Der Betna e.V. zeigte in Bamberg zwei ägyptische, themenspezifisch ausgerichtete Dokumentarfilme und einen deutschen Spielfilm. Damit sollte das Filmfest nicht nur über häusliche und sexualisierte Gewalt aufklären, sondern auch Raum für Gespräch und Reflexion schaffen.
Von Radwa Shalaby
Bild: Mit freundlicher Genehmigung des Betna e.V.
»Kunst der Teilhabe«, »Engagierte Kunst«, »Politische Kunst« – diese Begriffe hört man oft im direkten Vergleich zu einer in einigen Belangen oberflächlichen Interpretation der »l’art pour l’art«. Ohne die Kunst um der Kunst Willen zu unterschätzen, zeigt das Filmfest des Betna e.V. mit Filmbeiträgen über häusliche Gewalt in Ägypten und Deutschland, wie Kunst und Engagement noch über die Filme hinaus zusammenlaufen. Der Betna e.V. (ägyptisch: »Unser Haus«) setzt sich für Frauen und Kinder in Ägypten ein, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Der Verein mit Sitz in Bamberg (gegründet 2015 u.a. von der ägyptisch-deutschen Studentin Lena El-Laymony) arbeitet mit der ägyptischen Frauenrechtsorganisation ADEW zusammen und hat sich u.a. die Unterstützung des einzigen Frauenhauses in Ägypten zum Ziel gesetzt. Um für das Tabuthema (häusliche) Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren, präsentierte Betna in Zusammenarbeit mit dem Frauenhaus Bamberg am 10.06.2017 im Jugendzentrum Bamberg zwei ägyptische Dokumentarfilme und einen deutschen Spielfilm. Damit wollte das Filmfest nicht nur aufklärerisch agieren, sondern auch die Möglichkeit zum Austausch über die meist tabuisierten oder im besten Fall unterschätzten Themen schaffen.
Tabuthema Sexuelle Belästigung
Der fünfundzwanzigminütige Dokumentarfilm The People’s Girls (ägyptischer Originaltitel: banāt an-nās) aus dem Jahr 2014 bildete den Auftakt des Filmfestes. Im Mittelpunkt steht eine Szene, in der die amerikanische arabischsprachige Co-Regisseurin Colette Ghunim die Kasr El-Nil-Brücke in Kairo entlangläuft und heimlich filmt, wie Männer sie anstarren und verbal belästigen. Dies eine Beispiel ist sinnbildlich für das, was Frauen in Ägypten alltäglich erleben. Im Hintergrund läuft das ägyptische »Mahraganat«-Lied mit dem Titel Ja, ich flirte, aber belästige nicht! Die »Mahraganat«-Lieder, die ursprünglich in den Armenvierteln Kairos entstanden und in den letzten zehn Jahren zu Hits geworden sind, werden oft von gebildeten Eliten als geschmacklos und unkultiviert kritisiert. Seit der Januar-Revolution 2011 tauchen aber immer mehr politische und gesellschaftliche Themen in den »Mahraganat« auf. Das Hintergrundlied der Brücken-Szene in The People’s Girls pointiert diese gesellschaftliche Teilhabe der ägyptischen Popkultur. Auf diese Weise wirft der Film das Licht nicht nur auf ein soziales Problem, sondern er dokumentiert die bewusste Auseinandersetzung mit einem Thema, dem Frauen überall auf der Welt begegnen. Dass es sich um eine Problematik handelt, die nicht nur Ägypten betrifft, betont auch die Regisseurin Tinne Van Loon immer wieder in sozialen Netzwerken. Laut ihrem eigenen Kommentar wurde das Brücken-Video deswegen ein viraler Hit, weil Menschen weltweit mit sexueller Belästigung konfrontiert sind und sich darin wiedererkannten.
Ägyptische Frauen im soziopolitischen Wandel
Als Highlight des Festivals wurde der Dokumentarfilm In the Shadow of a Man (2012) von der ägyptisch-britischen Regisseurin Hanan Abdalla gezeigt. Im fünfundsechzigminütigen Film kommen vier ägyptische Frauen zu Wort, die sich gegen patriarchische Strukturen in der Gesellschaft wehren und sich auf individuelle Weise für ein freies, emanzipiertes Leben entscheiden. Wafaas, Suzannes, Shahindas und Badryas Erzählungen sind angefüllt mit Themen über Ehe, Familie, Scheidung, Kinder, Migration, häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und Missbrauch. Die vier Frauen, die aus unterschiedlichen Generationen und Milieus stammen, zudem auch diverse kulturelle Hintergründe aufweisen, verbindet der Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit. Wie ihre Geschichten zeigen, ist dieser Kampf eng mit Politik verbunden. Die vier Frauen reden meist einzeln vor der Kamera. Es entsteht aber der Eindruck, dass sie alle im Dialog miteinander und mit den Zuschauenden stehen.
Voller Humor erzählt Wafaa die eigentlich traurige Geschichte ihrer Hochzeitsnacht und bringt die ZuschauerInnen trotz der dramatischen Erzählung zum Lachen. Sie ist 69 Jahre alt und wurde in einem armen Viertel in Kairo geboren. Mit 35 ließ sie sich scheiden, woraufhin sie nach England auswanderte. Dort hat Wafaa lange Zeit gearbeitet und selbstständig gelebt. Inzwischen lebt sie – weiterhin alleinstehend – wieder in Kairo und kämpft sich in Hassliebe zu ihrer Heimatstadt emanzipiert durch die alltäglichen Herausforderungen.
Shahinda hingegen kommt aus der Oberschicht. In einem Dorf im Nildelta wurde sie von ihren Eltern autonom und feministisch erzogen. Ihr Ehemann setzte sich zeitlebens für die Rechte der ägyptischen Bauern ein. Als dieser 1966 von den Gegnern der Bewegung ermordet wurde, ging Shahinda als einzige Frau unter all den männlichen Landwirten allen voran auf die Straße, um den Kampf ihres Mannes als Anführerin fortzusetzen.
Dann von Shahinda im Nildelta zu Badrya in Oberägypten: Badrya träumte davon, Bildende Kunst zu studieren und Krankenschwester zu werden, musste ihre Träume aber wegen ihrer Heirat aufgeben. Nun lebt sie mit ihren Kindern und ihrem Mann als einfache Bäuerin auf dem Land. Vor der Kamera sagt Badrya im Jahre 2011, sie wolle sich von ihrem Mann scheiden lassen und an den Parlamentswahlen teilnehmen. Zu Gunsten ihrer Kinder aber verzichtete sie auf eine Trennung.
Die jüngste Protagonistin des Films ist die einunddreißigjährige Suzanne, die bereits sechsmal verlobt war. Ihren letzten Verlobten hat sie verlassen, um auf dem Tahrir-Platz an den Demonstrationen gegen die bestehende Regierung teilzunehmen, 2011 brach dort die ägyptische Revolution aus. Seitdem lebt Suzanne allein in Kairo. Sie besitzt einen kleinen Laden, der ihr finanzielle Unabhängigkeit und somit Freiheit garantiert. Suzannes Mut beeindruckt spätestens dann, als sie vor der Kamera erzählt, wie sie von ihrem Großvater sexuell missbraucht wurde, ihre Mutter ihr aber keinen Glauben schenkte. Zudem erstaunt ihr Gespräch mit zwei verschleierten Frauen, die in Suzannes Geschäft über die politische Emanzipation der Frau und darüber diskutieren, ob sie Frauen ins Parlament wählen würden. Suzanne, deren Meinung dazu im Vergleich zu ihrem autonom gestalteten Leben sehr überrascht, würde keiner Frau im Parlament ihre Stimme geben, weil diesen in deren Amtszeit, so ihre Überzeugung, wegen möglicher Schwangerschaft nur bedingt Zeit zur Verfügung stünde. Ihre Meinung wird von den zwei Niqab tragenden Frauen stark kritisiert: Sie wollen Frauen in allen Positionen in Ägypten sehen.
In diesem Gespräch wie auch im ganzen Film präsentiert sich die ägyptische Frau unabhängig von Herkunft, Religion oder Alter nicht in einer Opferrolle, sondern als aktives Mitglied einer Gesellschaft im Wandel. Regisseurin Abdalla reproduziert also nicht das stereotypische Bild einer unterdrückten arabischen Frau. Im Gegenteil treten in ihrem Film vier starke, selbstbewusste Frauen auf, deren Kampf vom politischen und sozialen Kampf in Ägypten nicht zu trennen ist.
Abdalla drehte In the Shadow of a Man im Auftrag der UN-Organisation »UN Women«. Der Fokus liegt bei der jungen Regisseurin nicht auf Ausnahmeerscheinungen, sondern auf dem andauernden Kampf der Frauen gegen gesellschaftliche Autoritäten, Tradition und politische und wirtschaftliche Umstände. In einem Fernsehinterview spricht Abdalla über ihre Zerrissenheit im Umgang mit dem Thema. Auf der einen Seite betrachtet sie es als relevant und selbstverständlich, gerade nach der Revolution über die Rolle der Frau in Ägypten zu reden. Auf der anderen Seite war Behutsamkeit gefordert: Beim Drehen schwang stets der Gedanke darüber mit, wie sich mit einem solchen Thema auseinanderzusetzen sei, ohne den Eindruck zu vermitteln, dass der Film lediglich Spezialfälle aufgreift.
Nicht nur Beiträge aus dem ägyptischen Raum wurden auf dem Filmfest gezeigt. Der deutsche Spielfilm Die Ungehorsame von Ivo Beck (2015) handelt von häuslicher Gewalt in Deutschland und der rechtlichen Situation. Dramatisch und sehr blutig zeigt er, wie in einer scheinbar perfekten Beziehung die Machtverhältnisse kippen und in körperlicher und psychischer Gewalt ausarten, während das Umfeld untätig bleibt. Der Film endet mit Angabe der bundesweiten Notfall-Nummer für alle Hilfesuchenden.
Auch an der Einrichtung einer ähnlichen Notfallhotline in Ägypten arbeiten nun Betna und dessen ägyptische Partnerorganisation ADEW. Auf dem Filmfest waren das Betna-Team und die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Bamberg durchweg präsent, um mit BesucherInnen in Austausch zu treten. Dieser Umstand sowie auch das Filmfest selbst lassen das abschließende Resümee zu, dass Inhalte über politische und gesellschaftliche Missstände in kulturspezifischen Filmen auch auf andere Kulturen und Kontexte übertragbar sind und dass diese Inhalte an sich nicht unbedingt ausreichen, um von »engagierten Filmen« zu reden. Erst wenn man die filmischen Motive reflektiert und sich für Lösungsansätze einsetzt, begegnen sich Kunst und Engagement.