In einer ehemaligen Münchner Tankstelle befindet sich das Teamtheater Tankstelle. Im Netz eines Wahnsinnigen fand sich unsere Münchner Theaterkorrespondentin bei ihrem Besuch wieder. Denn die Inszenierung von Gogols Tagebuch eines Wahnsinnigen beeindruckte mit Ideenreichtum auf vielen Ebenen.
Von Anika Tasche
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Für mich ist es immer ein Highlight, wenn der Sommer endlich vorbei ist. Dass man diese Jahreszeit nicht zu seinen Liebsten zählt, ist für viele Menschen schwer verständlich. Nachvollziehbar ist es jedoch für diejenigen, die Kultur lieben, im Speziellen Theater. Ein Sommer kann ganz schön lang werden, wenn die Schauspielhäuser geschlossen haben. Die kalten Tage müssen daher intensiv für kulturellen Input genutzt werden.
Theater in der Tankstelle
Auch für mich war es also wieder an der Zeit, ordentlich Kultur zu tanken. Zu tanken? Ja, mein erster Besuch nach der Sommerpause zog mich tatsächlich zu einer ehemaligen Tankstelle. Mitten im Glockenbachviertel befindet sich das Teamtheater Tankstelle, ein kleines, aber sehr heimeliges Theater.
Doch nicht nur diese interessante Geschichte des Theaters machte für mich den Besuch spannend, sondern auch, dass ich endlich mal wieder einen »Russen« auf der Bühne sehen durfte. Schon der Titel erweckte meine Neugier: Tagebuch eines Wahnsinnigen.
Nikolai Gogol verfasste die Erzählung in Form eines Tagebuches 1835. Der Titularrat Poprischtschin scheint zu Beginn der Handlung ein gewöhnlicher Mensch zu sein. Doch durch seinen niederen Stand erfährt er immer wieder Peinigungen, sodass er immer wahnsinniger wird. Zudem ist er hoffnungslos verliebt in die Tochter seines Chefs. Zunächst sind es nur sprechende Hunde, die er auf der Straße trifft, doch irgendwann ist er der festen Überzeugung, der neue König von Spanien zu sein. Dieser voranschreitende Wahnsinn spiegelt sich auf diversen Ebenen im Text wider. So wird etwa die Datierung im Laufe der Handlung immer abstruser und es ist vom Jahr Januar, das auf Februar folgt, die Rede.
Die Verworrenheit im Kopf als Bühnenbild
Reihe
Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, bleibt sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.
Das Teamtheater Tankstelle hatte dieses Voranschreiten der Erkrankung gekonnt in sein Bühnenbild integriert. Zu Beginn der Inszenierung hing lediglich ein Sakko an einem Seil Mitten im Raum. Dieser Raum war durch ein Eisengestell markiert, das dreidimensional auf die Bühne gebaut war. Als der Titularrat (Konstantin Moreth) die Bühne betrat, zog er sich das Jackett über und nahm sich das Ende des Seils. Während er seine Tagebucheinträge erzählte, spannte er ein immer verworreneres Netz, indem er das Seil immer wieder neu an den Ecken des Gerüstes verknotete. Dieses Netz wurde im Laufe des Abends verschieden eingesetzt: Mal diente ein Teil des Seils als Sitzgelegenheit, mal wurde das Ende des Seils als Brief verwendet.
Herausragend war jedoch nicht nur die Kulisse, sondern das Stück lebte von seinem Text, den Moreth hervorragend herüberbrachte. Für mich ist es immer wieder erstaunlich, dass sich ein einziger Mensch so viel Text merken kann und dazu noch alleine auf der Bühne agiert. Doch nicht die Tatsache, dass es sich um ein Monodrama handelte, hob die Produktion hervor, sondern die Rhetorik war der ausschlaggebende Punkt. Wenn der Titularrat in sein Tagebuch schrieb: »Am Morgen schrieb ich Poesie« waren die Zuschauer*innen zunächst frohen Mutes, dass Poprischtschin wieder zu sich gefunden hatte, doch als dann ein »ab« nachgeschoben wurde, war es mit der Hoffnung auch schnell wieder dahin. Immer wieder wurde so mit dem Text gespielt.
Salsa in Tracht
Diese Produktion zeigte einmal mehr, dass großes Theater nicht zwingend eines opulenten Bühnenbilds oder Ähnliches bedarf. Schon ein einziger Schauspieler, ein guter Text sowie gute Ideen genügten, um den Abend kurzweilig und amüsant zu gestalten.
Das Teamtheater Tankstelle hat dabei auch noch den Vorteil, dass man vor oder nach dem Stück im Restaurant, durch das man in den Saal kommt, etwas essen oder trinken kann. Wir nahmen die Gelegenheit nach der Inszenierung wahr und landeten mitten in einer ›typisch bayrischen Szene‹: Salsa tanzende Menschen in Tracht, dazu könnte man wohl eine eigene Komödie inszenieren. Diese Kuriosität soll aber nicht von einer gelungenen Adaption von Gogols Erzählung ablenken. Wer Theater abseits der großen, renommierten Häuser sucht, ist hier auf jeden Fall richtig – ob mit oder ohne Tracht. Warten wir ab, ob ich jemals ein Dirndl ins Theater anziehe oder mich anderweitig, wie etwa mit Pudelmütze passend zur Jahreszeit, ins Schauspiel wage, denn der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr gesehen habe.