Nach Die Schutzbefohlenen und Das Licht im Kasten, folgte am 25. Januar mit Prinzessinnendramen die dritte Jelinek-Inszenierung am Deutschen Theater innerhalb kurzer Zeit. Verzweifelt diskutieren Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde mit ihren Prinzen auf der Damentoilette über die Selbstverständlichkeit des Patriarchats.
Von Dennis Klofta
Bild: © Thomas Müller, unter freundlicher Genehmigung des Deutschen Theaters Göttingen
17 Jahre ist es bereits her, dass Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in Prinzessinnendramen erstveröffentlichte und sechs Prinzessinnen auf das Patriarchat treffen ließ. Dabei griff sie keine neuen Probleme auf, sondern schrieb über die Themen, die Feminist*innen seit Jahrzehnten anprangerten. Umso erstaunlicher ist, dass es die Skandale, die zur #MeToo-Bewegung führten, brauchte, um diese Themen wieder prominent in gesellschaftlichen Debatten unterzubringen. Wie aktuell und alltäglich die von Jelinek verhandelte Thematik ist, zeigt Julia Prechsls Inszenierung der Prinzessinnendramen. Um diese Aktualität und Alltäglichkeit des Textes hervorzuheben, wurde das ursprünglich fünfteilige Stück auf die ersten drei Dramolette (Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde) gekürzt und gleichzeitig um drei jeweils vorangehende Vorspiele erweitert.
Die falsche Alltäglichkeit der Märchenwelt – Drei Prinzessinnen und der Mann
Das Publikum sitzt noch nicht einmal auf seinen Plätzen, es ist noch kein Wort gesprochen und trotzdem ist es bereits mit einem Problem konfrontiert worden. Dabei ist nicht der umständliche Eingang gemeint. Um in den Saal zu gelangen, stolpert man nach und nach in den ins Bühnenbild integrierten Eingang. Nur jeweils eine Person passt durch den engen Tunnel. Noch befremdlicher ist nämlich, dass die Zuschauenden sich auf einer Damentoilette befänden, wenn nicht ausgerechnet am Eingangstunnel ein Pissoir angebracht wäre. Die großartige Konstruktion der öffentlichen Toilette als Bühnenbild (Birgit Leitzinger), die farblich ein wenig an die Villa Kunterbunt erinnert, vermittelt nicht nur die Alltäglichkeit der Szenen, sondern hebt auch die Abgeschiedenheit vom anderen Geschlecht hervor. Die Frauentoilette als letzter Zufluchtsort vor dem Mann. Dann wird es dunkel, moderne EDM Musik (Fiete Wachholzt) setzt ein und zwei Frauen (Dorothée Neff, Gaia Vogel) in Abendkleid betreten die Bühne. Durch die geschickte Symbolik des Kleides, das im Stück als klassisch weibliches Merkmal immer wieder thematisiert wird und durch die Musik wird der Fokus erneut verschoben. Jetzt befinden wir uns auf einer Clubtoilette, irgendwo zwischen Märchen und Gegenwart.
Den Anfang der Triade macht Schneewittchen (Dorothée Neff), die auf der Suche nach den sieben Zwergen nur dem Tod (Gaia Vogel) begegnet. Dass es sich beim Tod um den aus dem Märchen bekannten Jäger handelt, ist jedoch nur denen bewusst, die mit Jelineks Stück vertraut sind. Die Tatsache, dass er sich im Kleid als Tod und eben nicht als Jäger vorstellt, lässt auf jeden Fall einigen Deutungsspielraum offen. Verbirgt sich hinter dem Tod vielleicht die eigentliche Mörderin? Schneewittchen selbst scheint der Auftritt des Tods allerdings weniger zu stören, unbeirrt durchsucht sie die gesamte Toilette nach den Zwergen; schaut unter den Waschbecken, durchwühlt die Mülleimer, jedoch ohne Erfolg. Diese intensive Suche hat allerdings zur Folge, dass die eigentliche Auseinandersetzung, die Diskussion zwischen Schneewittchen und dem Tod über Wahrheit und Schönheit, in den Hintergrund gerät. Deutlicher wird es dann im zweiten Abschnitt: Dornröschen (Dorothée Neff, Gaia Vogel). Wie oben bereits angedeutet wird diese Szene in eine klassische One-Night-Stand Situation eingefügt, bei der sich Dornröschen am nächsten Morgen mit einem unbekannten Prinzen (Gaia Vogel, der in diesem Abschnitt sogar der flüssige Wechsel zwischen Prinzessin und Prinz gelingt) im eigenem Bett konfrontiert sieht. Dieser präsentiert sich sogar gleich als Gott, der immerhin Dornröschen vom Tod erweckt und von allen möglichen Frauen auserwählt habe. Was gab ihm überhaupt das Recht die Ohnmächtige aus ihren Träumen zu reißen?
Info
Das Deutsche Theater in Göttingen zeigt als größtes Theater der Stadt ein umfangreiches Repertoire auf drei Bühnen. Bereits seit den 1950er Jahren errang das DT unter Leitung des Theaterregisseurs Heinz Hilpert den Ruf einer hervorragenden Bühne. Seit der Spielzeit 2014/15 ist Erich Sidler Intendant des Deutschen Theaters Göttingen.
Dann tritt er doch noch auf, der Mann; bis zu diesem Zeitpunkt ist die Frauentoilette nämlich frei vom Mann geblieben. Er ist zwar als Prinz aufgetreten, jedoch immer verkörpert von einer Schauspielerin. Das ändert sich im letzten Teil der Inszenierung. Als fordernde Stimme über die Boxen in den Raum geworfen, schreit er auf die unbekannteste der drei Heldinnen, Rosamunde, ein. Langsam hat sich die Thematik des Stückes vom leichteren philosophisch anmutenden Anfang entfernt und greift nun ganz konkret die Themen Macht, Gewalt und Sex auf. Eingeleitet wird die letzte Szene durch wilde Schreie hinter den verschlossenen Türen der Toiletten. Es wird auf die Einrichtung eingeschlagen. Stille. Und aus der Tür tritt Rosamunde (Dorothée Neff und Gaia Vogel), blutverschmiert. Vergewaltigung, bloße Gewalt, Geburt, alles könnte in dieser kurzen einführenden Szene angedeutet sein. Mit dem ursprünglichen Drama von Helmina von Chézy hat es jedoch außer dem Namen Rosamunde wenig zu tun. Im Gegensatz zum Drama von Chézy, bei dem sich Rosamunde im direkten Kampf um Macht und Leben behaupten kann und am Ende sogar den Thron besteigt, endet die Szene hier mit Rosamundes Eingeständnis ihrer eigenen Ohnmacht.
Das Selbstverständnis der (Ohn-)Macht
»Ich kann nicht aus meiner eigenen Haut« Das ist der Schluss, zu dem alle drei Prinzessinnen kommen. Mit dieser Aussage drückt sich allerdings nicht nur die Reduktion von Frauen auf ihr Äußeres, sondern vor allem ein weibliches Selbstwertgefühl aus. Es werden dem Publikum keine heroischen Heldinnen präsentiert, die sich mit Kraft und Mut gegen das Patriarchat durchsetzen, sondern frustrierte und niedergeschlagene Frauen, die sich zwar nicht mit der ungerechten Gesellschaft abgefunden haben, ihr aber ohnmächtig gegenüberstehen. Es sind gerade die im ersten Moment albern wirkenden Momente, in denen sich die Hilflosigkeit der Prinzessinnen am deutlichsten zeigt. Geschickt wird hier das Bühnenbild mit all seinen Eigenschaften und Möglichkeiten als Requisite benutzt. Wie könnte deutlicher die Bedeutungslosigkeit weiblicher Macht dargestellt werden als damit, der mächtigen Frau eine Klobürste als Zeichen ihrer Macht zu übergeben. Verstärkt wird diese Ohnmacht in der Destruktivität, mit der Dorothée Neff und Gaia Vogel diese absurden Witze darstellen. Umso intensiver erscheinen dann die Szenen, in denen jeder Witz abhandengekommen ist und die brutale Wirklichkeit die gesamte Bühne einnimmt. Wenn Rosamunde (hier nur Dorothée Neff) panisch und verzweifelt versucht im Waschbecken das Blut von ihrem Körper zu waschen, ist die Ernsthaftigkeit der Szene unmissverständlich.
Die Stärke der Inszenierung besteht weniger im sprachgewaltigen Text Jelineks, als in der Alltäglichkeit der Situation, die insbesondere durch die kurzen Vorspiele vermittelt wird. Durch ganz einfache Mittel wird dem Publikum die Selbstverständlichkeit aufgezeigt, mit der wir diesen Situationen im Alltag begegnen, womit wir die ungerechten Machtverhältnisse durch unsere täglichen Handlungen stützen. Prechsl versucht nicht die komplexen Debatten des feministischen Diskurses aufzugreifen, sondern stellt die Alltäglichkeit des Diskurses in den Vordergrund. Es ist eine klare und deutliche Inszenierung mit einem ganz starken Schluss – und so wenig, wie die Aufführung mit dem ersten Auftritt begonnen hat, endet sie mit dem Applaus. Was bleibt, ist der erneute Gang über die Bühne, bei dem das wartende Publikum von perfekt ausgerichteten Spiegeln mit sich selbst konfrontiert wird.