Der Krieg in Syrien – er stellt die Szenerie für Olga Grjasnowas neuen Roman Gott ist nicht schüchtern. Im Literarischen Zentrum sprach die Autorin mit dem Journalisten Alex Rühle.
Von Steffen Bach
Bild: Mit freundlicher Genehmigung des Literarischen Zentrums
»Alle Ihre Buchtitel erinnern mich an Songnamen der Band Tocotronic: lang, skurril und sehr witzig.« So beginnt Alex Rühle das Gespräch mit Olga Grjasnowa. Die Autorin, die am 19.4. im Literarischen Zentrum zu Gast war, stellte dort ihren dritten Roman Gott ist nicht schüchtern vor. Ihr Erstlingswerk Der Russe ist einer, der Birken liebt rückte sofort in den Fokus der lockeren Unterhaltung, die den gesamten Abend prägen sollte. Rühle: »Sie waren 2012 für mich immer die Autorin mit den Birken.« Grjasnowa: »Ich kenne seit den Lesereisen zu dem Buch so ziemlich alle Produkte, die sich mit und aus Birken herstellen lassen. Der Titel war aber eigentlich ironisch gemeint.« Birken seien das Klischee von Russland aus deutscher Sicht, so die Schriftstellerin, die ihre Kindheit in Aserbaidschan verlebte und dann als Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen war. Grjasnowa wiederum: »Also kam ich als so ein furchtbarer Wirtschaftsflüchtling, wie die CDU sagen würde.«
Man kann dem Moderator und der Autorin für ihren trockenen Humor und die schlagfertigen Wortgefechte nur dankbar sein. Die neunzig Minuten der Lesung verflogen förmlich, und das bei einem Thema, das alles andere als leichtgängig ist. Denn Grjasnowas Roman Gott ist nicht schüchtern handelt von Amal und Hammoudi, die in Syrien den Ausbruch des Krieges erleben und deren Alltag sich Stück für Stück in eine Abfolge von grauenhaften Erlebnissen verwandelt.
Doch auf den dritten Roman der Autorin sollte das Gespräch erst später kommen. Zunächst brachte Alex Rühle, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, Grjasnowas zweites Buch Die juristische Unschärfe einer Ehe aufs Tapet. Grjasnowa selbst kenne sich gut mit juristischen Unschärfen aus, musste sie doch in Dänemark heiraten, oder? »Ja genau«, greift die Wahlberlinerin auf, »mein Mann stammt aus Syrien, und in Dänemark kann man für 200 Euro sehr leicht und ohne deutsche Behörden heiraten.« »Der Mann stammt aus Syrien?«, fragt Rühle. Kam daher auch die Inspiration für den neuesten Roman? Grjasnowa erzählt, dass Sie ursprünglich ein Buch über Gastronomie habe schreiben wollen und sich in diesem Bereich schon einen Praktikumsplatz in Schwaben organisiert hatte. Dann aber übernahm das Thema Syrien mehr und mehr ihren persönlichen Alltag. Ihr Mann war ständig in Kontakt mit Freunden und Familie, die noch im Bürgerkriegsland oder schon auf der Flucht waren. Irgendwann habe sie das Gastronomie-Projekt aufgegeben und sich Gott ist nicht schüchtern gewidmet.
»Was aber soll denn der Titel bedeuten?«, fragt Alex Rühle und verweist darauf, dass die Wortfolge nie in dem Roman zu finden sei. Grjasnowa erklärt, dass es sich dabei um ein Zitat aus dem Koran handelt. Sie hat es selbst übersetzt, in offiziellen Koran-Übersetzungen laute es ungefähr »Gott ziemt sich nicht«. Die Bedeutung sei wohl, dass Gott nicht davor zurückschrecke, seine Macht einzusetzen. In ihrem Roman sei mit Gott aber jemand anderes gemeint als im Koran. »In Damaskus schmieren Assad-Anhänger überall Graffiti an die Wand, ›Baschar ist unser Gott‹«. Wie kaltherzig dieser weltliche Gott seine Bevölkerung überwacht und bestraft, erlebt in Grjasnowas neuem Roman vor allem Protagonistin Amal am eigenen Leib.
Wie sehr die syrische Bevölkerung auch schon vor Ausbruch des Krieges unterdrückt wurde, musste Grjasnowa auch bei ihren ausgedehnten Recherche-Reisen erfahren. Die Autorin fuhr mit Freunden, die ins Arabische dolmetschen sollten, nach Lesbos, an die syrisch-türkische Grenze, in den Libanon und nach Istanbul. Die Gespräche, die sie dort mit Syrerinnen und Syrern führen konnte, haben das Schreiben des Romans überhaupt erst ermöglicht. »Es war bedrückend zu spüren, wie riesig die Angst der Menschen vor den syrischen Geheimdiensten ist«, erinnert sich Grjasnowa an die Begegnungen. »Da ist mir überhaupt erst klar geworden, was ein Geheimdienst-Staat mit den Leuten anstellt. In Syrien hat ja quasi etwas stattgefunden wie die stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion, nur über 70 Jahre ausgedehnt.« Für ihre Recherchen sei es hilfreich gewesen, dass sie ganz offensichtlich keine syrische Geheimdienstlerin sein konnte. Außerdem gebe es in der arabischen Welt einen seltsamen Respekt vor SchriftstellerInnen. Zwar nähmen die Menschen den Beruf nicht wirklich ernst, gleichzeitig habe sie aber eine gewisse Achtung erfahren, so Grjasnowa.
Eingebettet in das Gespräch las die Autorin zwei längere Passagen aus ihrem Buch. Das Publikum hörte, wie die Schauspielschülerin Amal Stück für Stück ihre Wohlstandsblase verlässt und sich Demonstrationen in Damaskus anschließt. Dies hat zur Folge, dass auch ihr wohlhabender Vater sie nur noch schwer mit hohen Bestechungssummen vor Verhaftung und Folter schützen kann. Schließlich muss Amal fliehen, weil der Geheimdienst der Luftwaffe auf sie aufmerksam geworden ist.
Ähnlich ergeht es Hammoudi, der mit Beginn der Proteste nicht mehr nach Frankreich ausreisen darf, wo er Medizin studiert hat. Er verkriecht sich bei seinen Eltern und beginnt für ein Untergrundkrankenhaus zu arbeiten, um WiderstandskämpferInnen und ZivilistInnen in ihrem Kampf gegen den IS zu unterstützen. Dies wird sein Verhängnis: Der IS setzt ein Kopfgeld auf alle Mediziner aus, die ihre Gegner behandeln. Hammoudi gelangt unter Lebensgefahr in die Türkei und von dort auf einem überladenen Schlauchboot auf das Mittelmeer.
Alex Rühle lobt ausdrücklich den unheimlichen Detailreichtum von Grjasnowas Erzählung. Dabei habe ihr auch ihr Mann geholfen, so die Autorin, der Schauspieler sei und an der Damaszener Schauspielschule unterrichtet habe, an der auch die Protagonistin Amal studiert. So sei es ihr leichter gefallen, Orte und Menschen nachzubilden.
Schließlich fragt Alex Rühle die Autorin, ob die intensive Beschäftigung mit dem Syrienkrieg ihr neue Einsichten verschafft habe, ob Vorurteile gefallen seien. »Vor allem habe ich angefangen, kritisch über das Label ›Bürgerkrieg‹ nachzudenken«, so Grjasnowa. »Mir wurde berichtet, dass tschetschenische Kämpfer in islamistischen Brigaden teilweise nicht einmal wussten, wie herum man einen Koran aufklappt. Manche Syrer wiederum schließen sich den Islamisten nur an, um ihrem Hass auf das mordende Assad-Regime Ausdruck verleihen zu können. Im Allgemeinen gibt es in dem Krieg sehr viele Söldner, die einfach für die Seite kämpfen, die mehr zahlt.« Das Wort »Bürgerkrieg« sei da wenig angemessen.
Durch die Situation der syrischen Flüchtlinge sei ihr bitter klar geworden, wie sehr ihr bei der Ankunft in Deutschland auch ihre helle Hautfarbe geholfen habe. »Wenn ich mit meinem syrischen Mann und unserem Kind aus Berlin wegfliegen will, komm er meist eine halbe Stunde später aus dem Security-Check«, sagt Olga Grjasnowa und lacht – immer wieder an diesem Abend erstaunt die Autorin das Publikum mit dem trockenen, mitunter schwarzen Humor, der sie über belastende Situationen hinwegzutragen scheint.
So ruft das Publikum, als Alex Rühle kurz vor Schluss fragt, ob die knappe Restzeit mit Lesung oder Gespräch gefüllt werden soll, laut »Beides!« und »Überziehen!«. Auch wenn an diesem Abend grausame Details nicht ausgespart wurden und viele Probleme im Umgang mit der Migration von Kriegsflüchtlingen angesprochen werden, verlangt das Publikum noch weiteren Input.
Olga Grjasnowa stellt ganz am Ende fest, dass das Leitmotiv ihrer Bücher am ehesten folgende Sentenz sei: »In den Geschichtsbüchern haben Kriege ein Ablaufdatum, in den Menschen nicht«. Trotz dieses bitteren Resümees war der Abend mit der Schriftstellerin ein beschwingter; der Büchertisch wurde im Anschluss belagert. Hoffentlich bringt die Autorin auch ihr nächstes Buch nach Göttingen.