Ein scheinbar dünnes Programm bietet das Literarische Zentrum im Winter 2018/19 an. Darin finden sich altbewährte Formate mit einer ausgewogenen Mischung von Prosa, Lyrik und Politik. Heraus sticht die Veranstaltung zum NSU-Komplex, in dem die Protokolle des Gerichtsverfahrens verlesen werden.
Von Birthe Schmitt
Bild: Buche von Sweetaholic via pixabay CC0
Lyrik
Neun Abendveranstaltungen bietet das Literarische Zentrum im diesjährigen Winterquartal an. Nach dem vollen Herbstquartal wirkt dies zunächst dünn besiedelt, das macht es aber durch die inhaltliche Vielfalt wett. Die Lichtenberg-Poetikvorlesung mit der Autorin Monika Rinck nimmt davon zwei Abende in Anspruch. Im Vergleich zum letztjährigen, ambivalent aufgefassten Auftritt von Maxim Biller erhofft sich Anja Johannsen (Programmleiterin und Geschäftsführerin) in diesem Jahr von der eher unbekannten Rinck eine leicht zugängliche Vorlesung, die über Selbstdarstellung hinausgeht und nicht nur interessant für Insider sein soll. Monika Rinck spricht am 30. und 31. Januar um je 20 Uhr in der Aula am Wilhelmsplatz. Zum lyrischen Aufgebot zählt auch Christian Uetz, der am 06. Dezember das neue Programm zusammen mit seiner langjährigen Bekannten Felicitas Hoppe einläutet. Der Titel Engel der Illusion (Secession 2018) lässt den vorweihnachtlichen Geist bereits durch die Gedanken wehen; lose lässt sich diese Veranstaltung der Zentrums-Reihe Der Geist weht zuordnen.
Politik
Neben der Lyrik lädt das Literarische Zentrum auch zu zwei Vorstellungen von politischen Büchern ein. Autorin Jana Hensel und Soziologe Wolfgang Engler führen ein Streitgespräch über ostdeutsche Identität. Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein (Aufbau 2018) ist ein Buch im Format eines Gespräches, dem vielleicht noch nicht die ihm zustehende Beachtung geschenkt wurde. Vielleicht kann der erste Auftritt in Westdeutschland am 14. Januar dies ändern? Politisch geht es am 08. Februar mit Tanjev Schultz weiter. Einer von vier Journalist*innen, die den gesamten NSU-Prozess protokollierten. Daraus entstand Der NSU-Prozess (Kunstmann 2018), eine Zusammenfassung der Protokolle in fünf Bänden. Dies kann man nicht wie gewöhnliche belletristische Prosa behandeln, weswegen DT-Schauspieler Florian Eppinger Passagen aus dem Gerichtsprotokoll vorlesen wird. Tanjev Schultz, der außerdem NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates (Droemer Knaur 2018) veröffentlichte, unterhält sich mit Jens Meyer-Kovac. Ein Abend, der hoffentlich etwas Klarheit bringen kann in die verwirrende, komplexe Thematik des NSU-Prozesses.
Drei Romane und Kein Roman
Es bleiben noch vier Abende für Prosaist*innen. Am 10.Dezember liest Jenny Erpenbeck aus Kein Roman (Penguin 2018) und führt ein Gespräch mit dem Göttinger Literaturprofessor Tilmann Köppe. Mit Erpenbeck kommt eine Autorin nach Göttingen, die es dieses Jahr mit ihrem vielbesprochenen Roman Gehen, ging, gegangen (Knaus 2015) auf den niedersächsischen Abiturplan geschafft hat. Deshalb tritt sie zusätzlich beim Kinder- und Jugendprogramm des Literarischen Zentrums Literatur mach Schule am 11.Dezember im Theodor-Heuss-Gymnasium auf und diskutiert mit Schülerinnen und Schülern. Als Favoritin für den Deutschen Buchpreis 2018 wurde María Cecilia Barbetta gehandelt. Überraschenderweise ging sie leer aus. Umso schöner, dass sie auch außerhalb des Herbstes ihren Weg nach Göttingen findet. Den Roman »Nachtleuchten« stellt sie am 14. Dezember vor. Helene Hegemann sorgte als 17-jährige mit ihrem Debüt Axolotl Roadkill (Ullstein 2010) für Aufsehen. Am 18. Januar stellt sie ihr neues Buch Bungalow (Hanser Berlin 2018) vor. Noch immer beschäftigt sie sich mit hoffnungslosen Jugendlichen, schreibt nun aber vielschichtiger und sozialpolitischer. Zu den drei Autorinnen gesellt sich am 07. Februar der Autor und Göttinger Zahnmedizinstudent Nather Henafe Alali. Sein Debüt Roman ohne Fenster (S. Fischer 2018) ist eine Übersetzung, von dem kein Buch in der Originalsprache, Arabisch, herausgebracht wurde. Der Fischer-Verlag hat das arabische Manuskript direkt als ein deutsches Buch veröffentlicht. Alali erzählt in seinem Buch von Folter und Flucht, von Verlust und Erschöpfung.
Und sonst so?
Einen Programmpunkt gibt es noch unter Literatur macht Schule zu verzeichnen, der hier nicht unerwähnt bleiben soll! Jörg Bernary bietet am 02. Dezember einen Workshop für Schüler*innen ab der 9. Klasse auf Grundlage seines Buches Mann Frau Mensch (Beltz 2018) an. Dabei soll es darum gehen, dass sich Kinder und Jugendliche gesellschaftliche Normen spielerisch und interaktiv nähern. Außerdem ist der Weltenschreiber, das Programm zur Vermittlung von Kreativem Schreiben, das im letzten Quartal vorgestellt wurde, an den ausgewählten Schulen problemlos angelaufen. Das Literarische Zentrum wird zunehmend tagsüber von Schreibwerkstätten für kreative Arbeiten genutzt.