Huch?

Lil Yachtys neues Album Let’s Start Here ist – ja, das kann man schon jetzt mit einiger Überzeugung sagen – die musikalische Überraschung des Jahres: Lil Yachty löst sich nicht nur vom eigenen Schaffen, sondern auch von vielerlei anderen Konventionen und verlockt zum musikalischen Reisen, Loslassen, Mitgerissenwerden.

Von Frederik Eicks

Bild: Via Pixabay, CC0

Huch – was ist denn mit Lil Yachty los? Noch im Oktober 2022 machte der US-amerikanische Rapper in gewohnter Manier von sich reden: Die anderthalbminütige Single Poland wurde mit ihrem Meme-Potential und der typischen Hab-ich-mal-so-hingeschludert-Attitüde zumindest ein szeneinterner Erfolg. Während diese Single also noch ganz im Zeichen dessen steht, was das Publikum basierend auf seinen bisherigen Veröffentlichungen von Lil Yachty zu erwarten hat, fällt es hingegen ziemlich schwer, sein neuestes Album überhaupt als Album desselben Musikers zu verstehen. Seinen Titel trägt es sicherlich nicht umsonst: Lil Yachtys Let’s Start Here. ist trotz inhaltlicher Kontinuitäten nicht weniger als völlige Neuerfindung und radikaler Bruch mit dem Werk eines Mannes, der zwar vier seiner Alben Lil Boat getauft hat und dem bei der Frage nach seiner Ernährung nur Süßigkeiten einfallen, der von nun an aber zumindest als Musiker äußerst ernst zu nehmen ist.

Okay, aber warum klingt der erste Song nach Pink Floyd?

Wie bereits angedeutet, vollzieht sich der Bruch insbesondere entlang der musikalischen Form. Wie schwer diese Form demselben Publikum, das auch Poland abfeiert, zu vermitteln ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass vorab keine Single-Auskopplungen veröffentlicht wurden. Zum einen gibt es auf dem Album keinen Song, der eingängig genug wäre, um als Single bestehen zu können. Zum anderen gibt es auf dem Album auch überhaupt kein Lied, das nur ein einzelnes Lied ist: Zwischen beinah allen 14 Songs bestehen Brücken und Übergänge, welche die Lieder untrennbar ineinanderschlingen und den Album-Charakter dieser Veröffentlichung betonen. Gehört werden sollen diese Lieder am Stück und genau in der Reihenfolge, in der sie hier stehen. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht auch, dass das Lied sAy sOMETHINg im zusammen mit dem Album herausgebrachten Musikvideo musikalisch auffällig anders strukturiert ist als in der Albumversion und durch lange, die Musik unterbrechende Schauspielpassagen angereichert wird.

Nun, die musikalische Form von Let’s Start Here. lässt sich mit Genrezuschreibungen nur unzureichend erfassen. Unter diesen wären kurioserweise ›Rap‹ und ›Hip-Hop‹ – trotz ihres hörbaren Einflusses – sogar die am wenigsten treffenden Begriffe, wohingegen man der Sache mit ›Psychedelic Rock‹ schon bedeutend näher kommt: Die Frage, warum zum Teufel denn der Opener des Albums nach Pink Floyd klingt, werden sich wohl einige Musikredakteur:innen gestellt haben. In dieser musikalischen Wundertüte stecken aber auch Elemente des Soul, Funk, RnB, Electronica… you name it.

Anspielungsreiche Musik

Als wäre das alles nicht schon genug, verweigern sich die meisten Lieder des Albums typischen popmusikalischen Strukturen. Das ist in weitem Sinn zu verstehen: Nicht nur weisen die Lieder keine Elemente auf, die Charterfolg zumindest wahrscheinlich machen, sondern ihre innere Struktur lässt sich zumeist nicht sinnvoll in Bestandteile wie Strophe, Refrain und Bridge zergliedern. Let’s Start Here. stellt an sein Publikum die heutzutage unübliche Forderung der vollen Aufmerksamkeit, weil die Lieder eben nicht nach 30 Sekunden alles gezeigt haben, was sie zu bieten haben. In ihrer Experimentierfreudigkeit treibt es die Lieder hierhin und dorthin – niemals ist vorhersehbar, womit das gerade laufende Lied, geschweige denn das Album als nächstes aufwartet.

Das musikalische Puzzlespiel Lil Yachtys ist darüber hinaus ein selbstreflexives: So orientiert sich das Album in seinem Sound nicht nur an bestimmten Musikgruppen und -genres, sondern zitiert diese auch. Manchmal funktioniert das sozusagen als Direktzitat über das Hip-Hop-typische Sampling, beispielsweise von Pink Floyds Speak To Me auf the BLACK seminole. oder von Prince’s D.M.S.R. auf :(failure(:. Es gibt aber auch bloße Anspielungen, indem zum Beispiel sAy sOMETHINg am Ende jäh unterbrochen wird vom Geräusch einer Kassette, die aus dem Rekorder genommen, gedreht und wieder eingelegt wird. Daraufhin ertönt das Lied nur noch gedämpft im Hintergrund, während im Vordergrund ein Gespräch zwischen zwei Männern zu hören ist, das Intro zum nächsten Lied paint THE sky. Auch Pink Floyds Have A Cigar bereitet mit einem Perspektivwechsel den nächsten Song, das weithin bekannte Wish You Were Here, vor und zieht eine zusätzliche Ebene ein: Das Outro wird unterbrochen und hört sich dann an, als würde es aus einem kleinen Transistorradio schallen. Das Lied, das man hört, wird zum Lied, das im Lied gehört wird. (Bei Lil Yachty ist der Verweis auf das Medium der Kassette gleichzeitig der Verweis auf die Zeit, aus der seine Einflüsse stammen.) Auch das beeindruckend kraftvolle Vocal-Solo Diana Gordons am Ende des Openers the BLACK seminole. kann in diesem Sinne als Hommage an das herausragende Solo Clare Torrys auf The Great Gig In The Sky verstanden werden.

Selbstüberhöhung und Selbstironie

Dass dieser Sound einem Musiker wie Lil Yachty viel näher ist, als man zunächst annehmen mag, beweist unter anderem IVE OFFICIALLY LOST ViSiON!!!!, das noch unzweideutiger als andere Lieder des Albums an eines der bei Lil Yachty (und sowieso im Rap) zentralsten Themenfelder, den (übermäßigen) Drogenkonsum, anknüpft. Schließlich entspringen auch die Genres mit dem Begriff ›psychedelic‹ im Namen dem Wunsch der Künstler:innen, ihre Drogentrips musikalisch einzufangen. Versen wie »I did way too much drugs / I’ve been swirlin’ and spinnin’« wird der Boden bereitet von einem brachialen E-Gitarren-Bass-Matsch, der sich in die Räume zwischen den Halbtönen der gleichstufigen Stimmung schiebt, für westliche Ohren damit etwas schief und unsauber klingt – was könnte besser die Orientierungslosigkeit eines Sprechers veranschaulichen, der beteuert, sein Augenlicht oder den Blick für das Wesentliche oder beides verloren zu haben?

Auch mit den anderen Liedern auf Let’s Start Here. bespielt Lil Yachty vorwiegend Themen, mit denen man aus dem Hip-Hop vertraut ist. Neben dem Drogenkonsum sind das vor allem Sex und Liebe (pRETTy, the ride-). Aber auch ein gesundes Maß an Selbstüberhöhung (The Alchemist.) und, etwas versteckt, ein paar Hinweise auf eine gesellschaftskritische, afro-amerikanische Perspektive (the BLACK seminole.) lassen sich finden. Textlich ist das alles weder besonders anspruchsvoll noch besonders mies, worin die einzige Konstante zum bisherigen Schaffen Lil Yachtys liegt. Zumindest insofern Lil Yachty sich seinen oft selbstironischen Witz erhält, fällt diese Konstante zugunsten des Albums aus: »I know that they despise I feel so sexy / If someone say I’m not, must have not met me«. (Dieser Witz funktioniert übrigens auch musikalisch, indem auf pRETTy Lil Yachtys eigener Song Poland gesamplet wird.)

Ehre, wem Ehre gebührt

(Fast) kein:e Musiker:in macht ein Album allein: Im Hintergrund arbeiten immer noch eine Hand voll Produzent:innen, Studio-Musiker:innen etc. Für ein so fulminantes Album wie Let’s Start Here. gilt das erst recht. Das fällt auf den ersten Blick allerdings nicht auf, da in der offiziellen Tracklist, beispielsweise bei Spotify, nicht einmal die Feature-Gäste mit aufgeführt sind. Auf Lil Yachtys vorherigem Album Michigan Boy Boat sieht das noch anders aus: Hier sind nur für zwei der insgesamt 14 Lieder keine Features genannt. Diese Nennungen nun wegzulassen, ist als bewusste künstlerische Entscheidung zu begreifen, welche die Ganzheit dieser Musik unterstreicht. Die beteiligten Personen versammeln sich unter dem Schirm des Albumtitels und Lil Yachtys Namen. So nachvollziehbar diese Entscheidung aus künstlerischer Sicht ist – etwas schade ist sie trotzdem, sind doch die meisten Features auf Let’s Start Here. Frauen, deren Namen nur kennt, wer sich die Mühe macht, auf einschlägigen Seiten wie Genius die beteiligten Personen nachzuschauen.

Zugutezuhalten ist Lil Yachty allerdings, dass diese Unsichtbarmachung nur auf der Gestaltungsebene des Albums stattfindet: Schließlich sind die bereits erwähnte Diana Gordon, aber auch Foushée, Baby K und Justine Skye mit ihren überzeugenden Beiträgen zum Album in den Verzeichnissen nicht nur als Feature, sondern teilweise auch als Kompostinnen vertreten. Vielleicht ist das die größte Diskontinuität zu Pink Floyd und Clare Torry – letztere wurde für ihre Gesangsimprovisation mit einer mageren, einmaligen Studiogage abgespeist und musste Jahrzehnte später noch einen Gerichtsprozess anstrengen, um als Mitkomponistin aufgeführt zu werden.

Ein Schleimpilz und eine Reise

Als eine an Let’s Start Here. beteiligte Person genannt zu werden, ist nicht nur Verzeichnung, sondern Auszeichnung: In ihrer Zusammenarbeit ist diesen Menschen ein Kunstwerk gelungen, das so außerordentlich weit seine Fühler ausstreckt – wie ein Schleimpilz auf der Suche nach einer Haferflocke. Ist die Nahrung gefunden, zieht sich der Pilz auf diesen Punkt zusammen, wird ganz dicht. Diese Bewegungen des ausweitenden Streckens und verdichtenden Ziehens, die auch diesem Album eigen sind, zu beschreiben, ist keine leichte Aufgabe. Der Rückgriff auf originelle Schleimpilzmetaphern hilft, doch genauso treffend ist hier eine viel weniger originelle Metapher (aber Herrgottnocheins, wenn’s nun mal so ist): Let’s Start Here. zu hörenbedeutet Reisen, the ride-.

»A quick zoom to the moon / Come on and ride«.
»I’m stuck in a zone / And I’m a million miles from // home is only an idea«.
»This just took my high to the moon«. »Take a picture ’cause we’ll need proof / Nobody will believe we saw the sun«.
»Only one goal / To reach the sunshine«.

Desorientiert und glücklich fliegen wir durch die Musik und die Musik durch unseren Brustkorb, irgendwo unterwegs auf der Strecke ist Bob Ross zu hören, bedeutet uns, Blockaden einzureißen, nicht zu zaudern: »In the time you sit around worrying about it and trying to plan a painting, you could’ve completed a painting already.« Auch das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, ist in Lil Yachtys mutmaßlichem Loslassen doch eine der ausgeklügelsten, überlegtesten Neuerscheinungen entstanden, die sich irgendwie noch mit dem Mainstream assoziieren lassen.

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