Jonas bringt die Welt in Ordnung

Eine fiktionale Erzählung, ein realer Diskurs. Mit Wie die Schweden das Träumen erfanden komponiert Jonas Jonasson ein Loblied auf die Freundschaft und den Zusammenhalt – wirksame Verbündete gegen Beklemmung und Ungewissheit, wenn die Welt um einen herum zusammenzubrechen droht.

Von Jan Kraaz

Bild: via Pixabay, CC0

Wie die Schweden das Träumen erfanden (Übersetzung aus dem Schwedischen von Astrid Arz) erzählt die Geschichte der neu gewählten Bürgermeisterin Julia Bäck des fiktiven mittelschwedischen Ortes Halstaholm und ihren Bemühungen, eine vom Strukturwandel gebeutelte 8.000-Seelen-Kleinstadt zu sanieren, die im Zeichen der Landflucht und des damit einhergehenden demographischen Wandels sukzessive verödet.
Keine leichte Aufgabe für Julia Bäck, doch ein glücklicher Umstand will es, dass der Hamburger Multimilliarden-Konzern ›Traumbett‹ eine Expansion nach Schweden plant, und Julia wittert ihre Chance. Da jedoch die Standortfaktoren gegen das provinzielle Halstaholm sprechen und die deutsche Bettenfirma bereits aussichtsreiche Vertragsverhandlungen mit Stockholm führt, ist seitens der kleinstädtischen Bürgermeisterin Einfallsreichtum gefragt, um ›Traumbett‹ für sich zu gewinnen.
Kurz entschlossen bildet Julia eine Task-Force, um Halstaholms marode Infrastruktur an die Bedürfnisse des Hamburger Multis anzupassen. Doch die Zeit drängt und so ist man sich einig, das Gesetz einstweilen Gesetz sein zu lassen und stößt eine Reihe höchst illegaler stadtplanerischer Modifikationen an: Bebauungspläne und Nutzungsrechte werden geändert, öffentliche Plätze umbenannt, sogar eine archäologische Ausgrabungsstätte wird fingiert.
Es beginnt ein Ringen um die Gunst des Bettenkonzerns zwischen dem selbstherrlichen Freelance-Consultant der Stockholmer Finanzsenatorin und der pfiffigen Julia nebst ihren Verbündeten, bei dem jede der beiden Parteien der anderen immer einen Schritt voraus zu sein scheint.

»Jonas Jonasson schreibt Entgiftungsbücher für die Seele«

So kommentiert Literaturkritiker Volker Weidermann auf Spiegel Plus das Werk des schwedischen Autors, der seit seinem Debüt Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (carl’s books 2011) einen Welthit nach dem anderen landet, und Weidermann hätte seine Worte treffender nicht wählen können. Denn Jonasson konstruiert seine fiktiven Welten zwar auf dem thematischen Fundament mitunter heikler soziokultureller und politischer Konflikte, komponiert aber seine Erzählwerke stets mit feinsinnig-skurrilen Figuren und parenthetisch-humorvoller Textgestaltung.
Jonasson verfasst pikaresk getünchte Gegenwartsliteratur mit taktvoll eingearbeiteten Spitzen gegen die vernunftwidrige Wirklichkeit einer Welt, in der antidemokratische und menschenfeindliche Demagogie zunehmend salonfähig zu werden scheinen. Humor und Selbstdistanz seien unerlässlich, um die Welt zu retten, sagt Jonasson dem Hamburger Kulturmagazin Szene Hamburg – eine Linie, der der schwedische Erfolgsautor auch in seinem jüngsten Roman treubleibt.

Ein Aufruf zum Zusammenhalt

Mit spitzbübischem Witz fächert Jonasson in Wie die Schweden das Träumen erfanden ein breites Panorama an politischen und sozialen Sachverhalten auf und bettet diese sprachlich nonchalant in eine narrative Struktur protagonistischer und antagonistischer Kräfte ein. So ist einerseits Halstaholms Schicksal Symbol für die wirtschaftlichen und demographischen Probleme ländlicher Regionen in Zeiten des fortschreitenden Strukturwandels und gleichzeitig liebevolle Persiflage auf provinziale Kommunalpolitik, wenn in Merkt-schon-keiner-Manier hinderliche Bürokratie einfach ignoriert wird. Andererseits zeichnet Jonasson mit der Figur des Stockholmer Freelance-Consultant Kenneth Carlander eine Blaupause des überheblichen, skrupellos profitorientierten Kapitalisten, dem jedes Mittel recht ist, seine Interessen durchzusetzen.
Halstaholm übernimmt hierbei die Rolle des klassischen Außenseiters, der sich gegen einen mächtigen Gegner behaupten muss. Und neben der diegetischen Opposition der sympathisch-gewitzt konzipierten Julia Bäck und dem gierigen Kenneth Carlander trägt dieses altbekannte Sujet des David gegen Goliath dazu bei, dass Gesetzesübertretungen der Halstaholmer beim Lesen wohlwollend zur Kenntnis genommen, Erpressung und Intrigen des Consultant aber verurteilt werden. Jonasson gelingt es dadurch, an die Pflicht der moralisch und ethisch aufgeklärten, mündigen Bürgerschaft zu appellieren, sich in angemessenen Situationen des zivilen Ungehorsams schuldig zu machen. Vor allem aber unterstreicht der Autor mit Halstaholms unbändigem Aktivismus die enorme Kraft des Zusammenhalts einer Gemeinschaft, die das Unmögliche möglich zu machen vermag.

Starke Themen – schwache Ausgestaltung?

Jonas Jonasson
Wie die Schweden das Träumen erfanden.
Aus dem Schwedischen von Astrid Arz
C. Bertelsmann:
München 2023
160 Seiten, 22,00 €

Es sind derlei thematische Aussagen, durch die sich Wie die Schweden das Träumen erfanden seinen Platz in Jonassons Werk redlich verdient, wenngleich das Buch im Gegensatz zu seinen Vorgängern auf den ersten Blick ungewohnte konzeptionelle Schwachstellen aufweist. So ist der Plot auffällig eindimensional strukturiert und dementsprechend der Ausgang der Ereignisse zu jeder Zeit vorhersehbar. Der Konflikt zwischen Pro- und Antagonisten ist zwar thematisch komplex, bleibt in seiner textuellen Ausgestaltung jedoch zu geradlinig, die Konturierung von Gut und Böse erscheint allzu normativ. Überdies ist die Figurenkonzeption geprägt von statischen, stark übertypisierten Charakteren, was für einen Jonasson gelinde gesagt unüblich ist.
Die Figur des neunjährigen Peter als fester Bestandteil der Task-Force bildet hierbei zwar eine Ausnahme, läuft im Kontext des Figurenensembles jedoch Gefahr, bemüht absurd zu wirken, etwa wenn der Junge von jetzt auf gleich in erwachsener Selbstverständlichkeit den Lehrkörper seiner Schule unterrichtet und nächtlichen Straftaten der Task-Force beiwohnt. Dabei stellt sich die Frage, warum etwa ein Allan Karlsson in Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand oder eine Johanna Kjällander in Mörder Anders und seine Freunde nebst dem ein oder anderen Feind in ihrer Skurrilität stimmig und überzeugend sind, Peter jedoch nicht.

Etwas Hoffnungsvolles in schweren Zeiten

Um diesen scheinbaren konzeptionellen Schwachstellen auf den Grund zu gehen, ist es jedoch ratsam, eine Perspektive auf die Geschichte einzunehmen, deren Licht nicht durch den Filter der Erwartungen an einen klassischen Jonasson fällt, denn der mittlerweile siebte Roman des Schweden ist schlicht anders angelegt als seine opulenten, vielschichtigen Vorgänger.
Er ist nicht als mehrdimensionales Kunstwerk zu betrachten, nicht als weiter literarischer Wurf zu lesen und nicht als komplex ausgestaltetes Erzählwerk zu verstehen. Wie die Schweden das Träumen erfanden ist vielmehr eine beseelte, 160 Seiten kurze Momentaufnahme, ein komprimiertes Sinnbild gesellschaftlicher Sachverhalte. Es ist eine Hommage an Geschichten, in denen Helden über Schurken obsiegen, versehen mit den wohltuenden Motiven von Mut und Solidarität. Das Buch soll erinnern an die Kraft einer konstruktiv agierenden Gemeinschaft, die sich des individuellen Potenzials ihrer Mitglieder bedient, seien diese auf den ersten Blick noch so unbedeutend. Und vor diesem Hintergrund ist die augenscheinlich so fehlkonzipierte Figur des Peter plötzlich von hohem ikonischem Wert, sinnvoll ausgearbeitet und aussagekräftig platziert.
»In diesen schweren Zeiten wollte ich etwas Hoffnungsvolles schreiben über die Freundschaft«, zieren Jonassons Worte den Buchrücken, und das ist ihm mit seinem Roman über eine schwedische Kleinstadt und deren Kampf ums Überleben in all seinen Facetten gelungen, denn als Leser:in antizipiert man stets das Eintreten des Erhofften, und diese Vorhersehbarkeit ist keine konzeptionelle Schwäche des Buches, sondern der thematischen Aussage des Romans gerechter Stil. So lässt Jonasson zumindest etwas von dem in schweren Zeiten strapazierten Vertrauen in das Gute wieder aufleben. Und zwar in Form einer Erzählung über den bedingungslosen Zusammenhalt zwischen Freunden. Wie die Schweden das Träumen erfanden – ein weiteres Entgiftungsbuch für die Seele aus dem Hause Jonasson.

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