Emma Clines Roman Die Einladung zeichnet eine Welt, in der nicht alles Gold ist, was glänzt: Die 22-jährige Alex arbeitet als Escort, um am vermeintlich sorgenfreien Luxus-Leben der Schönen und Reichen teilzuhaben. Welchen Preis sie dafür zahlt, führt der Roman vor Augen – und geht dabei nicht tief genug auf das Gefühlsleben seiner Protagonistin ein.
Von Lina Frerichs
Den Problemen und Gedanken davonschwimmen? Das ist Alex Motto. Die 22-jährige Protagonistin aus Emma Clines im Mai 2023 erschienen und von Monika Baark aus dem Englischen übersetzten Roman Die Einladung (Hanser) versucht Halt im Leben zu finden. Alex hat die Schule abgebrochen, keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern und arbeitet immer wieder als Escort. Ihren Sommer verbringt sie am Meer bei dem fast doppelt so alten und reichen Simon. Er bezahlt und sie tut, was er will. Ein Modell, das Alex schon seit Jahren mit verschiedenen Männern lebt. Doch mit Simon scheint es anders und tiefgründiger zu sein. Tagsüber arbeitet Simon, Alex geht schwimmen und macht den Haushalt. Abends gehen sie auf Partys von Simons reichen und viel älteren Freunden. Alex spielt ihre Rolle routiniert und verliert sich dabei zunehmend im Alkohol. Immer wieder stiehlt sie und kann das Verhalten nicht ablegen. Dann leistet Alex sich einen Fehltritt auf einer Party von Simons Freunden, durch den sie für ihn nicht mehr in sein Leben passt: Sie stürzt im schicken Abendkleid mit dem Partner der Gastgeberin in den Pool. Simon wirft sie kurzerhand raus.
Alex hat keine Wohnung, kein Geld, ist völlig auf sich gestellt und fühlt sich verloren. Die Zeit, bis sie Simon wieder aufsuchen will, muss sie ohne Dach über dem Kopf durchhalten und begegnet dabei den verschiedensten Menschen; versucht, durch Lügen irgendwo unterzukommen. So erschleicht sie sich im Austausch für ein erlogenes Liebesgeständnis Geld von dem 19-jährigen Jack, den sie am Strand kennengelernt und der sich in sie verliebt hat, um sich von ihrem Ex-Liebhaber freizukaufen – ohne schlechtes Gewissen. Sie lernt Menschen kennen, kommt bei ihnen unter, gewinnt ihr Vertrauen, beklaut sie anschließend und läuft wieder davon. Zuletzt begibt Alex sich zu einer Party von Simon und versucht ihn dort zurückzugewinnen.
Alex bleibt skrupellos, um ihr Ziel zu erreichen
Emma Cline schreibt auf eine sehr nüchterne Art. Alex wirkt real und ihr Verhalten auf irgendeine Art nachvollziehbar. Sie fühlt sich in einer aussichtlosen Situation gefangen und versucht skrupellos alles, um zu Simon zurückzukehren, der ihr Sicherheit geben konnte. Dadurch vergisst sie jegliche Moral und läuft im Tunnelblick. Allerdings stellt sich auch die Frage, ob es ihr vielleicht um mehr als Simon geht. Ist ihr daran gelegen, allen Menschen gegenüber betrügerisch aufzutreten, die ein ›normales‹ Leben führen, um die Enttäuschung über ihr eigenes Leben auszudrücken? Sie ist gefangen in der Welt der Reichen und Schönen und zeitgleich verstrickt in Machtstrukturen, in die sie schon vor Simon geraten ist. Nur durch sexuelle Dienstleistungen kann sie sich annähernd über Wasser halten. Sobald Probleme auftauchen, geht sie zum nächsten Sugar-Daddy. Nichts in ihrem Leben scheint normal, ihr wohlgesonnene Menschen werden beklaut, ausgenutzt und belogen:
Obwohl Alex nicht sympathisch wirkt, empfindet man Mitleid gemischt mit Empörung und Verständnislosigkeit beim Lesen. Und es stellt sich immer wieder die Frage: Warum sucht sie sich nicht Hilfe und fängt ein neues Leben fernab von all dem Drama an?
Ausgesetzt in der Erwachsenwelt
Die Einladung nimmt vor allem das Thema des Verlorenseins junger Frauen / Menschen in den Zwanzigern auf und lässt mitfühlen. Der Roman zeigt, wie schwer es ist, auf einmal in eine Erwachsenenwelt passen zu müssen, aber dennoch den eigenen, teilweise auch widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen, Bedürfnissen und Sehnsüchten einen Raum schaffen zu wollen. Nicht zu wissen, wie es weitergeht und dann plötzlich allein dazustehen. In Alex Fall ist das extrem dargestellt, aber trotzdem bietet die Geschichte auch einen Anhaltspunkt für das eigene Leben hinsichtlich des Treffens von falschen Entscheidungen und der Herausforderung, aus diesen wieder herauszukommen. Alex tut nahezu alles, um etwas Sicherheit zu erfahren.
Schwere Themen, die nicht tief genug erscheinen
Was der Roman daneben verhandelt, ist das Thema sexueller Abhängigkeit und käuflicher Sexualität anhand des Sugar-Daddys Simon. Alex bietet sich Simon sexuell an, um überhaupt eine Wohnung zu haben. In dem Roman werden ihre schwierigen und ehrlichen Empfindungen gegenüber ihrem Job, den sie nicht immer zwingend als solchen ansieht, deutlich. Sie verbindet Sexuelles mit für sich Überlebensnotwendigem, nicht mit Lust; auch mit Jack etwa schläft sie nur, um ihr Ziel zu erreichen. Cline allerdings kritisiert das Thema zu unsensibel in ihrem Roman. Man hätte sich mehr Tiefe gewünscht, um Alex Gedanken besser zu verstehen. Der Akt an sich wird als sachliche Handlung dargestellt; was diese Form der Sexualität aber in Alex für Empfindungen auslöst, wird zu wenig thematisiert. Abgesehen davon allerdings ist die ambivalente Beziehung zwischen Simon und Alex interessant und spiegelt die mit einer Abhängigkeitsbeziehung möglicherweise auch wachsende emotionale Bindung wider.
Cline kritisiert aber auch die Parallelwelt der Reichen und Schönen und deren inszeniertes Verhalten »Respektvoll, quietschsauber, das war die Haltung, die sie gegenüber älteren Frauen anzunehmen gelernt hatte.« Es geht um Außendarstellung und eine Show à la ›Wer hat den teuersten Wein zuhause?‹ Die Einladung ist also nicht nur ein Roman über eine schwierige Phase in den Zwanzigern oder eine verlorene junge Frau, sondern ein stark gesellschaftskritischer Roman, der Klassenunterschiede vorführt. Eine verloren wirkende Heranwachsende, die sich in sexuellen Dienstleistungen verliert – diese Geschichte ist nicht zwingend neu. Aber dennoch schafft es Cline, Alex besonders wirken zu lassen. Während Alex sich wenig Gedanken über ihre Zukunft macht und im Moment lebt, besitzt sie eine unglaublich gute Menschenkenntnis und schafft es, ihre Mitmenschen schnell einzuschätzen und diese dann zu manipulieren.
Der Roman schwimmt nicht weit genug raus
Obwohl man den Roman fast verschlingt, fehlt etwas. Man kommt nicht ganz an Alex heran und würde sich teilweise mehr wünschen. Mehr in Alex’ Gefühlswelt eintauchen, sie mehr verstehen. Was sind ihre Ziele im Leben und vor allem: Wer ist sie eigentlich? Zudem stellt sich auch die Frage, inwiefern ihre Skrupellosigkeit nur gespielt oder Teil ihres Charakters ist. Sie wirkt in ihren gesamten Handlungen nahezu maschinell und abgebrüht. Es fehlt eine gewisse Tiefe, die dazu verhelfen könnte, noch mehr mit Alex und ihrem Plan, Simon zurückzugewinnen, mitzufühlen
Einerseits ist Clines Roman unglaublich fesselnd, baut durch die Frage, wie Alex durch die Woche, bevor sie Simon zurückgewinnen will, kommt, Spannung auf. Der gesellschaftskritische Ton und das Offenlegen klassistischer Machtstrukturen regen zudem zum Nachdenken an. Andererseits lässt der Roman zu viele Fragen offen und ist teilweise oberflächlich. Alex bleibt ein Mysterium und auch ihre Zukunft zu ungewiss. Außerdem erfährt man zu wenig über ihre Vergangenheit, um womöglich ihr aktuelles Handeln besser nachempfinden zu können. Insgesamt ist, wer Lust auf etwas Spannung, Themen zum Nachdenken und einen Roman zum schnellen Durchlesen hat, mit Die Einladung gut beraten.