(K)ein Abschied

Alles muss raus. Das gilt für das Junge Theater, weshalb es sich am 29. Juni ein letztes Mal in der gewohnten Umgebung die Ehre gab. Für diese Spielzeit und für die nächsten vier Jahre. Doch die Freund*innen des JTs dürfen aufatmen, denn es geht fulminant weiter.

Von Johannes Leichsenring und Amelie May

Bild: by congerdesign via pixabay, pixabay lizenz

Während die alte Spielstätte des Jungen Theaters, das klassizistische Otfried-Müller-Haus, saniert wird, findet in der Zwischenzeit der Theaterbetrieb in der ehemaligen Voigtschule in der Bürgerstraße statt; und zwar schon zu Beginn der nächsten Saison mit Der Diener zweier Herren am 20. September. Doch ein letztes Mal vor dem Umzug lud das Team des Jungen Theaters zur Abschiedsgala ein, die passenderweise im alten Habitat unter dem Motto Alles muss raus stattfand.

Na gut, dann machen wir halt ᾽ne Gala.

Und so begann auch der Abend auf der Bühne: Mit dem inszenierten Kistenschleppen und Abmontieren und Rumgehämmere, kurz mit dem fröhlich-chaotischen Trubel eines mäßig koordinierten Umzuges, der scheinbar an das gesamte Schauspieler*innen-Team überantwortet wurde. Das Treiben fand jedoch ein schnelles Ende, denn die Intendanz (Nico Dietrich), die Geschäftsführung (Tobias Sosinka) und die Dramaturgie (Christian Vilmar) eröffneten den schwer Beschäftigten, dass es noch eine Abschiedsgala geben müsse: Wie man sehen könne, sei ein potenzielles Publikum bereits da und die Veranstaltungseinnahmen und mögliche Spenden seien dringend für das Umzugs- und Sanierungsprojekt nötig. Ein Konzept habe man leider noch nicht ausarbeiten können, aber mithilfe der Regieassistentin (Victoria Valerie Montero) – auf die man die Organisation kurzerhand abwälzte – würde das schon funktionieren. Viel Glück, nur zu, na denn man tau! Nur so mäßig begeistert fügte man sich auf der Bühne. Auf diese Weise wurde der Abend durch die Moderation des Dreiergespanns gerahmt, das sich in seiner nun sichtbaren Rolle auf der Bühne mal mehr, mal weniger wohlzufühlen schien.

Was für ein schöner Auftakt! Nicht nur, dass man gleich zu Beginn das gesamte Darsteller*innen-Team plus Musikband in toto zu sehen bekam, man bekam auch die Menschen zu Gesicht, die maßgeblich hinter den Kulissen an den Produktionen des Theaters beteiligt waren und hoffentlich auch bleiben. Das war durchaus spannend, denn beispielsweise Nico Dietrich vermochte durch seine Moderationsqualitäten ein Talent unter Beweis zu stellen, dass man meinen könnte, er hätte sich an der Ernst Busch auch für andere Fächer als Regie bewerben können. Was man sich deswegen nicht wünschen möchte, da es sonst seine grandiosen Urfaust- und Panikherz-Inszenierungen nie gegeben hätte.

Ein tragendes Element dieses Abends war die Musik, gleich zu Beginn gab es ein Lied aus den Känguru Chroniken zu hören, einem absoluten Publikumsfavoriten. »Ich hätte auch so gern ein Hobby«, sang Karsten Zinser herrlich depressiv ins Mikrofon, während er vom Gitarristen großartig monoton begleitet wurde. Großartig, denn am Ende ist es schwer zu sagen, ob sein monotones Gitarrenspiel und sein unfassbar demotiviert-abwesender Ganzkörperausdruck die zynisch-uninspirierte Hobbysuche nur unterstrichen oder die beiden Performer nicht vielmehr zu einer Einheit verschmolzen, die als Ganzes an einen schwer von der Adoleszenz mitgenommenen Neuntklässler während des Montag-Erste-Stunde-Mathe-Unterrichtes erinnerte. – Zumindest für pädagogikferne Berufsgruppen herrlich zu hören und zu sehen. Diese Einlage wurde dann auch mit viel Gelächter und Applaus goutiert, wie eigentlich jede an diesem Abend. Das unbestrittene Highlight jedoch war das Göttingen-Lied aus Barbara. Die Darbietung des Liedes durch Katharina Brehl berührte alle im Saal.

Warum denn immer Hitler?!

Ausgelassenheit ist ja etwas Wunderbares, entbehrt aber nicht immer eines Einschlags von Befremdung. So wurde das amüsante Abendspektakel durch den Running Gag der Verfolgungsjagd verknüpft. Verfolgt wurde niemand anderes als die Figur Adolf Hitler. Die Figur, die aus Timur Vermes Roman Er ist wieder da stammt, hatte als Theateradaption im Winter 2017 Premiere im JT und wurde von der Darstellerin Agnes Giese gespielt; natürlich mit Bärtchen, Gruß und Mütze. Wie der Roman, stieß auch die Adaption des JT auf breite Resonanz. So erzielte die Figur Hitler mit ihrer durchaus Sympathie erhaschenden Trotteligkeit nicht nur für einen Monolog aus der Inszenierung einfache Lacher, sondern auch für ihren abendfüllenden Fluchtversuch vor der Figur des Kängurus (Andreas Krüger) und der des Räubers Hotzenplotz (Götz Lautenbach). Denn Hitler hatte sich der roten Boxhandschuhe des Kängurus bemächtigt, die aufgrund der Geldnot zum Ende der Gala versteigert werden sollten.

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Info

Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Seit 1976 befindet sich das Junge Theater im Otfried-Müller-Haus, das als öffentlicher, kultureller und politischer Ort angesehen wird. 2019 wird es zwischenzeitlich in eine neue Spielstätte einziehen. Informationen zum Umzug sind hier nachzulesen.

Es ist natürlich ausgesprochen subjektiv, wenn man sagt, man fände Adolf Hitler als Roman- oder Theaterfigur so komisch wie, sagen wir mal, Mario Barth. Es stellt sich dennoch die Frage, warum ausgerechnet diese Figur das verbindende Element der Abschiedsgala des Jungen Theaters sein musste. Es bleibt zu hoffen, dass die Figur Hitlers – also um Himmels willen nicht die großartige Agnes Giese, deren schauspielerische Leistung gerade in Hinblick auf ihre Wandelbarkeit an diesem Abend aufs Deutlichste zu Tage trat –, beim Umzug in irgendeiner Ecke vergessen wird. Vielleicht verschwindet diese Figur dann endlich aus dem zukünftigen Theaterbetrieb – wie hoffentlich auch die in die Jahre gekommenen Sanitäreinrichtungen mit ihrem Charme einer Autobahnraststätte.

Dieser – zugegeben – etwas missmutige Eindruck, den gewiss nicht alle teilen, soll an dieser Stelle aber keinesfalls so stehen bleiben. Denn das Junge Theater ist ein besonderer Ort, ein experimentierfreudiges, mutiges Haus, bei dem auch Adaptionen wie die eben besprochene versucht und erprobt werden – und vielleicht auch erprobt werden müssen.

Ein Känguru im Rollentausch

Am Galaabend, ganz im galamäßigen Entertainmentsinne, konzentrierte man sich jedenfalls auf eine Auswahl an Publikumsfavoriten: Neben dem Verfolgungstrio sah man unter anderem eine Szene aus Gö 68 ff., ein Stück, das die 68er-Bewegung und die Rolle Göttingens thematisierte und ambivalent diskutierte. So bekam man Karsten Zinsers Penis noch einmal zu sehen, der ihm symbolisch mittels Gurke und Messer abgehackt wurde. Und noch einmal kenterten Agnes Giese und Jan Reinartz in der slapstickhaften Szene aus Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, da während ihrer Segelscheinprüfung ein Missverhältnis zwischen theoretischer und praktischer Veranlagung bestand. Besonders hervor stach eine Szene aus Hans Falladas Kleiner Mann – was nun?, das vom Überlebenskampf einer jungen armen Familie im krisengeschüttelten Deutschland der 1930er Jahre handelt. Die Szene, in welcher der verarmte Protagonist Pinneberg Finanzsorgen durchrechnet, wurde dabei von Andreas Krüger gespielt, der sich noch im Kostüm des kommunistischen Kängurus befand.

Es trat das Gretchen noch einmal auf, außerdem waren auch Nathan und Hamlet auf der Bühne, allerdings nicht in einer Szene. Denn es gab auch ein Quiz, bei dem das Publikum deren berühmte Zitate erraten musste, wobei es vorrangig um den Entertainment-Faktor ging. Für die richtigen Antworten gab es Gutscheine für die kommende Spielzeit zu gewinnen. Offensichtlich sollten die Gutscheine auch unter die Leute kommen, da bei einem Zitat wie »Sein oder Nichtsein« die rege Teilnahme gesichert war.

Ein Abschied auf bald

Begeisterte Reaktionen erhielt das gesamte Ensemble zum Abschluss des Abends. Nicht nur, weil durch die losgelösten Einzelszenen, bei denen sich die Zuschauer*innen besonders auf die jeweilige Schauspieler*in konzentrieren konnten, die jeweiligen Einzelleistungen hervorgehoben wurden, sondern auch, weil es Verabschiedungen gab, die, vielleicht nicht nur auf der Bühne, zu Wehmutstränen führten. Und so nehmen auch wir Abschied von den Weiterziehenden und von dieser Theatersaison. Wir freuen uns auf die neue Saison und das neue Haus mit alten Bekannten und neuen Gesichtern.

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