Das ThOP inszeniert mit »Verwanzt« den tragischen Weg eines emotional gebrochenen Menschen, der in den Wahnsinn getrieben wird. Die Produktion hinterlässt sprachlose Zuschauer:innen.
Von Annalena Urbanczyk
Bilder: Ulf Janitschke
Das Drama »Verwanzt« von Tracy Letts hat am 11. Januar im studentischen Theater im OP der Uni Göttingen seine Premiere gefeiert. Eine Inszenierung über Paranoia, Schizophrenie, physische und psychische Gewalt: Das Stück veranschaulicht die Entwicklung eines emotional instabilen Menschen, der sich vor seiner Vergangenheit versteckt.
Das Regie-Team (Regie: Justin Middeke, Regieassistenz: Klara-Maria Misler, Theo Ockert) versteht es, mit seiner Inszenierung der Bizarrheit des Dramas Nachdruck zu verleihen. Sie meistern die Darstellungen der Wahnsinnigkeit und hinterlassen ein sprachloses Publikum.
Zu Hause
Ein Motelzimmer in Oklahoma. Die verängstigte Protagonistin Agnes (Lisa Tyroller) wird von ihrem gewalttätigen Ex-Mann Jerry Goss (Andreas Hey) heimgesucht, jedoch ist er nicht das Einzige, was sie verfolgt. Die Paranoia der Protagonistin werden zu Beginn dargestellt: Sie erhält Anrufe, bei denen am anderen Ende niemand antwortet. Sie verschließt die Tür mit vielen Schlössern, obwohl sich draußen niemand befindet.
Agnes ist 40, dauernervös, raucht und trinkt zu viel und kellnert mit ihrer Freundin R.C. (Diana Kahms) in Oklahoma City. Die besten Freundinnen konsumieren gemeinsam Drogen und feiern wilde Partys. Goss spioniert seiner Ex-Frau Agnes hinterher, manipuliert und bedroht sie. Jedoch ist Agnes eine Figur, die versucht, sich mit lauten Worten zu wehren, sie kämpft gegen ihre Angst. Das Machtverhältnis und die negative Atmosphäre zwischen den beiden Figuren werden von den Darsteller:innen glaubwürdig aufgeführt, sodass die unruhige Stimmung vom Publikum wahrgenommen werden kann.
Achterbahnfahrt
Eines Abends bringt R.C. den arbeits- und obdachlosen Peter mit, der schließlich bei Agnes übernachtet. Die Beziehung zwischen beiden ist noch unklar, da sie sich kaum kennen. Klar ist jedoch, dass es sich bei ihnen um zwei einsame, verlassene Menschen handelt, die sich gefunden haben, die beieinander Schutz suchen. Dabei kommen sie sich auch körperlich näher. Jakob Jockers und Lisa Tyroller stellen eine emotionale Verbindung zwischen den Figuren dar, die auch bei den Zuschauer:innen spürbar ist.
Als Peter sich entscheidet, permanent bei der gebrochenen Agnes zu bleiben, verändert dies das Leben der Figuren drastisch. Der trockene Humor kombiniert mit den merkwürdigen Figuren des Stücks unterstreicht die Seltsamkeit und Bizarrheit der Inszenierung.
Eine gelungene Produktion zwischen Wahn und Wirklichkeit
Info
Weitere Vorstellungen gibt es am 17., 20., 21., 24., 25., 27. und 28. Januar.
Die Inszenierung Middekes überzeugt mit der Wahl ihrer Schauspieler:innen, die die Charaktere der Figuren authentisch darstellen: die dominante, bedrohliche Art von Goss, die ängstliche und zugleich schlagfertige Agnes, den wahnsinnigen Peter, und schließlich die nervige, aber fürsorgliche R.C. Die authentisch platzierten Bühnenrequisiten lassen das Motelzimmer lebendig wirken und spiegeln das chaotische Leben von Agnes wider.
Der Einsatz der Licht- und Soundkulisse ist ebenfalls sehr gelungen, da der Kontrast zwischen Wahn und Wirklichkeit durch das Zusammenspiel von Licht und Ton hervorgehoben wird. Die bedrohlichen Situationen werden durch tiefe Töne, die sich während der Szenen in der Lautstärke steigern, besonders in Szene gesetzt. Ein weiterer bemerkenswerter Punkt ist die Mitwirkung von Easy-Listening-Musik (»Strange Things Will Happen« von The Radio Dept.), die in einer scheinbar alltäglichen Situation abgespielt wird. Auf diese Weise wirkt ein plötzlicher Soundwechsel zu lauten, tiefen, vibrierenden Tönen sehr penetrant und störend und versetzt die Zuschauer:innen in eine unangenehme Situation, was wiederum den Effekt der bedrohlichen Szenen und die inszenierte Verzweiflung und Wut der Figuren verstärkt. Überdies können die grafischen Szenen durch ihre gekonnten Darstellungen eine schockierende Wirkung entfalten.
Insgesamt braucht sich die Inszenierung des ThOP mit ihrer Fülle an szenischen Einfällen nicht vor der Hollywood-Verfilmung Bug von 2006 zu verstecken.