Indiebookday 2017

Am 18. März ist es wieder Zeit für den Indiebookday, und wir machen zum fünften Mal in Folge aktiv. Die Redaktion stellt drei Titel vor, die Lust machen sollen, am kommenden Samstag im favorisierten Buchladen ein Buch von einem unabhängigen Verlag zu erwerben und davon ein Photo in einem sozialen Netzwerk zu posten.

Von der Litlog-Redaktion

Bild: Logo des Indiebookday 2017 , Illustration von Karen Köhler

Steffen Popp: 118. Gedichte

Chemische Kollision des Wortes
Von Anna Bers

Aus dem Hause kookbooks beziehen wir seit 2003 verlässlich erfreuliche Lyrik. Auch das neue Bändchen von Steffen Popp macht da keine Ausnahme. 118 recht eckige und rechteckige Gedichtquader enthält die Sammlung mit dem an Versprechen zunächst armen Titel 118. Gedichte. Zahl und Gestaltung verweisen auf die elementare Ordnung der Natur: das Periodensystem. Ebenso wie die allen bekannte und vielleicht nicht allen vertraute Tabelle mit pastellfarbenen Kästchen, Abkürzungen, Ziffern und versteckten Ordnungen ist Popps Schreibaufgabe klar strukturiert, gibt sich Beschränkungen und gruppiert suggestiv. Anders als der mit der Pubertät nicht selten so fatal kollidierende Chemieunterricht kann gerade diese Systematik mit ihren Eigenbeschränkungen Raum für Aha-Effekte schaffen. Die elementaren Blöcke sind nämlich keineswegs so ungefüllt wie »49 In« und »72 Hf«. Zehn Verse, eine Ein- oder Zweiwortunterschrift und eine Silbenzahl von ungefähr zehn sind der Rahmen dieser lyrischen Tabelle.

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Steffen Popp
118. Gedichte

kookbooks Verlag, Berlin 2017
144 Seiten, 19,90 €

Die Füllung repräsentiert (so die inzwischen vielerorts anzutreffende Liste der Anmerkungen zur Entzauberung des Bildungsbackgrounds) »Extremgeschöpfe der symbolischen Sphäre« und die »elementaren Bezugsgrößen des Autors«. In dieser Sphäre geht es wimmelig zu: Albinoechsen, Brokat, Chiffren, Dickhäuter, Elfen, Folsäure, Giraffen, Himmelsstute Hosianna Rosina Panne, Isobaren und Isothermen, Jenseits, Kitt, Liquidität, Mikrotrümmer, Nebelgelenktiere, Opossum, Puddingfee, Doktor Quastenflosser, Rilke, Speichen, Tierhelfer, Unterwolle, Vogelkrallen, Wendeltreppen, XXL, Yacht, Zerstörerklasse.

Die hier versammelte, besonders verspielte Schöpfung erzeugt Vergnügen und Illusionen. Sie trifft außerdem auf Hashtags und Zitate, auf Hochkulturkanon und auf aus den Laboren der historischen Avantgarde replizierte Formexperimente (Nr. 129 ein Lautgedicht; Nr. 133 ein Y-Gedicht). Und dann gibt es auch noch die Momente nach dem Knall. Die zuversichtliche Erwartung von Reaktionen und Explosionen hielt uns im Klassenzimmerkasten und in den Gedichtquadern aufgeregt bei der Stange – wegen solcher Sätze haben wir dagegen überhaupt angefangen, Gedichte zu lesen: »Zuversicht polstert / Gegenwart, stehendes Jetzt, wir blinzeln / schlaftrunken in rüsselnde Blüten. Aber / okay, dies Niesen, schätz ich, ist Liebe.« (Nr. 41)

Britta Lange: Die Entdeckung Deutschlands. Science-Fiction als Propaganda

Marsianer im Kriegsgewitter
Von Christian Dinger

Mitten im Ersten Weltkrieg landen drei Marsbewohner mit ihrem Flugball vor der Münchener Frauenkirche. Sie essen Brezeln und trinken Bier, sie reisen weiter nach Berlin, wo sie im Adlon logieren, sie besichtigen den Kieler Hafen, verschiedene Fabriken und Versorgungseinrichtungen, sie sehen Soldaten, Waffen und Luxusgüter. So ist der grobe Inhalt des Films Die Entdeckung Deutschlands durch die Marsbewohner, der 1916 – passenderweise von der Mars-Film GmbH – produziert wurde. Alles läuft gut in Deutschland. Das ist die Botschaft, die übermittelt werden sollte – als Durchhalteparole für die Heimatfront, aber vor allem als Propaganda für die neutralen Staaten. Diese wurden nämlich durch Filme der Entente, die dem Deutschen Reich in puncto Filmpropaganda weithin überlegen war, mit einem Deutschland-Bild gefüttert, welches das Reich geplagt von Hunger und Kriegsmüdigkeit am Rande der Kapitulation zeigt. Im Film hört der Marsianer Mavortin von der französischen und englischen Propaganda und will sich selbst ein Bild von der Lage in Deutschland machen. Mit der Hilfe des gelehrten Erfinders Marsilius reist er auf die Erde. Dessen Tochter Marsilietta reist ihnen heimlich hinterher. Neben all der Besichtigung deutscher Lebenslust und Kriegsbereitschaft bleibt noch Zeit für eine Liebesgeschichte zwischen Mavortin und Marsilietta und am Ende wird geheiratet.

Die Kulturwissenschaftlerin Britta Lange hat im Berliner Verbrecher Verlag einen kurzweiligen Essay vorgelegt, der den Inhalt und die Entstehungsgeschichte einer der ersten Science-Fiction Filme überhaupt nachzeichnet. Allein das wäre schon eine lobenswerte Leistung, da Die Entdeckung Deutschlands in seiner ursprünglichen Fassung leider als verschollen gilt und nur noch als fünfzehnminütiger Zusammenschnitt vorliegt. Darüber hinaus legt die Autorin aber auch auf wenigen Seiten dar, wie sich der Film in die verschiedenen politischen, medialen und motivgeschichtlichen Kontexte der Zeit einordnet. So geht es um die politischen Bedingungen der Filmpropaganda im Ersten Weltkrieg genauso wie um die gattungshistorischen Anfänge des Science-Fiction-Genre und die Stellung des Kinos als ein Medium ernstzunehmender Kunst und effektiver Propaganda. Das schmale Bändchen lässt sich bequem an einem Nachmittag durchlesen und man fühlt sich danach um so vieles klüger.

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Britta Lange
Die Entdeckung Deutschlands. Science-Fiction als Propaganda

Verbrecher Verlag, Berlin 2014
112 Seiten, 14,00 €

Adrian Tomine: Eindringlinge

Illustrierte Außenseiter
Von Julian Ingelmann

In den sechs Erzählungen, die der Band Eindringlinge versammelt, lotet der amerikanische Comiczeichner Adrian Tomine die narrativen Möglichkeiten der sequentiellen Kunst aus. Er spielt mit Sprechblasen und Speedlines, experimentiert mit Farben und Monochromismen und benutzt verschiedene Panelstrukturen, um seine Geschichten zu erzählen: Während er in Übersetzt aus dem Japanischen vor allem seitenfüllende Vollformatzeichnungen einsetzt, zerlegt er in Kaltes Wasser jede Seite in zwanzig briefmarkengroße Bildchen. Seine Eröffnungsgeschichte Eine kurze Geschichte der »Hortiskulptur« genannten Kunstform lehnt Tomine wiederum an das Format des klassischen Zeitungscartoons an, indem er die Handlung im stetigen Wechsel zwischen sechs kleinen Schwarz-Weiß-Szenen und einem vollfarbigem Ganzseiter präsentiert.

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Adrian Tomine
Eindringlinge

Reprodukt Verlag, Berlin 2016
120 Seiten, 24,00 €

Inhaltlich beschäftigt sich Tomine vor allem mit Außenvorgelassenen. Seine Protagonist*innen neigen zur Selbstüberschätzung bei gleichzeitiger Erfolglosigkeit; sie sind alkoholabhängig, straffällig oder allgemein seltsam, nie jedoch hoffnungslos. Da träumt der unterforderte Gärtner von einer Karriere als Künstler, während die übergewichtige Teenagerin mit krebserkrankter Mutter alles daran setzt, als Stand-Up-Comedienne erfolgreich zu werden. Die Leser*innen lernen diese Figuren nur ausschnitthaft kennen. Tomines Können zeigt sich jedoch vor allem darin, wie sicher er die richtigen Szenen auswählt, um anhand weniger Bilder ganze Biographien zu inszenieren.

Reprodukt, einer der führenden Comicverlage in Deutschland, hat Tomines Kleinode in eine wahre Prachtausgabe verpackt, die mit erstklassiger Bindung, hochwertigem Papier und halbtransparentem Schutzumschlag daherkommt. Vor allem ist dem Verlag aber dafür zu danken, wie sehr er sich um eine gelungene Lokalisation bemüht hat: Björn Lasers stimmige Übersetzung fügt sich dank des gelungenen Letterings von Minou Zaribaf und Michael Hau anstandslos in die Originalzeichnungen ein und beweist, wie weit sich Comicdeutschland mittlerweile von seinen groschenheftlichen Ursprüngen entfernt hat.

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