Wer sich fragt, wie das Populäre, Pop und Populismus unter einen Hut zu bringen sind, der*die sollte zu dem Band Populäre Kulturen zur Einführung greifen, der 2018 im Junius Verlag erschienen ist, und einen Überblick über die bewegte Geschichte des Populären gibt.
Von Oke Möller
Die Literaturwissenschaftler Niels Penke und Matthias Schaffrick zeichnen in dem Band die begrifflichen Transformationen des Populären, den späten Siegeszug der Popkultur und das Aufkommen des Populismus auf knappen 175 Seiten nach. Als Mitglieder der Forschungsstelle »Populäre Kulturen«, die sich an der Universität Siegen um eine interdisziplinäre Erforschung dieses Feldes bemüht, sind Penke und Schaffrick ausgewiesene Experten, um eine solche Einordnung zu leisten.
Die Autoren gehen in drei Schritten vor: Sie beginnen die Untersuchung im 18. Jahrhundert, in dem das Label ›populär‹ noch meist abfällig für Kulturinhalte benutzt wurde, die mit dem ungebildeten ›Volk‹ assoziiert wurden. Das Zentrum dieser Ausführungen bildet die Bürger-Schiller-Debatte. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass niedrigschwellige Literatur für die nächsten Jahrzehnte weitestgehend verpönt blieb. Im Zuge der Industrialisierung und durch mediengeschichtliche Innovationen wie den Zeitungsroman verschob sich der Fokus der Kritik am Populären und zielte mehr auf den Aspekt der Massenkultur ab. Stellvertretend für Massenkultur-kritische Positionen erwähnen die Autoren im zweiten Kapitel u.a. die Frankfurter Schule und kontrastieren diese mit den Kultur-affirmativen Cultural Studies. Das dritte Kapitel ist dem Pop gewidmet und konzentriert sich auf Popkultur als Produkt der Kulturindustrie und sein Verhältnis zum Populären. Noch im selben Kapitel schlagen die Autoren die Brücke zu einem dominanten Begriff unserer politischen Gegenwart: dem Populismus.
Was heißt hier populär?
Je näher die Autoren an die einzelnen Begriffe des Populären heranzoomen, desto deutlicher wird, dass sie sich nicht einfach aufeinander reduzieren lassen. Entgegen der Intuition ist dasjenige, was mit dem Label ›Pop‹ versehen wird, nicht zwangsläufig auch populär. Man denke an das Genre der Popliteratur und Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann oder Rainald Goetz, die, bis auf einzelne Werke oder spektakuläre Aktionen, nicht unbedingt von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert werden. Auch verfehlte Versuche, einzelne Künstler*innen zu ›Popstars‹ zu stilisieren, machen deutlich, dass es kein Patentrezept für virale Popphänomene gibt. Aufgrund dieser Komplikation definieren die Autoren ›Pop‹ nicht als Genre, sondern als »ästhetische Form, die sich reflexiv zur populären Kultur verhält«. Das Populäre definieren sie quantitativ: Populär ist, was viel Beachtung findet. Diese Definition des Populären resultiert aus der Omnipräsenz von Bestenlisten, sei es im Rahmen von Charts oder sonstigen Rankings und Playlisten. Sie dominieren längst den Diskurs über Kunstwerke aller Disziplinen und beweisen, dass sich das Populäre »durch den Verweis auf seine Popularität« legitimiert und sich nicht mehr gegenüber einer ›Hochkultur‹ rechtfertigen muss. Es überrascht, dass Penke und Schaffrick eine solche Definition des Populären starkmachen, denn die Literaturwissenschaft steht dem quantitativ Populären auch heute noch häufig mit einer Skepsis gegenüber, die nicht zuletzt auf Schiller zurückgeht und populäre Kunst unter den Generalverdacht stellt, nicht der Veredelung des Charakters dienlich zu sein, sondern lediglich Affekte zu wecken.
Dass ein solches quantitatives Verständnis von Popularität nicht immer selbstverständlich war, zeigt ein Exkurs in die Begriffsgeschichte des Populären. Die Autoren zeichnen nach, wie in der Folgezeit der Aufklärung Positionen aufeinanderprallten, die entweder einer Demokratisierung der Literatur als ›Volkspoesie‹ positiv gegenüberstanden oder an der Bedeutung elitärer Zirkel für die Dichtung festhielten. Bespielhaft für diese Auseinandersetzung führen die Autoren die Bürger-Schiller-Debatte an, in der Bürgers Ideale von Anschaulichkeit und Sinnlichkeit im Sinne größtmöglicher Popularität mit Schillers erzieherischem Ideal der Veredelung des Charakters durch Poesie konkurrierten.
Niels Penke, Matthias Schaffrick
Populäre Kulturen zur Einführung
Junius Verlag: Hamburg 2018
200 Seiten, 14,90 €
Von der Frankfurter Schule zu den Social Studies
Man könnte Penke und Schaffrick aus Sicht der Frankfurter Schule vorwerfen, dass ihre quantitative Bestimmung des Populären selbst Ausdruck der lückenlosen Quantifizierung durch die Kulturindustrie ist. Als Leser*in dieser Einführung mag man ihnen diesen Vorwurf aber nicht machen, denn sie kontrastieren das kulturkritische Verständnis der Frankfurter Schule geschickt mit dem optimistischeren Konzept der Cultural Studies. Wo Horkheimer und Adorno nur unkritische Konsumenten standardisierter Massenkultur vermuten, sähen die Cultural Studies »selbstbewusste Akteure, die sehr wohl in der Lage sind, einen zuweilen subversiven, jedenfalls aktiven Gebrauch von den Erzeugnissen der Massenmedien und der Kulturindustrie zu machen.«
In Anschluss an Raymond Williams Culture and Society werten die Autoren daher den Begriff der Masse auf, indem sie feststellen, dass Masse »eine variierende und perspektivgebundene Vorstellung von dem unbekannten Anderen« darstellt. Die Opposition von Masse und Elite existiert dieser Theorie nach gar nicht. ›Masse‹ ist lediglich ein Hilfskonzept, das es Menschen erlaubt, ihnen unbekannte Menschen vereinfachend in Gruppen abzuspeichern. Diese Gruppenzuschreibungen sind subjektiv und stets nur provisorisch. Eine Kritik der Massenkultur ist anhand eines solchen Verständnisses von ›Masse‹ nicht mehr möglich.
In diesem Sinne ist auch der plurale Titel der Einführung ›Populäre Kulturen‹ zu verstehen. Durch die zunehmende Ausdifferenzierung der populären Kulturen könne man keinen Common Ground mehr ausmachen. Die Autoren begründen diese Behauptung mit einem Hinweis auf die Vielfalt an Serien und Sendungen bei Netflix und YouTube. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Omnipräsenz einiger weniger Plattformen nicht eine Vereinheitlichung der angebotenen und produzierten Inhalte zur Folge hat. Doch leider problematisieren die Autoren die monopolistische Stellung einiger weniger Internetplattformen nicht weiter.
Stattdessen betonen sie die subversive Kraft der Populärkultur. Populäre Kulturen konstituieren bei ihnen »ein Feld der aktiven Aushandlung kultureller Bedeutung.« Diese Aufwertung des Populären führen die Autoren auf das Aufkommen der Popästhetik zurück. Sie habe ebenjene Eigenschaften, die Adorno und Horkheimer kritisierten, umgedeutet und zu ihrem Programm erklärt: »Serienproduktion, technische Reproduzierbarkeit, Werbung und reizvolle Effekte« sind von nun an die treibenden Kräfte hinter der Popkultur. Die Autoren schlagen die Brücke zu Susan Sontag und ihrer Definition von ›Camp‹. Sontag wertet die »sinnlich wahrnehmbare Oberfläche« eines Kunstwerks auf und erklärt Übertreibung und Künstlichkeit zu ästhetischen Idealen, die Schönheit, Ausgewogenheit und das interessenlose Wohlgefallen ablösen. Penke und Schaffrick beobachten in dieser Entwicklung hin zu einer selbstbewussten Popästhetik eine Pluralisierung der künstlerischen Normen und Werte, die sich auch positiv auf die Inklusivität des Kulturbetriebs auswirkt.
Vom Pop zum Populismus
Es ist eine Errungenschaft des Bandes, die Brücke vom Populären und dem Pop zum Populismus zu schlagen. Der deutschsprachigen Popliteratur attestieren die Autoren dabei eine Affinität zur Erstellung von Listen, die von einer Abneigung gegen narrative Sinnzusammenhänge herrühre. Als Beispiele nennen die Autoren Rolf Dieter Brinkmann und Rainald Goetz. Die Liste als Schreibverfahren bietet den Autor*innen die Möglichkeit, Einträge nicht »auseinander«, sondern »aufeinander« folgen zu lassen. Die einzelnen Einträge werden so aus ihren spezifischen Zusammenhängen herausgenommen. Die Folgen sind eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und ein unkommentiertes Nebeneinander der ›Massen- und Hochkultur‹. Aus diesem Grund attestieren die Autoren popkulturellen Narrativen im Allgemeinen eine reduzierte Geschichtlichkeit. Das entstehende geschichtliche Vakuum des Pop ist, so die Autoren in Anlehnung an Diedrich Diederichsens Über Pop-Musik, anfällig für populistische Vereinnahmungen von rechts.
Ein zentraler Begriff des Populären, der unter der inklusiven Agenda der Popkultur aus dem Blick geraten ist, ist der des ›Volks‹. Diesen werten rechte Populisten heutzutage wieder auf und bedienen sich dabei den Autoren zufolge popkultureller Strategien, indem sie »oberflächige, reizvolle, sinnliche, betont künstliche Pop-Formen« kapern, um »nationale Identitäten zu verhärten«. Auch linke gegenkulturelle Bewegungen und Narrative sind vor diesen Vereinnahmungen von rechts nicht geschützt: Penke und Schaffrick veranschaulichen, wie populistische Akteure sich als eine »völkische Version von Punk [gerieren], welche die Befreiung von hegemonialen Normen […] verspricht.« Diese Auslegung des Populismus erklärt, weshalb ein Donald Trump stets darum bemüht ist, sein scheinbar subversives Potential zu betonen, wenn er verspricht, dem amerikanischen ›Volk‹ zuliebe den elitären Sumpf Washingtons trockenzulegen und den liberalen Eliten das Wasser abzugraben. Ein Blick auf Trumps eigene soziale Herkunft lässt seine Underdog-Erzählung natürlich komplett unglaubhaft wirken. Trumps nur scheinbar schlüssiges Narrativ entpuppt sich so als leeres, selbstreferentielles Spiel der Formen. Dieses leere Spiel rücken Penke und Schaffrick in die Nähe der Popästhetik. Die Vereinnahmung popkultureller Phänomene durch das politisch rechte Spektrum beobachten sie auch in Hinblick auf neue rechte Strömungen, die sich popkultureller Inhalte und Distinktionsmerkmale bedienten. Dieser Gedanke ist besonders überzeugend und eklatant im Falle der Identitären Bewegung, die sich, wie der Filmkritiker und Youtuber Wolfgang M. Schmitt in einem sehr lesenswerten Artikel erklärt, ihr Erkennungszeichen aus der Comicverfilmung 300 des Regisseurs Zack Snyder geborgt haben.
So gelungen der Exkurs in den Populismus auch ist, er hätte gerne etwas länger ausfallen können. Besonders die Verbindung von Punk und völkischer Politik hätte eingehender erklärt werden können, da ihre kulturellen Hintergründe enorm variieren. Zudem evoziert die Analogiesetzung von Popkultur und Populismus weitere Fragen, die noch detaillierter hätten erläutert werden können: Kann man die Rhetorik eines Donald Trump wirklich als subversiv bezeichnen? Allgemein überrascht, dass dem Thema ›Populismus‹ kein eigenes Kapitel eingeräumt wurde. Die Gliederung in das Populäre, Massenkultur und Pop erscheint aber davon abgesehen schlüssig, die einzelnen Unterkategorien werden anschaulich aufbereitet; allerdings drohen die titelgebenden Populären Kulturen manchmal aus dem Blick zu geraten, sodass Leser*innen einige Passagen selbst mit dem Titel des Bandes in Verbindung bringen müssen. Zudem hätten die unterschiedlichen Implikationen der verschiedenen Perspektiven auf populäre Kulturen intensiver verglichen werden können. Natürlich ist die Frage nach dem Populären auch nach über zweihundert Jahren noch nicht erschöpfend geklärt, allerdings hat sie in den letzten Jahren wieder einiges an Brisanz gewonnen. Einen aktuellen und gelungenen Einstieg in diesen folgenreichen Diskurs bietet nun Penkes und Schaffricks Einführung.