Hunter White, der weiße Jäger in Afrika

In Trophäe von Gaea Schoeters geht Hunter White seinen Jagdfantasien in Afrika nach, indem er Tiere für seine Trophäensammlung erlegt. Es ist ein Roman über den Menschen, den Postkolonialismus und die Natur. Bereits 2020 unter dem niederländischen Titel Trofee veröffentlicht, liegt der Roman nun erstmals in der Übersetzung von Lisa Mensing vor.

Von Luis Pintak

Bild: Freddy Weber, CC0

Eigentlich ist Trophäe von Gaea Schoeters wie ein Thriller. Am Anfang wird man in eine Verfolgungsjagd hineingerissen. Es ist nicht irgendeine Verfolgungsjagd, sondern die nach einem Nashorn. Und sie findet nicht irgendwo statt, sondern in Afrika, dem Kontinent mit seiner großen Naturwelt. Man erfährt nicht in welchem Land. Und das fügt sich in Schoetersʼ Programm, denn ihr geht es nicht um konkrete geographische und politische Beschreibung, sondern um die Auswirkungen des Kolonialismus, die den gesamten Kontinent prägen. Der Jäger heißt ausgerechnet Hunter White, das Symbol für den weißen Jäger aus Amerika, der mit Hilfe von Fährtenlesern aus einem nahe gelegenen Dorf Tieren nachjagt. Es ist eine Jagd der Beobachtungen, bevor Hunter und sein Gefolge zuschlagen können – oder scheitern. Schoeters schreibt pointiert und temporeich, sodass man die Spannung fühlen kann. Sätze schießen Leser:innen entgegen, als entstammten sie dem Gewehr des Jägers:

»Einer der Fährtenleser zeigt durch ein Loch am Laubwerk auf die Lichtung. Da. Jetzt. Das Nashorn zerrt an einem Ast, der nicht nachgeben will, wirft den Kopf hin und her, müht sich mit dem widerspenstigen Busch ab – im Bruchteil einer Sekunde sieht Hunter das ramponierte Ohr.«

In Amerika Geschäftsmann, in Afrika Jäger

Zu Hause ist Hunter Geschäftsmann, ein Spekulant, der mit Krediten, Wertpapieren und Immobilien handelt. Im Verlauf des Romans telefoniert er hin und wieder mit seiner Frau. Beide hegen eine Vorliebe für das Sammeln. Während seine Frau eine Sammlung an Kolonialkunst zu Hause beherbergt, sammelt er Tiere. Sie sind seine Trophäen. In der freien Natur kann Hunter ganz der Jäger sein.

Hunter ist eine zwielichtige Figur, die Bände spricht: Seine Lizenz bekam er »über eine seiner vielen Firmen«. Mit ihnen sollen »Spuren kontroverser Anschaffungen von großen Kunden« verwischt werden. Der letzte Lizenzerwerber wurde mit dem Tod bedroht. Organisiert werden die Jagden von dem undurchsichtigen Berufsjäger van Heeren. Beide jagen seit mehr als zwanzig Jahren zusammen.

Hunter ist ein Jagd-Nostalgiker, der sich in einer Reihe mit dem ehemaligen US-Präsidenten und Hobby-Jäger Theodore Roosevelt sieht. Zu seinen größten Vorbildern zählt wohl J.A. Hunter, ein professioneller Jäger und Safari-Leiter, der bis in die 1950er aktiv war und mehrere Bücher veröffentlichte. In den 1940ern habe er »scharenweise Nashörner abgeknallt«. Hunters Großvater erzählte ihm oft über seine glorreichen Jagden mit dem Großwildjäger. Nahezu fanatisch sind Hunters Ansichten, wenn er sich als Mensch an der obersten Stelle der Nahrungspyramide sieht. Schoeters zeigt einen Menschen, der zum jagenden Tier wird, und doch wieder Mensch ist, weil er die Macht der Waffe besitzt. Die Natur übt eine magische, unheimliche Kraft auf ihn aus, »einen alten Instinkt, einen Drang, das Wild zu finden«. Tiere zu jagen ist für ihn ein Katz-und-Mausspiel; er will das Tier finden, »bevor es ihn findet, als wäre es eine Frage des Überlebens, ein Jagdtrieb«.

Das Paradox Afrikas: zwischen Postkolonialismus, Moderne und Natur

Mit Hunter als Jäger kitzelt Schoeters die Grenzen des moralisch Vertretbaren heraus. Denn der Roman enthält ein von Spannung geladenes Paradox: Obwohl er jagt und Tiere als Trophäen sieht, stellt man sich doch immer wieder die Frage, ob sich nicht etwas Positives an ihm oder gar seinem Jagd-Hobby finden lässt. Für die Lizenz hat er schließlich bezahlt, und das Geld fließt in den Bestandsschutz von Nashörnern. Hunter ist der Überzeugung, dass es »die einzig funktionierende Form des Naturschutzes« sei. Er sieht Jagen nicht wie eine »neumodische Gefühlsduselei« der westlichen Reichen, obwohl er mit seinem Vermögen wohl genau zu ihnen gehören dürfte.

Aber nein: Schoeters’ Taktik ist es, die Lesenden mit genau diesen Fallstricken herauszufordern. In Trophäe lässt sich nie etwas auf eine Formel bringen. Hunter dient als Beispiel dafür, wie der weiße Mensch auf vielfältige Weise mit der Natur und der Geschichte in (fragwürdiger) Beziehung steht. Trophäe liest sich so einerseits wie eine Art postkolonialer Traum weißer Menschen – kontrastiv zum modernen Großstadtleben des 21. Jahrhunderts. Weiße Menschen wie Hunter haben beträchtlichen Einfluss auf die Region, in der er jagt. Sie jagen ihren Jagdfantasien nach und finanzieren damit den Bau von Schulen.

Allerdings ist Hunter nicht nur Zerstörer, meint man: Er träumt auch von einem unberührten Afrika, einer verlorenen Welt, die der Kolonialismus vernichtet hat. An einer Stelle streut Schoeters wieder Hunters historisches Vorbild J.A. Hunter ein. Er träumte von dem wahren, »verschwundenen Afrika, dem Afrika vor den Weißen, wo Elefanten und Nashörner einfach stehen blieben […], weil sie noch nie gejagt worden waren«.

Gae Schoeters
Trophäe
Übersetzt aus dem Niederländlischen von Lisa Mensing.
Zsolnay: 2024
256 Seiten, 24€

Die Widersprüchlichkeit von Hunter White

Hunter ist ein weltfremder, egoistischer und verkorkster Mensch, der sich widerspricht: »Er mag Afrika nicht«, heißt es an einer Stelle. Es sei ihm »zu laut, zu staubig, zu warm«, aber zugleich ist es der Kontinent, auf dem er seiner Jagdleidenschaft nachgeht. Als er einmal nach einer Jagd mit jungen Jägern aus dem Dorf heimkehrt, prallt seine Vorstellung von Afrika mit der des 21. Jahrhunderts zusammen: Bei einem Ritualtanz tragen Menschen Shorts oder Poloshirts, andere telefonieren oder prüfen ihre Facebook-Seite.

Man fühlt sich in einen modernen, zeitkritischen und realistischen Wettlauf mit einem Kriminellen hineinversetzt, eines einzig von der Jagd getriebenen Menschen. Schoeters denkt an alles, was es braucht, um die Lesenden ins Schlucken und Schwanken zu bringen.

So zeichnet sie auch einen Gegenentwurf zu Hunter: Der junge Jeans kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe des Jagdgebiets und möchte »einfach nur weg aus der Dritten Welt«. Im Gegensatz zu Hunter möchte er gerade nach Europa oder noch eher nach Amerika, wo der »ewige […] Reichtum« auf ihn warte. Die junge Generation ist der Zukunftsträger; manche studieren gar in Massachusetts Biotechnologie. Für Hunter symbolisiert Afrika, der Kontinent, der nicht weiter differenziert wird, das romantisierte Jagdparadies, während Jeans in Afrika die »Dritte Welt« sieht. Hunters und Jeans Sichtweise auf Afrika entspringt dem gleichen historischen Umstand: der Kolonialisierung durch die Europäer:innen.

Die Rache Afrikas

Schoeters setzt aber bei allem Bizarren noch eine Krone auf, bei der selbst der eher kaltblütige Hunter ins Zögern gerät: Für ein dörfliches Ritual soll Hunter den jungen Jäger !Nqate jagen, begleitet von dem Fährtenleser Dawid als Führer. Hunter wird klar, dass er bald selbst zum Gejagten wird. Ohne Dawid als Fährtenleser und Ortskundigen hätte er keine Chance, und !Nqate führt sie geradewegs in die gefährliche Wildnis mit lauter Fallen. Hunter bekommt als weißer »Fremdkörper« das »Afrika aus den Abenteuerbüchern« mit Löwen, Skorpionen und Hyänen vorgeführt. Als weißer Jäger wird er sogar von den Dorfbewohnenden bewundert: Er ist der erste weiße Jäger, der nicht vor einem Büffel zurückschreckt wie frühere, weiße Jäger. Als weißer Jäger bringe er Afrika Reichtum. Doch das stellt sich als Trugschluss heraus: Das Blatt wendet sich, als ein Skorpion ihn sticht. Sinnbildlich für die Zerstörungskraft der Weißen rächt sich Afrikas Natur nun an Hunter White.

Mit Trophäe hat Gaea Schoeters einen Roman auf der Höhe des 21. Jahrhunderts geschaffen, der den Postkolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent und die Beziehung des Menschen zur Natur anhand des weißen Jägers Hunter White ausleuchtet. Klar ist vor allem eins: Sie bringt die Lesenden moralisch zum Schwanken. Und das tut sie meisterhaft.

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