Simone Schlindwein deckt in ihren Recherchen Der grüne Krieg auf, wie das wichtige Ziel von Naturschutz in Afrikas Nationalparks zur gewaltsamen Vertreibung indigener Stämme und zur Militarisierung der Parkanlagen führt.
Von Katarina Fiedler
Der Verlust der weltweiten Biodiversität wird von Forschenden als die größte Krise der Menschheit beschrieben. Seit sich die Weltgemeinschaft 2022 mit dem 30×30-Plan darauf geeinigt hat, bis zum Jahr 2030 insgesamt 30% der Erdoberfläche unter Naturschutz zu stellen, wird das Thema auch auf internationaler Agenda zielgerichtet verfolgt. Die Naturreservate Afrikas bieten sich dabei für den Naturschutz besonders gut an, denn diese bestehen zu großen Teilen noch aus Kolonialzeiten und müssen ›nur noch‹ vergrößert und geschützt werden.
Dieser Schutz sieht allerdings ganz anders aus, als Politiker:innen, Umweltverbände und Bürger:innen sich das vorstellen: Simone Schlindwein recherchierte über ein Jahr in Afrika und veröffentlichte die Ergebnisse 2023 in dem Sachbuch Der grüne Krieg. Sie setzt weit vor dem UN-Abkommen an, indem sie zeigt, wie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Korruption, interne Machtkämpfe und Konflikte mit bewaffneten Milizen dazu geführt haben, dass viele Nationalparks in Afrika mittlerweile so ausgestattet sind wie Militärstützpunkte:
Die Aufrüstung der Nationalparks hat dazu geführt, dass indigene Bevölkerungsgruppen, deren Schutz eigentlich auch auf der Agenda der UN steht, eingeschüchtert, vertrieben und getötet werden – um menschenleere Parks herzustellen.
Konfliktherd Nationalpark
Die meisten Nationalparks Afrikas wurden bereits unter Kolonialherrschaften westlicher Länder gegründet. Seitdem sind sie immer wieder Orte landesinterner Konflikte mit bewaffneten Milizen gewesen. Diese kontrollierten Brandrodungen im Park sowie die Durchfahrtsstraßen in nahegelegene Städte und gerieten häufig in gewaltsame Auseinandersetzungen mit Truppen der Parkverwaltung oder der Regierung. Nachdem die USA, als einer der größten Geldgeber verschiedener Parks, das Anti-Terror-Gesetz beschlossen haben, fuhren Parkverwaltungen ihre Anstrengungen massiv hoch, um die Milizen aus den Parks zu verdrängen.
Doch es werden nicht nur diejenigen vertrieben, die die Natur mutwillig für den eigenen Profit zerstören und die Bevölkerung vor Ort drangsalieren: Die Ranger vertreiben nun auch indigene Bevölkerungsgruppen, brennen Siedlungen ab, weil diese angeblich über der Grenze des Parks stehen, und töten ohne Vorwarnung, wenn Menschen im Wald Feuerholz sammeln. Was sich bei Schlindweins Recherchen zeigt: Der westliche Gedanke – dass erfolgreicher Naturschutz nur in unberührter Natur, ohne menschliches Einwirken, stattfindet – hat sich in den afrikanischen Nationalparks manifestiert. Ursprüngliche Überzeugungen der naturnah lebenden Völker, dass Mensch und Natur eins sein können, gemeinsam funktionieren und sich gegenseitig stützen, werden vollständig und in den meisten Fällen mit Waffengewalt unterbunden.
Die Autorin konzentriert sich vor allem auf den Virunga-Nationalpark, der im Norden der Demokratischen Republik Kongo an den Grenzen zu Ruanda und Uganda verläuft. Trotz dieser geografischen Einschränkung fehlt dem Buch ein roter Faden, da die Recherchen nicht chronologisch, sondern eher thematisch sortiert sind. Durch die inhaltliche Nähe vieler Rechercheergebnisse wirkt es in Teilen, als würde man immer wieder das Gleiche lesen. Dabei schmälert das nicht die politische und menschenrechtliche Brisanz zahlreicher Enthüllungen, die Leser:innen auch das eigene Weltbild hinterfragen lassen: Wenn in einem Naturreservat Dürre herrscht und sowohl die dort lebenden Wildtiere als auch die indigene Bevölkerung vor Ort nicht genügend Wasser und Nahrung haben – wem helfen die Regierungen zuerst?
Während in Zoos und öffentlichen Bildungseinrichtungen immer der Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten propagiert wird, werden Indigene, die etwa von Waldrodungen und Naturkatastrophen ebenso vom Aussterben bedroht sind, nur selten beachtet. Schlindwein will mit der normativen Ansicht aufräumen, dass der Schutz von Natur grundsätzlich wichtiger sei als der Schutz von Menschen. Für sie stehen Ungerechtigkeiten gegenüber Menschen und Verstöße gegen Menschenrechte deutlich im Vordergrund.
Internationale Fonds finanzieren Menschenrechtsverstöße
Die umfangreichen Recherchen in verschiedenen Ländern, die Gespräche mit unterschiedlichen Akteur:innen und die teilweise erfolgende Einordnung in internationales Politikgeschehen lassen sich in großen Teilen des Buches mühelos lesen. Einzig das Kapitel zur Finanzierung der Nationalparks ist geprägt von sperrigen Abkürzungen und detaillierten Erläuterungen zu Finanzflüssen, die leider den Lesefluss negativ beeinflussen. Das ist aus zwei Gründen besonders schade:
Erstens stützt sich ein entscheidender Teil der politischen Brisanz auf diesen Geldflüssen, denn mit Geldern für den Naturschutz werden Menschenrechtsverstöße und militarisierte Hochrüstungen finanziert.
Zweitens steht dieses Kapitel direkt zu Beginn des Buches, sodass bereits nach wenigen Seiten voller grundlegender Enthüllungen die Lust, weiterzulesen, abnimmt. Hält man jedoch dieses Kapitel durch, ist der Rest wie aus einem Thriller gegriffen und führt immer wieder zu empörtem und ungläubigen Kopfschütteln.
Alternative Ansätze kommen zu kurz
Trotz des sachlichen Tonfalls eines darstellenden Berichts stellt Schlindwein ihren Leser:innen die Frage nach ethischer Verantwortung: Kann es moralisch vertretbar sein, Menschen aus ihren Dörfern gewaltsam zu vertreiben, zu töten oder unrechtmäßig zu langen Haftstrafen in Foltergefängnissen zu verurteilen, nur weil das westliche Ideal eines menschenleeren Naturreservats durchgesetzt und mit aller militärischer Macht verteidigt werden soll?
Simone Schlindwein
Der grüne Krieg
Ch. Links Verlag: Berlin 2023
256 Seiten, 20,00€
Auch schließt sich noch die Frage an, wie der dringend notwendige Schutz der Naturschutzgebiete anders, besser und vor allem menschenfreundlicher gelingen kann. Laut Klappentext sollen Antworten auf diese Frage im Buch folgen, jedoch bekommen sie nur Platz im letzten Kapitel, das gleichzeitig als Fazit dient. Leider schafft es dieser kurze Ausblick nicht, eine befriedigende Sicht auf alternative Ansätze zu gewähren und wird damit der Erwartung an das Buch nicht gerecht, diese aufzuzeigen.
Ebenso fehlt eine eindeutige Zusammenfassung der Erkenntnisse des Buches, die bei der Verzahnung der Probleme in den Nationalparks durchaus angemessen wäre. So verlaufen zahlreiche lose Fäden nebeneinander her und müssen erst durch die Leser:innen zusammengeführt werden – diesen wird es aber schwer fallen, den Überblick über die weitreichenden und vielfältigen Themenstränge zu behalten.
Während sich die inhaltliche Lektüre also fast ausnahmslos lohnt, schränken der trockene Schreibstil, der fehlende rote Faden und die schiere Informationsmenge das Lesevergnügen in Teilen leider ein. Dennoch: Wer sich mit internationalem Naturschutz, postkolonialen Ungerechtigkeiten oder internationaler Politik beschäftigt, sollte Schlindweins Recherchen auf jeden Fall auf der eigenen Leseliste stehen haben.