Instagram in Analyse

Influencer:innen sind überall in den sozialen Medien und verkörpern Werbefläche. Die beiden Autoren Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt legen in ihrem Buch Influencer eine Analyse der kapitalistischen Einflüsse da. Die Analyse hat jedoch hier und da Schwachstellen.

Von Lennart Speck

Bild: Via Pixabay, CC0

Zu Beginn der Karriere des Begriffs »Influencer« dachten viele noch an »Influenza«, die lateinische Bezeichnung für die Grippe. So abwegig dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag, haben beide Themenbereiche etwas miteinander gemein: nämlich die Beeinflussung. Bei der Grippe beeinflusst der Virus die Körperzellen und bringt sie in Bewegung, dies geschieht ebenso von Seiten der Influencer:innen, aber in Bezug auf die Nutzer:innen von sozialen Medien.

Sich dem zu entziehen wird immer schwieriger – denn selbst dieser Artikel wird über Instagram geteilt. Das Ziel dahinter ist schlicht und ergreifend: die Erhöhung der Reichweite und Klickzahlen. Über Instagram zu schreiben, hat also immer etwas Paradoxes, ist es doch schwierig, dieses Medium wirklich unvoreingenommen zu betrachtet – erst recht, wenn darin nicht nur über das Medium gesprochen wird, sondern es kritisiert wird. Ole Nymoen, freier Journalist, und Wolfang M. Schmitt, Youtuber und Betreiber des Kanals »Die Filmanalyse«, versuchen genau das in Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Erschienen ist es bei Suhrkamp. Die Veröffentlichung in diesem Verlagshaus verspricht auf den ersten und verwöhnten Blick Tiefe und Differenziertheit. Ganz eingehalten wird dieses Versprechen nicht.

Das Leben, das Produkt

Die beiden Autoren haben zusammen einen Podcast, in dem sie sich mit Ökonomiegeschichte und der Volkswirtschaft auseinandersetzen. In ihrem Buch vereinen sie ihre beiden Kernkompetenzen: Die Analyse von kleinen Instagram-Videos und wirtschaftlicher Bestandteile des Influencer-Marketings sind Programm ihres Buches. Sie zeigen detailliert die Entwicklung der Werbung vom normalen Werbespot über Product-Placement bis hin zur »Dauerwerbesendung« Instagram auf. Dies gelingt ihnen dadurch, dass sie in zehn Kapiteln ihren Leser:innen erklären, wie die Figur des:der Influencer:in in den sozialen Medien auftritt und sich selbst Marktwert verleiht. So zeigen die beiden Autoren, dass Influencer:innen durch ihren Content verschiedene Körperbilder und Lebensstile transportieren.

Die Influencer:innen dieser Tage würden auf ihren Accounts nicht nur ein Produkt, sondern einen Lifestyle bewerben, so eine der Leitthesen des Buches. Da tauchen dann Produkte auf, die von Follower:innen gekauft werden sollen, weil sie das Leben leichter machen oder verbessern. Die Werbekörper, also die Influencer:innen, zeigen nicht nur das Produkt, sondern erzählen eine Geschichte darum herum und knüpfen so das Versprechen eines besseres Lebens daran. Das ist es, was Influencer:innen von der Werbung auf der Kinoleinwand oder auf der Mattscheibe im Wohnzimmer unterscheidet. Das Leben erscheint in Influencer:innen-Storys so wie ein wunderbarer Marktplatz, auf dem das Glück aus allen Ecken und Enden sprudelt. Dieses Glück, der Moment der kurzzeitigen Endorphinausschüttung, soll andauern.

Feedbackschleife des Gesellschaftsbilds

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Ole Nymoen, Wolfgang M. Schmitt
Influencer. Die Ideologie der Werbekörper

Suhrkamp: Frankfurt am Main 2021
192 Seiten, 15,00€

Eines der wichtigen Argumente des Buches ist, was die Autoren in der Aufgabe der Influencer:innen sehen: Sie verkörpern laut ihnen nicht nur die kapitalistische Produktionsweise und die »Rettung der Werbung«, sondern sie halten auch konsensuale kulturelle Praktiken vergangener Tage am Leben. So sind die Werbekörper vor allem Galionsfiguren von »klassischen« Körperbildern, sie verstricken beispielsweise in der Werbung die Farbe Rosa mit Weiblichkeit und die Farbe Blau mit Männlichkeit. Der Körper, das finden die Autoren, ist die Verkaufs- und Darbietungsfläche für die Influencer:innen. Männer und Frauen werden in sozialen Medien also auch vor allem mit zu ihrem Geschlecht gehörenden klassischen Codierungen dargestellt: Der Mann ist stark, geht ins Fitnessstudio, die Frau wird sexualisiert.

Der Ansatz beider Autoren in dieser Hinsicht ist gut, doch können viele ihrer Argumente auch schon durch das aufmerksame Nutzen von Instagram erkannt werden. Der Vergleich von Influencer:innen mit dem Kino und seinem Product Placement mit dem Zusatz, den Körper als Verkaufsfläche auszumachen, ist keine tiefgehende Analyse, sondern bleibt selbst an der Oberfläche. Hier wird nur die Werbung analysiert – ob im Kino oder auf Instagram. Auch bleibt beim Lesen die Frage auf der Strecke, wie die andere Seite der Influencer:innen ausschaut. Schließlich gibt es nicht nur den Werbekörper in den sozialen Medien, sondern auch Beiträge und Content, bei denen nicht explizit nur Werbung im Vordergrund steht. Denn jenseits der Werbung tauschen Influencer:innen Meinungen aus, bringen Kritik an und machen aus ihrer Sicht auf politische und gesellschaftliche Themen aufmerksam. Wie dies gerade in Form kurzer Videos funktioniert und wie sich dadurch gesellschaftliche Diskurse verändern, ist wichtig zu beleuchten. Hier fällt auf, dass die Analyse einseitig bleibt, lässt sie doch die diskursive Seite des Influencing außer Acht.

Viele Namen, nichts dahinter?

Zu dieser Einseitigkeit der Analyse scheint auf den ersten Blick nicht die Heranziehung von verschiedensten Autor:innen zu passen. So finden unter anderem Theoriebezüge aufTheodor W. Adorno und Eva Illouz ihren Platz, wenn es darum geht, wie die Beeinflussung von anderen Individuen vonstattengeht. Dies sind Seitenhiebe auf die Werbung, die gezielt eingesetzt werden und nicht unpassend sind, durchaus aber tiefgreifender sein könnten.

Nymoen und Schmitt ziehen auch den Anthropologen und Begründer der Occupy-Bewegung David Graeber heran, um das Umfeld der Influencer:innen zu beschreiben. Hier würden Videos produziert und geschnitten, es würden Arbeitsplätze geschaffen, um sich Content auszudenken und diese dann in kleinen Videos oder in die »Storys« hochgeladen. Diese Arbeitsplätze bezeichnen die Autoren mit der vermeintlichen Rückendeckung von Graeber als »Bullshit-Jobs«. Doch kann hier Graeber nicht vollständig als Anwalt dieses Arguments dienen, denn sein Verständnis von »Bullshit-Jobs« ist durchaus differenzierter. Ob aus kulturpessimistischer und kapitalismuskritischer Sicht die Arbeit von Angestellten bei Influencer:innen einen Sinn hat oder nicht, die Verurteilung als »Bullshit-Jobs« scheint in jedem Fall recht voreilig. Die Analyse, die im Buch vorgestellt wird, ist also maßgelblich ökonomischer und filmanalytischer Natur, doch sind diese Analyseansätze nur eine Seite der Medaille. Es gibt noch mehr als den Werbekörper des:der Influencer:in, nämlich jenen, der Meinungen und Diskurse beeinflusst, sich mit »Inhalt statt Werbung« beschäftigt und versucht Feedbackschleifen von bestimmten Weltbildern zu durchbrechen. Schließlich ist Instagram als meinungsbildende Plattform nicht zu unterschätzen, auf der Influencer:innen eine mächtige Position einnehmen, Meinungen äußern und einander kommentieren.

Ein Beispiel für Beiträge dieser Art ist Tara-Louise Wittwer, die vor allem aus feministischer Perspektive Aussagen, meist anderer Influencer, anschaut und deren sexistisches Frauenbild kommentiert. So bringt Instagram seine eigenen Diskurse hervor – die ehemalige Fotoplattform auf die Strukturen der Werbung zu reduzieren, ist also einigermaßen unterkomplex. Leser:innen könnten also enttäuscht werden, wenn sie nach dieser Seite der Medaille in diesem Buch suchen, da diese hier nur oberflächlich betrachtet wird. Doch vielleicht liegt hier die Crux: Ob eine Analyse der Sozialen Medien so funktionieren kann, ist fraglich, denn jede:r ist dauerhaft mit dem analysierten Content konfrontiert, eine distanzierte Betrachtung wird dadurch schwierig. Vielleicht kann erst eine groß angelegte Analyse über Jahre hinweg es schaffen, das Phänomen »Influencer« wirklich differenziert betrachten.

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