Svenja Flaßpöhlers Essay über die Debatte um #metoo löste heftige Reaktionen aus. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal diskutiert darüber mit der Philosophin, denn sie sind sich einig: Man muss die Dinge vertiefen und besprechen. Ein Bericht.
Von Anna-Lena Heckel
Bild: Svenja Flaßpöhler und Mithu Sanyal im Gespräch. Fotografin: Miriam Weinrich, Verwendung mit freundlicher Genehmigung durch das Literarische Zentrum Göttingen
Wer bei dem Begriff der Dialektik an Adorno denkt, ist auch schnell bei einem der wenigen deutschen Reimwörter auf diesen sagenumwobenen Namen. Wer so bei Porno ankommt, findet sich im riesigen Feld der Diskussion um Sex. Teil dessen ist auch der ganz und gar nicht einvernehmliche Sex. Und da geht es schon los: Wie nennt man das? Wo fängt Sex an, wo hört die Einvernehmlichkeit auf?
Die Auseinandersetzung mit Svenja Flaßpöhlers Streitschrift Die potente Frau und ihrem kritischen Blick auf die #metoo-Debatte weist auf eben diese problematischen Unklarheiten hin. So führte die Podiumsdiskussion von Flaßpöhler und Mithu Sanyal am vergangenen Donnerstag zu der Einsicht: Zentral für die Frage, wie ein Umgang mit Vergewaltigung, sexualisierter Gewalt, Übergriffigkeit und Sexismus auszusehen hat, ist erst einmal die Frage, was wir darunter verstehen.
Wichtig ist die Definition der oben genannten Begriffe für die Frage nach den Konsequenzen: Sprechen wir von einem Übergriff, verstehen wir Unterschiedliches. Zur Konsequenz hat es – spätestens seit der #metoo-Debatte – oft, dass vermeintliche TäterInnen Jobs, Ansehen, oder gar die Grundlage ihrer Existenz verlieren. Braucht es aber eine Debatte um fälschliche Anklagen und außergerichtliche Konsequenzen? Wie steht es um die Unschuldsvermutung? Hinter diesen Fragen rückte die Frage nach Parteilichkeit mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt in den Hintergrund.
Über Gratwandern und Grenzen
Beide Diskutantinnen machen deutlich, dass VergewaltigerInnen juristisch bestraft werden müssten statt geschützt. Aber was ist mit all dem Dazwischen, mit dem sexistischen Spruch, mit dem nicht verstandenen oder nicht akzeptierten Nein? Über all diese Dinge muss gesprochen werden. Sie sind schwer, emotional wie intellektuell, sie sind gravierend, und doch liegen sie nicht so klar auf der Hand, wie manch eineR es gern hätte.
An diesem Donnerstagabend wird im Alten Rathaus deutlich, dass es sich bei #metoo nicht ausschließlich um eine Debatte über Sexismus und Vergewaltigung handeln muss. Vielmehr ist sie Teil der noch viel größeren Frage nach gesellschaftlicher Emanzipation – hier von patriarchalen Strukturen. Flaßpöhler und Sanyal begeben sich in diese Diskussion und stellen sich den schwierigen Fragen, die bei genauem Hinsehen eben doch Gratwanderungen statt eindeutigen Antworten erfordern: Welche Verantwortung trägt das emanzipatorische Subjekt? Wer muss sich überhaupt emanzipieren? Und wovon?
Svenja Flaßpöhler
Die potente Frau
Streitschrift
Ullstein Streitschriften, Berlin, 2018
48 Seiten, 8,00€,
Flaßpöhler moniert mit ihrer Positionierung eine öffentliche Diskussionskultur, die gerade im linksliberalen Spektrum eine Grenze des Sagbaren etabliere. Sanyal steigt darauf ein, weil sie die Streitschrift für Die potente Frau nicht aus jeder Pore ablehne. Sie solidarisiert sich durch ihren Bericht über Anfeindungen ihrer eigenen Person gegenüber. So erscheint die Podiumsdiskussion als ein performatives Aufbegehren gegen eine Kultur der abgelehnten Diskussion. Flaßpöhler inszeniert sich als Mahnerin gegenüber einer Diskussionskultur, die sie zuweilen verabsolutiert, sodass sie fast die einzige zu sein scheint, der tatsächlich an Aushandlung gelegen ist. Gerade durch diese Inszenierung und die heftigen Reaktionen, die Die potente Frau ausgelöst hat, wäre zu erwarten gewesen, dass die Stimmung im Saal hitzig, voll Anfeindung und Redeverboten gewesen wäre. Eher das Gegenteil war der Fall: Auf Podium wie im Publikum hörte man einander zu, bestätigte, wägte ab, formulierte andere Sichtweisen.
Dialektische Verschränkungen
In Flaßpöhlers Rhetorik – weniger also in der Diskussion und mehr in ihrem Essay – geht vor (ästhetisch brillanter) Angriffslust und Stichelei zuweilen unter, worum es ihr eigentlich geht: Sie versteht ihren Essay als solidarischen, als feministischen Beitrag zur Debatte um #metoo. Es geht darum, dass Frauen* zuweilen in ihrer ätzenden, gesellschaftlich konstruierten und historischen Passivität feststecken. Aber es geht auch und vor allem um Selbstermächtigung und somit nicht zuletzt darum, sich selbst zuzutrauen, das Patriarchat zu überwinden.
Das Verhältnis von Frauen* und Patriarchat ist, wie Flaßpöhler mehrfach betont, ein dialektisches. Wenngleich Frauen* und Weiblichkeit in patriarchalen Strukturen recht schlecht wegkommen, hätten sie historisch hinreichend lange das Patriarchat gestützt. Und wo Frauen* in Passivität erstarren, werden sie durch das Patriarchat bedingt und bedingen es wiederum.
Zugleich klingt an, dass eben nicht nur das weibliche Subjekt Keimzelle der Emanzipation ist, sondern dass sich auch Männer* in dieser Position befinden und dass auch sie unter all den Rollenzuschreibungen, die so ein Patriarchat mit sich bringt, zu leiden und sie zu bekämpfen haben. Deshalb leuchtet wenig ein, weshalb Flaßpöhler es als Patentlösung befindet, dass Frauen* und Männer* über ihr jeweiliges Erleben z.B. beim Sex miteinander sprechen. Vielmehr sollte es doch um eine gemeinsame Emanzipationsbewegung gehen. Das wird auch sichtbar, wenn Sanyal darauf hinweist, dass in der Vergangenheit zwar erfolgreich am Bild von weiblicher Sexualität gearbeitet wurde, aber männliche Sexualität, wie sie sich uns präsentiert, unhinterfragt und klischeehaft verharrt. Im Bild des »Dampfkesselprinzips« männlicher Sexualität verdichtet Sanyal ihre Position: Männliches Begehren würde nach wie vor als Dampfkessel betrachtet, der eben irgendwann an die Decke geht, wenn sein Druck nicht abzubauen ist.
Dampfkessel und Kapitalismus
Im Lauf des Abends fällt der Satz, wir verwechselten das Patriarchat oft mit dem Kapitalismus. Das Patriarchat sei nicht allein zuständig für die Unsicherheit, mit der Frauen* umzugehen haben. Diese Aussage gilt es ernst zu nehmen. Für wirkliche Emanzipation genügen eben nicht gleiche Löhne und ein Raum, in dem wir endlich all die Widerlichkeiten an Sexismus und Gewalt erzählen können, die wir erleben. Als würde das alles nicht schon reichen, müssen wir auch noch den Kapitalismus überwinden, der uns in nicht minder gravierende Abhängigkeiten drängt.
Ebenso wie für den Kapitalismus gilt fürs Patriarchat: Hiervon sind alle betroffen, egal mit welchen Genitalien und Sozialisierungsgeschichten. Mithu Sanyal spricht über Selbstermächtigung als erfolgreichste Art einzugreifen. Verstehen wir dies als Aufruf, uns um uns selbst und umeinander zu kümmern, und als einen Appell, eine emanzipatorische Debatte zwischen mündigen Subjekten weiterzuführen und uns dem Schweren zu stellen.
Die Diskussion wurde veranstaltet vom Literarischen Zentrum Göttingen in Kooperation mit der 10th European Feminist Research Conference 2018 und dem Fachbereich Kultur der Stadt Göttingen.