»Obstsalat statt Schichttorte«

Im Gespräch mit Alexander Solloch (NDR) präsentiert Dana von Suffrin im Literaturhaus Göttingen ihren neuen Roman Nochmal von vorne. Gespräch und Lesung drehen sich um Motivation, Entstehungsgeschichte und Figurenkonstellation in von Suffrins deutsch-jüdischer Familiengeschichte.

Von Katharina Huckemeyer

Bild: Katharina Huckemeyer

Am Abend des 14. Mai findet im Literaturhaus Göttingen die Lesung von Dana von Suffrin statt, die ihren zweiten Roman Nochmal von vorne präsentiert, der im März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Es ist ein warmer Frühsommerabend und trotz des guten Wetters ist fast jeder Platz besetzt; das Publikum ist bunt gemischt.

»Heute Abend gibt es Obstsalat statt Schichtorte«

Mit diesen Worten eröffnet Alexander Solloch das Gespräch und verweist auf die Erzählweise in von Suffrins Roman. Entgegen dem Titel wird die Geschichte der deutsch-jüdischen Familie Jeruscher nicht chronologisch, sondern in Rückblenden, bruchstückhaft und durcheinander, wie ein Obstsalat eben, erzählt. Die Gegenwartsebene erzählt von Rosa, die sich nach dem Tod ihres Vaters auf die Suche nach ihrer Schwester begibt, die kaum mehr Kontakt zur Familie hat, jetzt aber Rosas einzig verbliebene Verwandte ist. Im Verlauf des Gesprächs gesteht von Suffrin, dass dieser Rahmen die vierte oder fünfte Version ist. Ihr gehe es weniger um den Plot als um Figurenkonstellationen und die Dynamiken zwischen den Familienmitgliedern. Diese beleuchtet von Suffrin in ihrem Roman in Rückblenden und Erinnerungen.

Der Ansporn, sich zu verbessern

Zu Beginn des Gesprächs lobt Solloch von Suffrins ersten Roman Otto, der 2019 bei KiWi erschienen ist. Von Suffrin arbeitete damals noch als Historikerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und konnte mit ihrem Erstling direkt einen Überraschungserfolg landen, der unter anderem mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet wurde. Auch in Otto wird die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie erzählt. Es sind also eindeutig Parallelen zwischen den beiden Romanen erkennbar. Darauf angesprochen erklärt von Suffrin, dass sie direkt nach ihrem ersten Roman »Nochmal von vorne« anfangen und sich verbessern wollte. Diese sympathische und bescheidene Aussage, die nebenbei auch den Titel ihres neuen Buches erklärt, kommt beim Publikum sehr gut an.

Vom Schreiben als Quereinsteigerin

Im Laufe des Abends liest die Autorin einige Textstellen und das Publikum erfährt weitere interessante Einzelheiten zur Entstehung des Romans. Von Suffrin bezeichnet sich selbst als Quereinsteigerin, was ihr aber die Freiheit gebe, Dinge abseits von gelernten Konventionen auszuprobieren. Die eigentliche Romanhandlung sei ihr weniger wichtig. Ihr gehe es vor allem um die Figuren, die all die Höhen und Tiefen erleben, die es auch im realen Leben gibt. Dass die Figuren dabei eine Entwicklung durchmachen und z. B. zu besseren Menschen werden, sei ihr hingegen nicht wichtig, so die Autorin: »Meine Figuren treten als Idioten auf und gehen als Idioten ab.« Beim Schreiben sei sie generell eher der unstrukturierte Typ und könne nicht immer vorausahnen, wie sich die Geschichte später entwickeln werde, doch trotzdem gelinge es ihr, die Figuren immer wieder einzufangen, sollten sie doch mal zu viel Eigenleben entwickeln. So schaffe es von Suffrin, durch ihre Figuren und ihre pointierte, humorvolle Sprache die Leserschaft in den Bann zu ziehen, resümiert Solloch mit Verweis auf aktuelle Pressestimmen wie z. B. Maxim Billers Kolumne auf Zeit Online.

Humor als Ausweg

In Nochmal von vorne wird die Geschichte einer äußerst dysfunktionalen Familie erzählt. Der Vater ist der Sohn rumänischer Holocaustüberlebender und in Israel aufgewachsen. In den 80er Jahren kommt er zum Studium nach München und trifft dort seine spätere Frau, die Tochter bayrischer Katholiken. Zusammen bekommen sie die Töchter Rosa und Nadja und ziemlich schnell sind eigentlich alle unglücklich. Die Eltern konnten beide ihre beruflichen Träume nicht erreichen und es gibt nur noch Streit zwischen ihnen. In diesem Umfeld wachsen die beiden Töchter auf.
Obwohl das alles ziemlich deprimierend klingt, schafft von Suffrin es, die Geschichte auf sehr nachvollziehbare und humorvolle Weise zu erzählen. Besonders deutlich wird dies bei der Figur des Vaters. Auf der einen Seite kann man über ihn und seine Marotten lachen, trotzdem ist er ein komplexer Charakter und seine Resignation und sein Scheitern am Leben wecken Mitgefühl. Im Gespräch meint die Autorin, dass Familie manchmal Elend bedeute, aber man könne über solche schwierigen familiären Situationen auch lachen. Der Humor habe bei ihr eine entlastende Funktion und biete einen Ausweg aus dem Elend. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Gespräch auf der Bühne immer wieder Lacher im Publikum hervorruft. Trotz teils ernster Themen ist das Gespräch locker und die Stimmung entspannt und humorvoll.

Ernste Themen und ein schöner Abschluss

Zum Ende hin nimmt das Gespräch einen ernsten Ton an, als Solloch die Autorin fragt, ob das momentane Ausmaß von Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft für sie eine Überraschung gewesen sei und wie sie damit umgehe. Von Suffrin erklärt, dass ihre Generation so etwas nicht erwartet habe und darauf nicht vorbereitet war. Trotz Betroffenheit versuche sie, es nicht immer nah an sich heranzulassen. Zum Abschluss wird es dann nochmal versöhnlich und das Gespräch kehrt zu den Romanfiguren zurück. Von Suffrin liest das Kapitel vor, in dem sich die Eltern kennenlernen – die einzige Szene im Roman, in der die beiden nicht streiten. Abschließend kündigt sie an, dass sie an einem neuen Roman arbeitet.
Das Publikum folgt gespannt dem interessanten Gespräch. Die Atmosphäre zwischen Solloch und von Suffrin ist entspannt, es wird gelacht und ein bisschen ist es, als würde man mit guten Bekannten zusammensitzen. Die Offenheit der Autorin, kleine Anekdoten aus dem Entstehungsprozess des Romans zu teilen, kommt beim Publikum gut an. Nach der Lesung kann das Publikum Bücher signieren lassen und der Autorin persönlich begegnen, die sich bei allen fürs Kommen bedankt.

Der NDR hat die Veranstaltung aufgezeichnet und alle Interessierten können das Gespräch bei NDR Kultur nachverfolgen.

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