Zum Frühling gehört – von China bis in die Niederlande – der Frühjahrsputz. Wo kommt diese Verbindung eigentlich her? Was hat sie für einen Sinn? Und was bringt uns das Aufräumen unabhängig davon, dass wir es danach ordentlicher haben? Auf der Suche nach dem Zweck eines staubigen Rituals.
Von Max Rauser
Bild: Via Pixabay, CC0, bearbeitet
Zu Silvester hatte ich einige Freund:innen da. Das war sehr schön, aber da wir zu sechst in meinem WG-Zimmer hausten, doch auch etwas eng. Alle kamen aus dem Weihnachtsurlaub und brachten neu geschenkte Sachen mit, die sich über meine eigenen Sachen verstreuten und bei mir nach einigen Tagen das dringende Bedürfnis weckten, aufzuräumen. Ich wollte endlich nicht mehr an meine Dinge denken müssen. Endlich wieder wissen, wo sie alle sind und auf mich warten. Schon zu Silvester fand ich dieses Gefühl (dem ich nicht nachgekommen bin) interessant. Jetzt, vier Monate später, fällt es mir wieder ein, denn der Frühjahrsputz steht an. Aber anstatt wirklich aufzuräumen, ist es viel verlockender, noch ein bisschen weiter zu überlegen, was Aufräumen eigentlich mit uns macht.
Wer ist verantwortlich für den Frühjahrsputz?
Am Anfang stehen einige Fragen: Wo kommt der Frühjahrsputz her? Gibt es den überall, oder nur in Mülltrennen-und-Kehrwochen-Deutschland? Warum nicht im Herbst putzen, wenn einer:m lange Monate zu Hause bevorstehen, warum gerade im Frühling? Weil man da wieder sieht, wie dreckig die Fensterscheiben eigentlich sind? Ist dann der Frühjahrsputz als Tradition nur so alt wie die Fensterscheibe? Ein kulturelles Nebenprodukt der technologischen Errungenschaft, stabile Glasplatten herzustellen? Und machen das alle Menschen, oder zum Beispiel nur welche mit Eigenheim oder nur welche, die so richtig erwachsen sind und vielleicht ein bisschen spießig?
Um die einfachen Fragen gleich zu beantworten: Nein, Frühjahrsputz gibt es nicht nur in Deutschland. Sondern eigentlich in allen Regionen der Welt, in denen es Jahreszeitenklima gibt. Neben dem Frühjahrsputz in Europa, aber zum Beispiel auch in Japan und China, gibt es noch das jüdische Pessach und das weit verbreitete persische Neujahrsfest Nouruz, zu denen umfangreiche Putzaktionen gehören. Beide Feste existieren deutlich länger als Fensterscheiben.
Was macht Aufräumen mit uns?
Zu den kognitiven und psychischen Auswirkungen des Aufräumens gibt es quasi keine Forschung. Jedenfalls habe ich über Artikel zu Reinlichkeitszwangsstörungen hinaus nichts gefunden. (Wer sonst etwas weiß: Immer her damit!) Von Freund:innen, die ich befrage, erfahre ich immerhin, dass einige von ihnen nicht nur aufräumen, wenn es nun mal sein muss, sondern auch, um ›innere Unordnung‹ loszuwerden. Binsenweisheit, okay. Heißt aber auch: Das Gefühl kennen wahrscheinlich viele.
Frühlingskolumne
Der Frühling ist endlich da – und weckt bei den Litlog-Autor:innen ganz unterschiedliche Assoziationen. In guter Tradition der Sommerkolumne betrachten wir in unserer neuen Reihe die Jahreszeit in all ihren Facetten. Alle Beiträge findet ihr hier.
Aus einer kulturanthropologischen Perspektive betrachtet die in Göttingen lehrende Stefanie Mallon das Aufräumen. In ihrer Dissertation Das Ordnen der Dinge – Aufräumen als soziale Praktik (Campus Verlag, 2018) geht sie der Position nach, die die Praktik des Aufräumens in einer Gesellschaft einnimmt. Laut dem von ihr zitierten Anthropologen Jean-Claude Kaufmann ist das Aufräumen eine der ältesten Kulturtechniken der Welt. Das heißt aber auch, dass sie von jedem Menschen erst neu erlernt werden muss. Sichtbar ist das an den Streits, die wir mit unseren Eltern darüber geführt haben, ob es mal wieder an der Zeit ist oder nicht. André Leroi-Gourhan, auf den Mallon ebenfalls verweist, schreibt, beim Aufräumen würden Menschen die Dinge um sie herum mit Bedeutung aufladen. Der unkontrollierbaren Umwelt würde eine Ordnung entgegengestellt, bei der jeder Gegenstand eine Funktion, einen Sinn zugewiesen bekommt. Die Komplexität der Welt wird reduziert. Ha, dazu passt meine Überforderung an Silvester!
Und wie hängt das mit dem Frühling zusammen?
Nochmal zurück zu Nouruz. Dabei feiert man nämlich zur Tagundnachtgleiche um den 21. März den Beginn eines neuen Jahres. In mehr als einer Hinsicht ähnelt das Fest Ostern, das bei christlich geprägten Menschen die unsinnigerweise in den Winter verschobene Neujahrsfeier ersetzt. Das Wiederentdecken von Blumen, Wiesen und Tieren, die bisher unter der Erde versteckt oder im Winterschlaf gewesen waren, lässt auch sie den Frühling zwingend mit dem Beginn des Jahreszeitenzyklus assoziieren, selbst wenn der Kalender im tiefsten Winter beginnt. Der Frühjahrsputz: dann wohl ein später Abschluss des alten Jahres, dessen Überreste beseitigt werden, damit sie uns nicht mehr beschäftigen.
Gleichzeitig ist er die Vorbereitung auf das neue Jahr. Wir fahren mal kurz die Komplexität runter, weil es garantiert auch dieses Jahr wieder früh genug ganz schön komplex wird. Wir vergewissern uns unserer Werkzeuge und stärken die alten Sinnbeziehungen. Wir machen tabula rasa und fangen von vorn an. Der Frühjahrsputz ein jährliches Sinnschöpfungsritual? Ein säkuläres Gegenstück zu Ostern? Mit Kehrblech und Swiffer in den Händen feiern wir unsere Wiedergeburt? Ein bisschen vielleicht, ja.
Meine Freund:innen habe ich übrigens auch gefragt, ob sie Frühjahrsputz machen. Viele nicht. Aber den Impuls dazu kennen die meisten.
Some real nice words in there old sport!