Trauer, Sehnsucht und Freude – Max Porters Debütroman zieht seine LeserInnnen in ein Gefühlschaos. Obwohl es abwegig scheint, entlockt Porter ihnen im Kummer einer Familie um ein geliebtes Mitglied ein Schmunzeln. Die eindrucksvollen Zeilen und der skurrile Humor setzen sich tief im Gedächtnis fest.
Von Malin Johansson
Bild: Vogelfeder via pxhere / CCO
Eine junge Frau stirbt. Nach der »organisatorischen Mogelei«, den Beileidsbekundungen und Unmengen an Lasagne sitzt der Witwer (nur »Dad« genannt) auf der Couch im Wohnzimmer. Im ersten Stock schlafen die beiden Kinder. Es klingelt an der Haustür. Beim Öffnen verschafft sich »Krähe«, ein menschengroßes Federtier, Zutritt zur Wohnung, der Familie und ihrem Leben. Und er stellt gleich zu Beginn klar: Er geht erst wieder, wenn er nicht mehr gebraucht wird.
Max Porter
Trauer ist das Ding mit Federn
Kein & Aber Zürich 2018
126 Seiten, 9,00€
Das ist das Setting, das der 1981 geborene Autor Max Porter für seinen Erstling Trauer ist das Ding mit Federn etabliert. Der überragende Erfolg des Debüts schlägt sich auch in einer für 2019 angesetzten Londoner Theateradaption nieder. Auf 125 Seiten erzählt der 2015 auf dem englischen Buchmarkt erschienene Roman fragmentarisch von einem ungewöhnlichen Umgang mit der Trauer. In Kapiteln, die selten länger als zwei Seiten sind, schleudert das Buch die LeserInnen in der Zeit vor und zurück und hält dann immer wieder inne. Damit spiegelt der gesamte Aufbau des Romans das Empfinden der Familie, den Wechsel zwischen rasenden und betäubenden Momenten, wider. In berührenden Passagen beschreibt Porter eine Welt, der ein wichtiger Grundpfeiler abrupt entrissen wurde:
Nun ist es an den Hinterbliebenen, die Last zu tragen. Da ist also Dad, der in der Gegenwart verweilt und mit Blick in die Zukunft im scheinbar luftleeren Raum sitzt. Dad, der ein Buch über die Crow-Gedichte von Ted Hughes schreibt, doch haltlos ohne seine Frau fehlen ihm die nötigen Worte. Dad, der seine Kinder für ihre Großmut bewundert, welche sich auch ohne sein Zutun stetig zu regenerieren scheint.
Die Perspektive des Witwers ist jedoch nicht die einzige Sicht auf die Geschehnisse. Die Söhne berichten selbst von ihrer Kindheit, den Veränderungen durch den Tod ihrer Mutter und der Sehnsucht danach, zumindest noch einmal für Zahnpastaflecken am Spiegel gescholten zu werden.
Auch in den Abschnitten, in denen die Geschehnisse aus dem Blickwinkel der Kinder geschildert werden, weist der Roman keinen zusammenhängenden Handlungsverlauf auf. Die LeserInnen erhalten lediglich kurze Einblicke, regelrechte Bruchstücke. Der Schreibstil bleibt überwiegend direkt und schlicht. Er zeigt eine poetische Eindringlichkeit und verleitet dazu, Sätze und ganze Abschnitte mehrfach zu lesen, da sie wie eigenständige Gedichte klingen:
Diese schwarzen Überbleibsel, diese Federn, stammen von der dritten Erzählinstanz des Buches: Krähe. Dem Vogel, der die Versuche, den Verlust in Worte zu fassen, mit harschen Sprüchen quittiert: »Pah, sagte Krähe, du klingst wie ein Kühlschrankmagnet.« Die skurrile Erscheinung des menschengroßen Federtiers hält immer wieder brüske Ansprachen, die zum Lächeln animieren. Der unerwartete Humor im erdrückenden Thema schafft Momente der Erleichterung.
Mit Krähes derber und brutaler Ausdrucksform unterstreicht Porter, dass es sich bei seinem Roman nicht um einen Ratgeber in Sachen Trauerbewältigung handelt. Das Buch zeigt das, was ist: die Realität des Verlusts. Doch Krähe ist trotz seiner kaltschnäuzigen Art anwesend, um zu helfen. Und zeigt, dass es nicht die Trauer zu überwinden gilt, sondern die Hoffnungslosigkeit: »‘Hope‘ is the thing with feathers«1Dickinson, Emily: »HOPE« IS THE THING WITH FEATHERS, in: Kübler, Gunhild (Hg.): Gedichte. Englisch und deutsch, übers. von Gunhild Kübler. Frankfurt a. M. 2011, S.82. (Emily Dickinson).