Sharon Dodua Otoo gewann 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis. In ihrem ersten Roman Adas Raum verknüpft sie Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten. Es ist ein kreatives, erfrischendes und kraftvolles Buch, das viel will und große Themen wie Diskriminierung und Frausein behandelt.
Von Sofie Aeschlimann
Endlich ist er da, der erste Roman von Sharon Dodua Otoo. Die britische Schriftstellerin, die in Berlin lebt, hat 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Nun ist Adas Raum erschienen. Es ist ein kreativer, erfrischender Roman mit einer starken Perspektive, sowohl erzähltechnisch als auch inhaltlich. Und es ist ein ambitioniertes Projekt: Otoo verflicht die Geschichten mehrerer Frauen, die in verschiedenen Jahrhunderten, an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Situationen leben. Was sie verbindet: Sie sind alle Ada.
Ada ist um 1459 eine junge Mutter in Totope im heutigen Ghana, ihr Baby stirbt wenige Tage nach der Geburt und portugiesische Männer landen am Strand. Sie ist um 1848 Ada Lovelace, Tochter von Lord Byron, Ehefrau von William King, Geliebte von Charles Dickens – aber eigentlich möchte sie sich vor allem mit Mathematik beschäftigen und darin ernst genommen werden. Sie ist 1945 eine Jüdin im KZ Dora, die in Baracke 37 als Prostituierte arbeiten muss. Und sie ist 2019 eine Studentin, die in Berlin eine eigene Wohnung sucht, was als schwangere Schwarze Frau schwierig ist. Ada erfährt auf der Wohnungssuche intersektionelle Diskriminierung.
Ada als mutige Frau
Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt sind grundlegende Themen des Romans. Vom Kolonialismus in Westafrika wird der Bogen über den Holocaust bis zum Rassismus der Gegenwart gespannt – ein etwas gewagter Vergleich, der zu Diskussionen anregen kann und soll. Andere Elemente wirken in Adas Raum zusätzlich als Verbindung zwischen den Jahrhunderten: zum einen natürlich der Fokus auf Ada und zum anderen auf die Position von Frauen in der jeweiligen Gesellschaft. Ada wehrt sich, sie ist kämpferisch, weil sie leben möchte als die, die sie ist, und das tun, was sie möchte. Das entspricht Otoos Ansatz, dass der Fokus nicht auf der Benachteiligung liegen soll, sondern darauf, was trotz ihr möglich ist.
Ada findet im Roman Unterstützung bei anderen Frauen, zum Beispiel bei ihrer Zofe oder bei ihrer Schwester. Adas Raum würde in einem umgekehrten Bechdel-Test ziemlich schlecht abschneiden: Die Frauenfiguren dominieren die Handlung, die Männerfiguren spielen am Rand mit. Sie haben sehr wohl Einfluss, allerdings schlechten: Oft sind sie verantwortlich für die Unterdrückung der Frauen, sie unterstützen sie nicht, sondern handeln egoistisch.
Erzählt wird im Roman teilweise aus Adas Innensicht, teilweise aus der Ich-Perspektive eines Objekts. Dieses Ich wandelt seine Form, es ist in Totope ein Reisigbesen, in England ein Türklopfer, im KZ ein Zimmer, in Berlin ein Reisepass. Die Perspektive eines historisch unwichtigen Objekts bietet interessante Möglichkeiten, da das Objekt nicht eingebunden ist in Kategorien wie race oder gender. Otoo hat diese in erster Linie beobachtende und möglicherweise auch handelnde Perspektive bereits im preisgekrönten Text von 2016 verwendet.
Die nächsten Schleifen
So wie das erzählende Ich-Objekt in einer anderen Form wiedergeboren wird, wird Ada als andere Ada wiedergeboren. Alle Adas im Roman sind eine einzige Ada, ein Prinzip der Reinkarnation steht hinter dem Roman. An einer Stelle heißt es, »dass alle Wesen – vergangene, gegenwärtige und zukünftige – in Verbindung miteinander sind, dass wir es immer waren und immer sein werden.« Es geht dabei nicht um Religion. Gott kommt zwar vor, allerdings fast ausschließlich als Klischee: Er trägt ein weißes Kleid und streckt den Arm aus wie auf Michelangelos Fresko Die Erschaffung Adams, oder er nimmt die Form eines Steppenläufers an (der in Westernfilmen symbolisch für eine ausgestorbene Gegend geworden ist), um die Leere im Jenseits darzustellen. Er ist fast nur Parodie und gibt zum Beispiel nicht allzu hilfreiche Ratschläge in Berliner Dialekt.
Sharon Dodua Otoo
Adas Raum
Fischer: Frankfurt 2021
320 Seiten, 22,00€
Wenn Ada stirbt, verbringt sie eine Zeit in dieser Leere, bevor sie eine sogenannte nächste Schleife beginnt. So ist der Roman auch gegliedert, Die ersten Schleifen, dann Zwischen den Schleifen und schließlich Die nächsten Schleifen. Sowieso ist Adas Raum sehr kunstvoll komponiert. Das fällt beim Lesen nicht sofort auf, sodass zunächst der Eindruck von Chaos vorherrschen kann. Aber die Struktur und die Übergänge (im zweiten Teil werden die Jahrzahlen zum Beispiel als Uhrzeit verwendet, 1459 wird 14:59) sowie die Verwendung der Motive ist bewusst gestaltet.
Einige Motive sind in der Handlung auffälliger positioniert wie das Perlenarmband, das sich als Kulminationspunkt von Auseinandersetzungen durch den Roman zieht. Ada erhält es 1459 und möchte es ihrem toten Baby mitgeben. Um 1848 ist das Armband Adas Hochzeitsgeschenk, um 1945 landet es bei Ada im KZ und 2019 sieht Ada es in einem Ausstellungskatalog. Jedes Mal verwickelt das Armband Ada in eine Auseinandersetzung mit einem weißen Mann – Guilherme, Wilhelm oder Herr Wilhelm –, der immer ihr Gegner ist.
Überall Ada
Andere Motive werden nur beiläufig, fast unbemerkt eingestreut und verbinden die Schleifen subtil. Die Wechsel dazwischen sind schnell, wie in einer Fuge werden die Melodien variiert, stückchenweise verwendet, enggeführt und durcheinander gespielt. Das ist raffiniert gemacht, nicht nur erzählerisch werden die Grenzen übersprungen, auch sprachlich geht es von Prosa fließend in Lyrik und wieder zurück. Vor allem zu Beginn des Romans sind die Wechsel zwischen Zeiten und Erzählperspektiven aber verwirrend. Die Abschnitte sind kurz und manchmal unbeholfen formuliert. Bei phrasenhaften Sätzen wie »ihre Stimme wäre ihr sowieso versagt« oder »ich ließ seine Handlungen bis tief in mein Herz dringen« entsteht der Eindruck, dass eine Vierzehnjährige sich bemüht, einen guten Text für einen Literaturwettbewerb zu schreiben. Das ändert sich, wenn längere Abschnitte folgen und die Leser:innen sich an die Gestaltung gewöhnt haben.
Dann wird die Erzählung flüssig und man folgt Ada in Berlin gerne zur nächsten Wohnungsbesichtigung – die wieder einmal damit endet, dass Ada und ihre Schwester wütend die Wohnung verlassen, weil der Vermieter rassistische Klischees geäußert hat. Man begleitet Adas innere Auseinandersetzungen, die sich um Identität drehen, ums Mutterwerden, Tochtersein, Frausein. Man würde Ada gerne noch länger begleiten, der Roman erzählt kraftvoll von einer individuellen Erfahrung und behandelt damit große Themen.
Aber auch wenn ich den Roman weglege, begegnen mir in letzter Zeit irgendwie überall Adas: Ich lese ein anderes Buch und es ist einer Ada gewidmet, wir sprechen beim Abendessen über den Film Ex Machina mit der Roboterfrau Ava, die vielleicht in Anlehnung an Ada Lovelace so heißt. Um mich herum ist jetzt eben Adas Raum, ich tauche ein und lasse mich mittragen mit den tausend Motiven und losen Enden, die alle zu Ada führen.