Hasen im Nikolaikirchhof

Beigefarbene Opas, Hasen in der Luft und absteigende Kadenzen: Davon liest Maren Kames am 28. August im Literarischen Zentrum in Göttingen. Ihr Roman Hasenprosa steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, auch im Nikolaikirchhof in Göttingen überzeugt ihr Text.

Von Marie Bruschek

Bild: Marie Bruschek

Eine Reihe an Kopfhörern leuchtet im Dunkeln, ihnen gegenüber sitzt Maren Kames im blauen Licht vor den großen Türen der Nikolaikirche. Sie liest am 28. August aus ihrem Roman Hasenprosa, erschienen in diesem Jahr beim Suhrkamp Verlag. Der Roman steht inzwischen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Die Lesung findet passend zum sommerlichen Wetter draußen statt: Dort sind sowohl die Autorin als auch ihr Publikum mit Kopfhörern, Stühlen und Kissen versorgt – die Reise mit dem Hasen kann losgehen. Das Besondere des Abends: Die Autorin spricht in ein kleines Mikro und wird direkt auf die zuvor verteilten Kopfhörer des Publikums übertragen.

Intime Atmosphäre

Kames beginnt nach einer Begrüßung und längeren Erklärungen zu den Teilen, die sie vorlesen wird, mittig von Hasenprosa: »Mittlerweile hatten wir Fliegen gelernt, einen Strichflieger gekapert und uns damit in die Luft verzogen«. »Wir«, das sind die Erzählerin und ihr Begleiter, der titelgebende Hase. Kames’ Lesung wird ebenfalls von einem Hasen begleitet, einem Stofftier, angelehnt an die Kirchentür. Die Kopfhörer unterdrücken andere Geräusche der Gruppen auf dem Kirchplatz hervorragend, sodass ein konzentriertes Zuhören möglich ist. Kombiniert mit der überschaubaren Größe des Publikums entsteht so in Göttingens Innenstadt am gut besuchten Nikolaikirchhof eine kleine, intime Runde.

Zu Beginn der Veranstaltung neigt sich die Sonne bereits gen Horizont, mit immer mehr Eindrücken zum Hasen, musikalischen Abschweifungen und Powerpoint-Einschüben zu Sternbildern wird es langsam dunkel, bis die Kopfhörer schlussendlich mit ihren Leuchtstreifen wie übergroße rote Glühwürmchen in der Luft zu schweben scheinen. Das kommentiert auch Kames, die ein Lachen kaum unterdrücken kann als sie ins Publikum blickt: »Ihr seht so lustig aus!« In Sachen Sympathie punktet sie zweifelsfrei, über ihre Witze wird gelacht, ihre Persönlichkeit wirkt nahbar und ehrlich. Biographische Bezüge ihres Romans werden teilweise aufgeschlüsselt, beispielsweise über ein Foto auf einer Leinwand rechts von ihr, auf dem sie als Kleinkind mit ihrem Opa zu sehen ist. Auch das Sternbild des Hasen, welches im Text erwähnt wird, ist dort als visuelle Unterstützung des Vorgelesenen angeworfen.

Auch ohne Vorwissen zum Buch wird schnell klar: Das hier ist kein klassischer Roman. Autofiktionalität, experimentelle Züge und eine Menge popkultureller Referenzen prägen den Text. Im Nachhinein wird aus dem Publikum gefragt, wie lange Kames für diesen sehr dichten Text recherchiert hat – sie erwidert, die meisten Informationen hätte sie sich bereits vorher angelesen. Rund ein Jahr habe sie an dem Roman geschrieben. Diese Gattungsbezeichnung wurde oft angezweifelt, obwohl der Titel deutlich macht, wo sich der Text verortet: Es handelt sich um Hasenprosa.

Spaß am Spiel mit Sprache

Kames spielt die in den gelesenen Textabschnitten erwähnte Musik direkt in die Ohren des Publikums ab. Purple Rain von Prince und In My Mind von Dynoro und Gigi D’Agostino ertönen. Als Ersteres verklingt, kommentiert die 40-Jährige: »Jetzt vermisse ich das Lied schon«. Der Abend fühlt sich wie eine Live-Aufnahme eines Hörbuchs an, das dichte Netz des Romans wird geöffnet und wer im Publikum sitzt, hineingezogen. Die Intimität eines Hörbuchs verbindet sich so mit der Unmittelbarkeit einer Lesung und macht diese zu einer außergewöhnlichen Erfahrung. Es drängt sich die Frage auf, wie man dieses Buch ohne Kames Erklärungen und musikalische Ausflüge idealerweise lesen könnte. Sollte man dabei die erwähnten Lieder parallel hören, wie Kames es bei der Lesung arrangiert? Kames verneint. So experimentell sie beim Schreiben sein mag, sie sei »ganz klassisch als Leserin«. Um die zitierten Lyrics auf den Inhalt zu beziehen, brauche man nicht den Input von außen.

Es wird gelacht und nachgedacht: über Hasen, sogenannte »Versenkungsidole«, aber auch über Kames’ Sprachgebrauch. Die Sätze, die sie vorliest, zeugen von Spaß am Spiel mit Sprache und Gespür für Satzbau, Wortwahl und -witz. Dass man ihren Stil auch sehr gut vertonen kann, wird klar. Ihr eloquenter Ausdruck funktioniert im Schriftlichen wie auch auditiv: »Ich ahnte schon, ich war zu tief in die mir selbst gesuchten Formen und Strukturen geraten, ein Irrgarten (Parcours meiner fixen Ideen), dabei spürte ich ehrlicherweise kaum Differenz mehr zwischen Aufruhr und Ruhe« schreibt und spricht Kames, oder auch »Wenn ich an Versenkungsidole denke, denke ich jedenfalls hinter allen Glenns und Agneses, hinter allen Basquiats, Messis und Princes eigentlich vor allem oder immer auch an meinen einzigen, exakten Bruder und seinen einfachen, schweren Baum«. Hier wird ihr Können deutlich: Innerhalb eines Satzes verdichtet Kames geschickt Anekdoten über ihre Idole, über ihren Bruder und dessen Persönlichkeit.

Physikalische Unmöglichkeiten

Am Ende gibt es – angesichts der kleinen Gruppe überraschend lauten – Applaus für Maren Kames und ihre Hasenprosa. Anschließend signiert sie Bücher – neben ihre Unterschrift malt sie einen kleinen Hasen. Das Format Kopfhörerlesung im Nikolaikirchhof funktioniert und Maren Kames hat das von ihr beschriebene »Perpetuum mobile mit zwei Gliedern« nun auch in Göttingen in Bewegung gesetzt.

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