Niemand versteht, denn niemand redet

Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann erzählt eine greifende Geschichte über die starke Spaltung zwischen sowjetisch erzogenen Eltern und ihren vom Westen geprägten Kindern.

Von Felix Bieling

Bild: Via Pixabay, CC0

Im Roman Im Menschen muss alles herrlich sein gelingt Sasha Marianna Salzmann in einer melancholischen und ergreifenden Geschichte die Darstellung des großen Problems des gegenseitigen Verstehens zwischen älteren und jüngeren Generationen. Der Mittelpunkt der Geschichte liegt dabei auf den Jahrgängen der Sowjet-Migranten:innen, also jenen Menschen, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind und in den 90ern in den Westen migrierten, und auf deren Kindern.

Mit dieser Migrationsgeschichte hat Salzmann ganz eigene Erfahrungen gemacht, denn sie wuchs in Moskau in der Sowjetunion auf und emigrierte 1995 mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie studierte Literatur, Theater und Medien in Hildesheim und Szenisches Schreiben in Berlin und seit 2013 ist sie Hausautor:in des Maxim-Gorki-Theaters in der Hauptstadt. Salzmann ist Träger:in mehrerer Literaturpreise und auch Im Menschen muss alles herrlich sein wurde für den Deutschen Buchpreis 2021 nominiert.

Aus der Sowjetunion in die Gegenwart

Eine der beiden Hauptfiguren, Lena, stammt aus der Stadt Gorlowka in der Sowjetunion und wuchs in einer mittelständischen Familie auf. Man begleitet sie durch entscheidende Lebensphasen, wie die Einschulung, den Beginn ihres Studiums, den Verlust von Familienmitgliedern oder auch die Geburt des ersten Kindes und ihre Auswanderung nach Deutschland. Anschließend wird das gegenwärtige, zerbröckelnde Verhältnis von Lena und ihrer Tochter dargestellt, allerdings aus der Perspektive ihrer Tochter, Edita, der zweiten Hauptfigur des Romans. Die Lebenssituation von Edita, die sich stark von Lenas Sozialisierung in der Sowjetunion unterscheidet, wird recht schnell abgehandelt: Sie ist in einer individualistischen, demokratischen und progressiven Stadt groß geworden und fühlt sich darin wohl, wäre dort nicht der andauernde Konflikt mit ihrer Mutter.

Auf dem Weg zur Geburtstagsfeier von Lena muss Edita eine langjährige Freundin ihrer Mutter, Tatjana, die genau wie Lena aus der Sowjetunion stammt, im Auto mitnehmen. Edita kann ihre Beifahrerin nicht ausstehen, sie gehört schließlich auch zu dieser alten Sowjetgeneration. Nachdem Edita Tatjana etwas provoziert hat, erzählt diese ihr von dem Leben in der UdSSR, der Zeit nach dem Umsturz und der Auswanderung nach Deutschland. Während dieser Autofahrt fängt Edita zum ersten Mal an, die Mentalität der Sowjet-Migranten:innen zu verstehen und erkennt das gravierende Problem dieser Generation: Sie haben ihre Vergangenheit nie verarbeitet.

Eine empathische Perspektive

Der zentrale Punkt des ersten Teils der Geschichte liegt nicht auf politischen Inhalten, sondern darauf, wie persönliche Ereignisse und Veränderungen Lena prägen. Die politischen Umstände in der UdSSR sind für Lena nicht von Relevanz, wodurch es sehr einfach wird, ihre Sozialisation vorurteilslos nachzuvollziehen und sich in ihre Lage hineinzuversetzen. Denn Salzmann liegt nichts daran zu erzählen, wie die Sowjetunion Propaganda betrieben hat, stattdessen will sie die Geschichte einer Mutter erzählen, die in der UdSSR aufgewachsen und später in den Westen migriert ist. Bei all den Steinen, die Lena im Weg liegen, findet man sich schon früh in der Lage, beim Lesen mit ihr mitzufiebern und zu hoffen, dass sie all ihre Probleme erfolgreich bewältigt.

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Sasha Marianna Salzmann
Im Menschen muss alles herrlich sein

Suhrkamp: Frankfurt 2021
384 Seiten, 24,00€

Ganz nebenbei werden dann die Missstände der Zeit erwähnt, doch es geht Lena nicht um die kaputte Planwirtschaft. Es geht darum, ihre Großmutter im Sommer in Sotschi zu besuchen, Haselnüsse zu pflücken und diese gemeinsam mit ihrer Großmutter zum Markt zu bringen. Warum sollte Lena sich denn für irgendwelche Propaganda interessieren, wenn es für sie doch viel weltzerstörender ist, dass ihre Eltern sie zu so einem Pionierkamp schicken wollen, wo sie die ganzen Sommerferien verbringen muss? Sie sieht ihre Großmutter und Freunde in Sotschi dann doch gar nicht mehr.

Eine augenöffnende Geschichte

Meisterlich schafft es Salzmann, in Lenas Geschichte darzustellen, wie eine Person von der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen ist, geprägt werden kann. Die späteren Abschnitte des Buches, in denen gezeigt wird, wie Edita den Kontakt zu ihrer Mutter so gering hält wie irgend möglich, werden dadurch nur noch tragischer. Die Problematik, welche Salzmann hierbei auffasst, ist das Unvermögen von Lenas Generation, offen und ehrlich über ihre Erziehung zu reden, denn solche Kommunikation gehörte sich in der Sowjetunion nun einmal nicht und war mitunter auch gefährlich. In Editas Generation ist es aber genau anders, man darf offen miteinander sein, sich entfalten und kritisieren.

Dieser Konflikt zwischen den Mentalitäten dieser älteren und jüngeren Jahrgänge wird auf eine äußerst empathische Weise porträtiert und jeder sollte etwas aus diesem Werk lernen können. Alle Perspektiven werden respektvoll dargestellt und die von Salzmann verwendeten Vergleiche, welche vor allem die Gedanken von Lena oder Edita verstärken, sind so realistisch und nachvollziehbar gewählt, dass sie die Immersion der Leserschaft ungemein verstärken. Umso melancholischer wirkt der Ton des Romans, je länger man die Geschichte von Lena und ihrer Familie miterlebt. Dieser Ton entsteht, weil die Leser:innenschaft die Perspektiven von Mutter und Tochter zu verstehen lernt und so wird jede:r aufmerksame:r Leser:in dem Roman eine lehrreiche Lektion entnehmen können.

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