Danger Dans neues Lied »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« ist ein Internet-Hit, auch durch seine Performance beim ZDF Magazin Royale. Kein Wunder, denn es spielt mit Fiktion und Performativität und zeigt somit, was politische Kunst heute kann.
Eine Analyse von Hanna Sellheim
Obwohl Jan Böhmermanns Late Night Show endlich den Sprung ins Hauptprogramm geschafft hat und damit auch namentlich zum ZDF Magazin Royale befördert wurde, ist der Satiriker in letzter Zeit eher in die hinteren Gehirnwindungen des kollektiven Bewusstseins gerutscht. Schon länger schien bei der Sendung die Luft raus, die Witzchen waren müder und weniger doppelbödig als früher, die Gäste belangloser. Zeit also für den blassen, dünnen Jungen, mal wieder einen Hit zu landen – und das hat er mit der Folge vom 9. April geschafft: In dieser trat Danger Dan von der Antilopengang auf, performte sein neues Lied »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt«, begleitet am Klavier durch den Pianisten Igor Levit, und landete damit einen Internet-Erfolg.
Inzwischen ist das Musikvideo bei YouTube mehr als 2 Millionen mal aufgerufen worden, der Auftritt fast eine Million mal, die Kommentare darunter bezeichnen den Song einhellig als »Brett«, in Varianz auch als »lyrisches Brett«. Doch was genau macht die lyrische Bretthaftigkeit des Liedes als politisches Kunstwerk aus? Das zeigt sich besonders in der Trias von Text, Performance und Musikvideo – Zeit für ein Close-Reading.
Zwischen Realität und Fiktion
Der Songtext betont zunächst seine Uneigentlichkeit durch Signalworte wie »angenommen«, weist auf seinen »spekulativen« Charakter hin und expliziert die Verwendung des Konjunktivs als »ganz bewusst«. Alle Aussagen werden damit zugleich zurückgenommen, die Doppeldeutigkeit der Sprache wird explizit zum Potenzial, das in der politischen Auseinandersetzung künstlerisch nutzbar gemacht werden kann. Parallel referiert der Text auf reale Personen (Jürgen Elsässer, Götz Kubitschek, Alexander Gauland) und Ereignisse (der Rechtsstreit zwischen der Antilopengang und Ken Jebsen). Zugleich tarnt sich der Refrain mit seinen Haus-Maus-Paarreimen (erreicht/leicht, Sekt/gedeckt) und seiner latenten Unsinnigkeit (die Worte scheinen mehr nach ihrer Passung ins Metrum denn nach Kohärenz gewählt zu sein, die leiernde Betonung bevorzugt Rhythmus statt Sinnhaftigkeit) als art pour l’art, nur um im selben Zug auf reale Institutionen (»juristisch«, »vor Gericht«, »zeig‘ mich an«) zu verweisen, für die das Kunstwerk Relevanz hat.
Das Lied thematisiert damit einen Raum zwischen Fiktion und Realität, in den es sich selbst setzt und somit diese »Grauzone« erkundet. Es macht auf seine Gemachtheit, auf seinen Status als fiktionales, performtes Werk aufmerksam – und verweist gleichzeitig auf die relevante Position der Kunst in der realen Welt und die Kunstfreiheit, die alle getroffenen Aussagen und deren Realitätsbezüge (zumindest in der Behauptung) erlaubt. So wird das Lied zur Schnittstelle, von der aus durch den Impuls der Provokation tatsächliche Veränderungen ausgelöst werden können. Denn es ist gerade die Kunst, und ihre Mittel der sprachlichen Diffusität sowie Performanz, die solche Räume öffnet.
Von Macht und Gewalt
Als konkreter Gegensatz zur abstrakten Ambiguität der Sprache durchzieht das Lied unterschwellig das Thema Gewalt:
Das Lied referiert hier auf sich selbst, um im gleichen Zug Metapher und materiellen Gegenstand engzuführen. Die Doppeldeutigkeit wird metafiktional offengelegt, wodurch die Einbindung von fiktionalen Werken in reale Kontexte sicht- und performativ nutzbar wird.
Ebenso wird die »angenommene« Aussicht, »der Text gipfelte in ei’m / Aufruf, die Welt von den Faschisten zu befreien / Und sie zurück in ihre Löcher reinzuprügeln noch und nöcher« eingelöst im Appell: »Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst / Ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz«. Im Musikvideo wird das unterstützt von Bildern einer Waffe, die Danger Dan schließlich selbst auf der Bühne in den Händen hält. Dem gegenüber steht die reale Gewalt des systemischen Rassismus, die der Verweis auf Oury Jalloh anprangert, und so ihrer diskursiven Verdrängung entgegenwirkt. Damit ist das Lied auch Teil eines Archivs, das Ungerechtigkeiten im kollektiven Gedächtnis bewahrt.
Nach der dritten Wiederholung des Refrains kippt das Lied; musikalisch markiert durch den Einsatz der Streichinstrumente, sprachlich durch den Wechsel in den Indikativ. Zusätzlich werden Autor-Position (»Nein, ich wär nicht wirklich Danger Dan«) und Schreib-/Sprech-Intention (»Experiment«, »will euch meine Meinung hier erzählen«) betont, um die zuvor im Konjunktiv angekündigten politischen Aussagen vorzubereiten, die dann vollzogen werden. So oszilliert der Text zwischen tentativer Formulierung und tatsächlicher Äußerung¸ vereint diskursive Gegenwehr und widerständige Handlung gegen rechte Tendenzen.
Performte Kunstfreiheit
Dies wird besonders interessant im performativen Kontext: Denn durch die Äußerung in einem medialen Rahmen wird die Strophe zum Sprechakt, der ein tatsächliches Experiment zu den Grenzen der Kunstfreiheit darstellt. Natürlich ist dabei auch die Wahl des ZDF Magazin Royale als Ort nicht trivial – ist Böhmermann doch auch durch sein Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und die Diskussion, die es auslöste, bekannt. Und es ist nicht unvorstellbar, dass der Auftritt tatsächlich Klagen nach sich führen kann – Beispiele für ähnliche Ereignisse sind zahlreich, eins führt das Lied selbst an. Tatsächlich zog es auch prompt Reaktionen aus verschiedenen Ecken nach sich – wenn auch bisher keine rechtlichen Konsequenzen. Die Kunst schafft so Präzedenzfälle, mit denen sie ihre Möglichkeiten legalen politischen Aktivismus erkundet. Hier zeigt sich der Eingriff, den die Kunst in gesellschaftliche Vorgänge unternimmt. Sie kommentiert nicht bloß, sondern greift performativ ein, wird zum Verhandlungsobjekt und Akteur in politischen Aushandlungsprozessen. Form, Inhalt und die aus dem Zusammenspiel beider resultierende selbstreferenzielle Positionierung arbeiten im Lied zusammen, um eben das vor- und durchzuführen.
Die Rolle von Künstler:innen in Deutschland
Gerahmt wird der Auftritt in der Sendung von einem Werkstattgespräch, in dem Böhmermann die Rolle des Anklägers übernimmt, der den latenten Gewalt-Appell des Liedes hinterfragt und so Danger Dan die Möglichkeit gibt, einzuordnen und durch ausweichende Statements eine klare Positionierung zu vermeiden. Zugleich sprechen die beiden im Gespräch den Wunsch aus, es würde tatsächlich zu einer Klage kommen, um gewissermaßen das Kunstwerk abzuschließen. Levit spricht dann wiederum das kritische Programm des Liedes explizit an:
Das hebt die Gewalt-Thematik des Liedes als Verweis auf materielle Machtverhältnisse hervor. Er geht über zu einer Kritik auf die Rolle von Künstler:innen spezifisch im deutschen Kontext:
Die Relevanz der Kunst, und gerade der politischen Kunst, wird somit noch einmal postuliert. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, welche Kunstformen welche Aussagen treffen können, wie kritisch diese sein dürfen und wer Zugang dazu erhält.
Lyrische Bretthaftigkeit
Die postulierte Performativität des Liedtextes, die das Musikvideo durch den Einsatz von Theater-Elementen (Bühne, Verbeugung, fallender Vorhang) verstärkt, perpetuiert sich in der Performance noch deutlicher. Dabei ist gerade die Wahl von Levit – Starpianist und politischer Aktivist, der selbst häufig Ziel von Kritik bis hin zu Attacken vom rechten Rand wird – als Begleitung interessant: Denn dadurch begegnen sich auf der Bühne zwei Musikstile, Klassik und Hip-Hop, high brow und low brow culture, politische engagierte und traditionell schöngeistige Kunst, und tun sich zusammen, um gemeinsam »mal die Grenzen auszuloten, was erlaubt und was verboten ist«. Dieser Effekt verstärkt sich noch dadurch, dass zum Ende des Songs Böhmermann aus dem Off in den Gesang einsteigt und somit seine zuvor geäußerte skeptische Haltung dem Lied gegenüber untergräbt. Die Performance wird zum deutlichen Statement für die Kunst und zum Appell zur politischen Entgegnung über Grenzen von Kunstformen hinweg.
Man muss (angedeutete) Aufrufe zur Gewalt keineswegs für richtig halten und sollte sie erst recht in ihrer Verbindung mit unsympathischem Männlichkeits-Gepose mit Waffe kritisieren – ähnlich wie man an Böhmermanns Schmähgedicht die problematische Reproduktion rassistischer Klischees thematisieren kann und muss. Und doch führt »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« vor, wie Sprache und Performanz in der Kunst zusammenwirken, um politisch relevant und unangreifbar zugleich zu sein. So zeigt Danger Dan, was politische Kunst heute kann und vor allem, dass wir sie brauchen. In einem politischen Klima, in dem der Diskurs so weit nach rechts verschoben ist, dass verfassungsfeindliche Aussagen relativiert werden, ist es notwendige Aufgabe der Kunst, die Grenzen des Sagbaren auf eine Weise auszuloten, die Platz schafft für Gegenrede. Denn:
Diese Zeilen klingen nach – denn manchmal kann ein lyrisches Brett auch einfach ein lyrischer Zaunpfahl sein.