, so hat er auch seine Hoffnung auf Frieden an den Nagel gehängt. Und der Redner Albert Ballini (Tilo Werner) fürchtet nur noch, dass sich alles immer wiederholt – sein Ausweg: Selbstmord. Die Landvermesserin und der Kutscher stoßen auf ihrer Suche nach Grenzen und der Kutsche auf die kuriosesten Erscheinungen und Situationen. Wie etwa einen Patienten (Bekim Latifi), der offenbar vom Optimierungswahn dazu getrieben wurde, überall Fitnessübungen zu vollziehen, um sein Idealgewicht zu erreichen. Oftmals fiel es schwer, die genauen Ansichten der einzelnen Figuren zu durchblicken, wirkte doch alles unglaublich absurd.
Ein starker Text macht noch keine gute Produktion
Köck hat zwar eine Textfläche geschaffen, die mit tiefgründigen Sätzen wie »jede Nation ist eine wahnwitzige Fiktion« oder auch »wenn die Grenzen wandern, ändert sich doch der Boden nicht« zum Nachdenken anregt, doch eignet sich sein Dramentext mehr zum Lesen als zum Sehen auf der Bühne. Des Weiteren wirkten aktuelle Bezüge wie etwa zum Smartphone häufig fehl am Platz. Die beiden jungen Regisseur*innen wollten viel. Und sie haben ein Ensemble, dem dieses Viele hätte gelingen können. Mit Barbara Nüsse und Björn Meyer haben sie die perfekten Protagonist*innen gefunden und auch die anderen Rollen waren gut besetzt. Allerdings bot der Text eine Fülle an, die auf der Bühne dargestellt werden konnte, wodurch einige Dialoge an Potential verloren. Was übrig blieb, war ein großes Wirrwarr. Das lag sicherlich nicht an den Schauspieler*innen. Bereits Nüsses Eingangsmonolog über ihre Reise und ihre Ankunft in der Provinz war beeindruckend und auch Björn Meyer stellte seine Rolle als verwirrter Kutscher mehr als überzeugend dar. Vielmehr waren die vielen Ideen, die aufeinandertrafen, dafür verantwortlich, dass die Szenen ausarteten. Spätestens nach fünf Minuten fragte ich mich bei jeder Nebenrolle auf der Bühne, wie ich das Anstrengende, das alle Figuren an sich hatten, nun wieder loswerden sollte. Pointiertere Dialoge hätten hier sicherlich Abhilfe schaffen können.
Es hat durchaus seine Berechtigung, dass das Stück zum Radikal Jung-Festival eingeladen wurde. Neben der schauspielerischen Leistung ist hier sicher der Text das Hauptargument. Allerdings hat es auch seine Berechtigung, dass das Stück nicht den Publikumspreis gewonnen hat. Den Zuschauer*innen wurde keine Chance geboten, alle Szenen zu interpretieren. Vielleicht wäre ein neutralerer Regisseur eine Möglichkeit gewesen, denn als Autor – so ist zumindest anzunehmen – fällt es vermutlich schwer, sich von einzelnen Textstellen zu trennen, die zwar schön sind, jedoch nicht zu einer pointierten Inszenierung beitragen. Durch die mangelnde Fokussierung war das Stück ein Zusammenschluss aus einzelnen Episoden, allerdings erschloss sich das große Ganze nicht. Es war ein Abend, der zum kritischen Hinterfragen der Gesellschaft anregte, dessen Kern jedoch im Verborgenen blieb. Folglich bleibt zu beobachten, ob sich das Theater der nahen Zukunft wirklich für diese Art von Produktionen entscheidet. Sicher ist, der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr gesehen habe.