Angesichts der drohenden Klimakatastrophe riefen die neuen Göttinger Sieben zum Klimanotstand aus und forderten eine klimaneutrale Uni bis 2030. Das alles ist jetzt etwa ein Jahr her. Was ist bisher passiert? Und welche Verantwortung trägt die Universität als Institution beim Handeln gegen den Klimawandel?
Von Noah Raffenberg
Bild: Noah Raffenberg
Die Klimakrise ist zweifellos eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Dies weiß auch die Uni, denn Göttingen ist eine Stadt, die nicht nur Wissen, sondern auch gewaltige Emissionen schafft. Im April 2021 wandten sich daher sieben Göttinger Professor:innen in einem offenen Brief an Universitätspräsident Metin Tolan. Bereits im November 2020 rief Medizinethikerin Claudia Wiesemann die Initiative ins Leben und fand sechs weitere engagierte und ökologisch arbeitende Professoren, die gemeinsam ein Zeichen setzen wollten. Mit unterzeichnet haben Bioklimatologe Alexander Knohl, der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, die Verhaltensbiologin Julia Fischer, die Historikerin Rebekka Habermas, der Sozialethiker Christian Polke und der Agrarökonom Matin Qaim.
Der Brief thematisiert insbesondere die Verantwortung der Wissenschaft im Kampf gegen den Klimawandel. Aber warum? Die Wissenschaft habe die Ursachen und Auswirkungen der Klimakrise erforscht und so sei es laut dem Klimastatement der Uni auch ihre moralische Pflicht, »ihren bedrohlichen Folgen auch mit allen Kräften entgegenzusteuern«. Die Universität selbst »kann und muss zum Vorbild und Motor im Wandel werden«. Aber auch als größter Arbeitgeber der Stadt und Region bildet sich eine besondere Vorbildfunktion und Verantwortung für die Uni Göttingen heraus. Die Initiator:innen fordern Tolan dazu, auf seine Verantwortung als Präsident wahrzunehmen, die CO₂-Emissionen zu senken und sich für Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 zu verpflichten – dieser stimmte zu.
Seit wann wissen wir überhaupt von einem menschengemachten Klimawandel?
Professor Heinrich Detering beschäftigt sich schon seit langem mit ökologischen Fragen in der Literatur. In seinem Buch Menschen im Weltgarten: Die Entdeckung der Ökologie in der Literatur geht es um die Frage, wie und wann sich in der Literatur ein ökologisches Bewusstsein entwickelte. Beispielsweise sprach Georg Christoph von Lichtenberg, der heute als Bronzestatue den Marktplatz vor dem alten Rathaus ziert, bereits 1790 in seinen Notizbüchern erstmalig von einer möglichen menschengemachten globalen Klimaerwärmung. Literarische Imagination und wissenschaftliche Ökologie hängen nach Deterings Überzeugung eng zusammen. Die Initiative geht für ihn über die institutionelle Ebene hinaus: »Es ist auch wichtig, seine eigene Praxis kontinuierlich zu hinterfragen. Das fängt bei Forschung und Lehre an und reicht bis tief in die eigene Lebensweise hinein.«
Maßnahmen der Uni: Mehr als nur 100% recycelbares Papier
»Worte sind Taten« – das wusste auch schon Ludwig Wittgenstein. Große Worte findet die Uni ja: Es wird von moralischer Pflicht gesprochen, vom Motor des Wandels und einer Vorbildfunktion. Jetzt geht es um die Taten. Die Erreichung von Klimaneutralität ist ein mächtiges Vorhaben. Wie sehen also konkrete Maßnahmen der Uni aus, um dies erreichen zu können? Das weiß Marco Lange, Nachhaltigkeitskoordinator des Green Office. Dieses gibt es bereits seit 2018, es wurde aber seitdem personell aufgestockt. Die Maßnahmen sind vielfältig und gehen in alle Richtungen, erklärt Lange. Sie können in vier Kernbereiche gefasst werden: Forschung, Lehre und Studium, Third Mission sowie Universitäts- und Klinikbetrieb.
An vielen Fakultäten findet schon lange klimarelevante Forschung statt, wie zum Beispiel Projekte zu Ökosystemen, Biodiversität, Konsumverhalten oder erneuerbaren Energien. Diese Projekte sollen nun besonders gefördert werden und vor allem sollen die Forschungsergebnisse auch stärker nach außen getragen werden, um mit diesen einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.
Im Bereich Lehre und Studium geht es darum, klimaschutzrelevante Inhalte in die Lehre zu integrieren, die die Studierenden – wie das Klimastatement formuliert – sensibilisieren und zu einem »vorausschauenden und globalen Denken anregen soll«. Detering tut dies, indem er bereits seit 1989 Vorlesungen und Seminare zu Ökologie und Literatur abhält und mit seinen Studierenden literarische, wissenschaftliche und politische Texte zu ökologischen Problemen kritisch diskutiert. Überdies engagiert er sich beispielsweise in der Göttinger Sommerschule zu Ökologie und Kultur und unterstützt die Arbeit der Klimagruppe Göttingen Zero.
Third Mission: Wissenstransfer nach außen
Unter Third Mission versteht man Aktivitäten, die über klassische Forschung und Lehre hinausgehen. Sie ist die »Verflechtung der Hochschule mit ihrer Umwelt und Gesellschaft« (Definition nach CHE). Dazu gehören Wissens- und Technologietransfers aus der Hochschule heraus. Zudem will die Uni den Dialog mit der Gesellschaft beispielsweise durch Projekte wie das Biodiversitätsmuseum oder das Thomas-Oppermann-Kultur-Forum weiter ausbauen.
Der Universitäts- und Klinikbetrieb selbst ist von wesentlicher Relevanz, da es hier konkret darum geht, Emissionen und Energieverbräuche einzudämmern. Dabei geht es vor allem um Energie und Mobilität. Im Bereich Energie zählt die Umstellung der Energieversorgung von fossilen Brennstoffen wie Erdgas auf regenerative Quellen zu den wichtigsten Maßnahmen. Die Uni, mit Ausnahme des Klinikums, hat seit dem 1. Januar 2022 auf Ökostrom umgestellt. Im Bereich Energie ist gerade der Nordcampus problematisch, da dort viel energieintensive Forschung betrieben wird. Es gibt auch die Idee, den Strom zum Großteil aus eigenen Windkrafträder oder Solaranlagen zu beziehen. Die Flächen hätte die Uni. Bei neuen Gebäuden des UMG wird versucht, viele Klimaschutzmaßnahmen in die Neubaupläne mit einzubeziehen.
Und was ist mit den schon bestehenden, zum Teil historischen Gebäuden? Für diese sind umfangreiche Gebäudesanierungen, von denen insbesondere die Heizungs- und Dämmungssysteme betroffen sind, geplant. Im Bereich Mobilität ist eine Maßnahme die Förderung des universitären Fuß- und Radverkehrs. Auch die An- und Abfahrt der Mitarbeiter:innen und Studierenden sowie das Beschaffungswesen stellt ein Problem dar, wofür aber bisher noch keine Lösung gefunden wurde. Auch elektronische Auflademöglichkeiten für E-Autos sind ein Thema. Bei unvermeidbaren Emissionen wäre auch die Kompensation durch Klimaschutzprojekte denkbar.
Vegane Schnitzel gegen den Klimawandel
Von all diesen Maßnahmen bekommt man als Studierende:r jedoch nicht allzu viel mit. Gibt es Maßnahmen, die uns Studierende direkt betreffen oder bei denen wir sogar helfen können? Marco Lange sagt: Auf jeden Fall! Dazu gehören zum Beispiel die oben erwähnte Integration von klimaschutzrelevanten Inhalten in die Lehre.
Darüber hinaus gibt es viele öffentliche Ringvorlesungen zum Thema Nachhaltigkeit oder auch die Göttinger Nachhaltigkeitskonferenz. Diskutiert über ein mögliches verpflichtendes Modul für jede:n Bachelor-Student:in, das dann etwa »Grundlagen der Klimakrise« heißen könnte. Zudem hat das Studentenwerk den Speiseplan der Turmmensa im vergangenen Jahr komplett auf vegetarische und vegane Speisen umgestellt. Viele kennen und lieben beispielsweise die veganen Schnitzel. Was die meisten auch nicht wissen: An allen Druckern der Universität wird 100 % recyclingbares Papier eingesetzt. Auch das Green Office, bei dem man sich übrigens als Studierende auch ehrenamtlich engagieren kann, versucht Studierende beispielsweise über Instagram zu Themen wie Fairtrade, nachhaltige Mode oder SDG’s (Sustainable Development Goals) zu informieren und sensibilisieren. Darüber hinaus können Studierende ihre Vorschläge für universitäre Klimaschutzmaßnahmen dem Green Office zukommen lassen.
Reality Check: Wie realistisch ist der Masterplan?
Das klingt alles erstmal sehr vielversprechend. Doch reichen die Maßnahmen der Uni aus? Sind die Maßnahmen konkret genug und vor allem: Sind sie realistisch? Klimaaktivist und Referent für Klimagerechtigkeit des AStA, Paul Emmerich, denkt: Die Crux liegt sicherlich in der Finanzierung. Im Statement der Uni heißt es: »Die Umsetzung der Konzepte […] wird von den rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen abhängen.« Auch Marco Lange betont, die Uni könne die Umsetzung der Maßnahmen in der Gebäudesanierung und -modernisierung unmöglich finanziell alleine stemmen.Woher das Geld genau kommen soll, ist noch nicht klar.
Möglichkeiten gäbe es aber: Alle Gelder der Uni hängen in einer Stiftung, welche diese verwaltet. Das Stiftungsguthaben kann bis zu 10 Prozent beliehen werden. Man könnte also einen gewissen Teil des Budgets für die einzelnen Fakultäten in eine Art Energie-Etat stecken und die Energieeinsparungen, die dadurch gemacht, zu späterem Zeitpunkt wiederum den Fakultäten zukommen lassen. Dafür müsste man dann wieder überlegen, wo die Fakultäten Einsparungen vornehmen könnten. Jedoch sind die Fakultäten bereits von immensen Sparmaßnahmen betroffen, die teils zu prekären Lehr-, Forschungs- und Arbeitsbedingungen führen, sodass die Idee eines solchen Energie-Etats nicht wirklich realistisch ist.
Und was ist mit der Regierung? Vom Bund gibt es, trotz des 2021 eingeführten Klimaschutzgesetzes, keine Gelder. Dies ist problematisch, da durch dieses Gesetz unter anderem neue Standards für Neubauten festlegt, die natürlich auch mit hohen Kosten verbunden sind. Wie oben bereits beschrieben, sind die vielen historischen Gebäude ein Problem, da sie energieineffizient gebaut wurden und Sanierungen kostspielig wären. Eine Möglichkeit, um Emissionen einzusparen, wäre, diese Gebäude teilweise aus dem Betrieb zu nehmen. »Bei Umbauten muss man dann in den verbliebenen Büros zusammenrücken und in der Pandemie hat man gesehen, dass Home Office funktioniert«, merkt Paul an. Diese Gebäude seien zwar schön anzusehen, aber in der Realität der Klimakrise nicht tragbar.
Projekt Klimaneutralität – ein Epic Fail?
Das Vorhaben der Klimaneutralität ist ein ambitioniertes Ziel. Positiv ist in jedem Fall, dass die Uni das Problem ernst nimmt und sich auch als Institution in der Pflicht sieht, aktiv zu werden. Viele engagierte Menschen arbeiten gerade mit Hochdruck daran, diesem Ziel näherzukommen. Auch die Maßnahmen der Uni sind durchdacht und effizient. Aber auch die tollsten Ideen bleiben ohne die notwendigen finanziellen Mittel bedauerlicherweise nur eines: Ideen auf weißem Papier. Auch wenn dies hundertprozent recyclebar ist. Kernproblem ist sicherlich das fehlende Geld. Ein anderes aber auch, dass es keinen richtigen Plan gibt, wie Klimaneutralität erreicht werden soll. Man ruhe sich auch ein wenig darauf aus, dass das Geld noch nicht da sei, so Emmerich.