Lebensherbst

Der Schauspieler und Autor Robert Seethaler wirkt zunächst ein bisschen unbeholfen auf der großen Bühne des DT, gewinnt aber das Literaturherbstpublikum mit seiner Offenheit und seinen Geschichten aus Das Feld. Ein durchweg gelungener Abend, der Erinnerungen mitnehmen lässt.

Von Belinda Schantong

Bild: Herbstblätter von bluemorphos via pixabay CC0

Der erste Literaturherbstsonntag endet im ausverkauften Deutschen Theater. Entsprechend laut ist am 14. Oktober der aufbrandende Applaus, als Moderator Stephan Lohr die Bühne gemeinsam mit dem Star des Abends betritt: Robert Seethaler. Die beiden lassen sich nieder und beginnen den Abend zunächst mit einem Gespräch. Es sei nicht leicht gewesen, den Autor herzubekommen, lässt uns der Moderator wissen. Auch für Seethaler ist der Auftritt im Deutschen Theater ein besonderes Erlebnis – die Theaterbühne sei ihm als ehemaligem Schauspieler vertraut und bringe schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen mit sich, so berichtet er dem Publikum.

Erinnerungen sind das Leitmotiv des Abends, denn das besprochene Buch ist vollgepackt mit ihnen. Es handelt sich um Seethalers jüngsten Roman Das Feld. Ein Buch mit einer besonderen Struktur, denn es besteht aus 29 einzelnen Geschichten: Den Erinnerungen der Toten an ihre Leben.

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Info

Vom 12.-21. Oktober fand der 27. Göttinger Literaturherbst statt. Als Nachklapp veröffentlicht Litlog in der Woche vom 22.-28. Oktober jeden Tag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms.
Hier findet ihr die Berichte im Überblick.

Das Feld ist der jüngste von Robert Seethalers sechs Romanen, die seit 2006 in regelmäßigen Abständen erscheinen. Dennoch erklärt Seethaler auf Stephan Lohrs Frage hin, dass er dies nicht als das Ergebnis stetiger, disziplinierter Arbeit bezeichnen würde. Aber leicht sprudeln die Worte auch nicht, im Gegenteil: »Ich habe Worte immer als Hürden wahrgenommen, die ich mühsam überklettern muss«, gesteht Seethaler. Generell gibt sich der Autor zurückhaltend, beginnt seine Sätze selten ohne Stocken und ringt teilweise sichtlich mit diesen Hürden. Dennoch, oder gerade deswegen, wirkt der Autor unheimlich sympathisch. Mit brachialer Ehrlichkeit stellt er sich dem Publikum, erzählt von seiner durch eine Sehbehinderung erschwerten Vergangenheit, von seinem Werdegang vom Klassenclown zum Theaterschauspieler, wo er gehofft hatte, sich im Rampenlicht verstecken zu können. Auch davon, dass ihm das Schreiben nicht mehr so leicht falle wie früher.

Dann beginnt er zu Lesen und die gefühlte Unsicherheit verschwindet. Zum Einstieg wählt er die Geschichte, die auch das Buch eröffnet. Hanna Heim erinnert sich an ihre ersten und ihre letzten Augenblicke mit ihrem Ehemann, den sie bei ihrer ersten Anstellung an einer Schule kennenlernt und der sie an ihrem Sterbebett noch immer begleitet, bis sie ihren letzten Atemzug tut. »Traurig, nicht?«, schließt Seethaler die Geschichte und auf das zögerliche Nicken aus dem Publikum hin erklärt er, dass er Traurigkeit als etwas Gutes ansieht, als »ins fließen geratene Depression«, und was sich bewegt, das sei gut.

Die nächste Geschichte, die er vorträgt, ist dann auch eine weniger traurige: Herm Leydicke will seinem Sohn aus dem Grab heraus ein paar letzte Ratschläge mitgeben. Die Liste mit fünfzehn Lebensweisheiten ist gespickt mit Humor, und die Pointen kommen an. Die Stimmung löst sich, trotz der eher schwerwiegenden Themen, die Das Feld und konsequenter Weise die Besprechung des Buchs beherrschen. Das Gespräch schwingt zwischen Melancholie und Witz. Seethaler erklärt, dass die Grundlage des Buchs die Frage sei, was von einem Leben bleiben würde. »Es sind die Augenblicke, an die man sich erinnert«, verkündet er überzeugt. Wenn er sich an sein Leben erinnert, so denke er an das Winken seines Vaters im spiegelnden Fenster, oder an den krummen Rücken seines eigenen Sohnes. Solche Bilder seien es, die ihm wohl blieben, spräche er wie seine Charaktere aus dem Grab.

Der Tod schwebt ständig über den Geschichten des Romans, ist beim Lesen ein dauernder Hintergedanke, doch bei dieser Lesung soll dem nicht so sein. Als Stephan Lohr die vielen präsentierten Todesarten im Buch ansprechen will, verhört sich der Autor zunächst. »Todesabend?« »Nein – ARTen.« Einige semantische Wirrungen später liegt Seethaler lachend auf dem Tisch und gibt zu: »Die Wahrheit ist, dass ich beim Schreiben gar nicht so viel nachdenke.« Die Diskussion über die Todesarten schmettert er danach schließlich ganz ab: Es gehe in seinem Roman nicht um das Sterben, sondern um das Menschsein!
Und schließlich verrät Robert Seethaler noch etwas: »Es gibt nichts Schlimmeres, als zu lange Lesungen!« Trotzdem ringt das begeisterte Publikum ihm noch drei weitere Geschichten ab, ehe er sich mit Händedruck und Umarmung von Stephan Lohr verabschiedet.

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