Leif Randt ist in der Gegenwart angekommen und zeichnet das Bild seines gut situierten, weißen Milieus nach. Eine Liebesgeschichte inklusive Emoticons und gemieteten Teslawagen nimmt den*die Leser*in mit in die vermeintlich perfekte Welt von Tanja und Jerome.
Von Lisa Marie Müller
Bild: Via Pixabay, Pixabay Lizenz
Nachdem Schimmernder Dunst über CobyCounty von Leif Randt zu einem Geheimtipp avancierte und unter anderem Einzug in ein Seminar zur deutschen (dystopischen) Gegenwartsliteratur fand, waren die Erwartungen an den neusten Roman von Leif Randt nicht gerade niedrig. Die Nominierung Allegro Pastells für den Preis der Leipziger Buchmesse tat ihr Übriges.
Der Roman erzählt vom Webdesigner Jerome Daimler und der Autorin Tanja Arnheim, die eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Frankfurt führen. Ständiges Thema ist die Überbrückung der Distanz via Shortmessage, Telegram-Nachricht oder Mail. Die Figuren formulieren ihre Nachrichten in Gedanken vor, wägen ab, ob sie ein Video machen sollten, und denken dabei immer die Rezeption des Gegenübers mit. Sie schätzen im Vorhinein ab, ob die jeweils andere Person das Ironielevel richtig zu deuten weiß und beispielsweise ein Foto von Welpen in Lissabon witzig finden könnte. Oft bleibt der Eindruck, dass es sich nicht um ernsthafte Kommunikation handelt, sondern um das ironische Nachspielen kommunikativer Akte ihres Milieus.
Alles in Ordnung
Ihre Beziehung verläuft dabei auf Augenhöhe. So werden die Kapitel abwechselnd aus Tanjas und Jeromes Perspektive über den Zeitraum von Frühjahr 2018 bis Spätsommer 2019 erzählt. Es wird deutlich, wie sie denken, besonders übereinander und über sich selbst. Sie klassifizieren Aussagen der anderen Person meist zu einem bestimmten Prozentsatz als passend. Ihre bisherigen Biografien waren jeweils sehr in Ordnung, sie haben gute Verhältnisse zu ihren Eltern, ein entspanntes soziales Umfeld und verdienen genug, um regelmäßig essen zu gehen oder mal spontan einen Flug ins europäische Ausland buchen zu können. Einzig die depressive Schwester Tanjas, Sarah, birgt Gefahrenpotenzial für die mentale Ausgeglichenheit der Charaktere.
Ihr Beziehungsstatus hängt eng damit zusammen, wie leicht es ihnen fällt, eine Nachricht an die andere Person zu formulieren:
Aber auch wie andere schreiben, wird ständig registriert und von Tanja beispielsweise wie folgt bewertet: »Eigentlich hatten alle Menschen, mit denen sie kommunizierte, einen souveränen Ton in ihren Nachrichten entwickelt.«
So und so ähnlich betrachten sie sich selbst und ihre Emotionen von außen, aus einer Distanz. Das zieht sich durch den ganzen Roman: Es wird dauerhaft über sich und die eigene Wirkung reflektiert, die Außenperspektive ist ständig mitgedacht. Das drückt sich zum Beispiel in einem Faible für gefälschte Markenprodukte aus, das Tanja mit Jerome teilt (bzw. zu 100% nachvollzieht): »Auch sie mochte den Charme gut gefälschter Luxusprodukte. Die irritierten Blicke der Leute, die glaubten, dass man allen Ernstes so viel Geld für Kleidung oder Accessoires ausgab, deckten sich mit den irritierten Blicken der Leute, die fachkundig erkannten, dass man eine dreiste Fälschung trug.«
Emotionale Distanz durch allgegenwärtige Ironie
Es scheint alles perfekt, die Lebensumstände, die Familien, Arbeitsaufträge genauso wie soziale Beziehungen. Damit erinnert der Roman sehr an Schimmernder Dunst über CobyCounty, einen der ersten Romane Autors, der bereits 2011 erschienen ist. Auch der Protagonist dieses Romans reflektiert über seine Gefühlszustände mit einer Distanz, die tatsächliche Gefühle unmöglich zu machen scheint. Sein sehr angenehmes Leben verändert sich plötzlich durch (für ihn) unvorhersehbare Trennungen auf beruflicher, freundschaftlicher und romantischer Ebene. Dabei reflektiert er alles direkt und bringt die Lebensabschnitte abschließend fein säuberlich in Word-Dateien unter.
Leif Randt
Allegro Pastell
Kiepenheuer & Witsch: Köln 2020
288 Seiten, 22,00€
Auch bei Allegro Pastell gilt: Die gut laufenden Beziehungen bekommen sehr unvermittelt Risse, ausgelöst durch eine leichte Verstimmung Tanjas nach ihrem 30. Geburtstag, den sie und Jerome sehr unterschiedlich wahrnehmen. Obwohl ihre Beziehung und die Textnachrichten immer so weiterwabern könnten, kommt es doch zu einer existenziellen Herausforderung. Längere Zeiten bis zur nächsten Antwort lassen die Kluft, die sich zwischen ihnen auftut, erahnen. Wieder greift Leif Randt zu einer Textdatei, die Tanja über Jerome füllt. Die Charaktere haben einen Zugang zu ihren Emotionen über eine Metaebene: Anhand des Schreibens von Nachrichten und dem spontanen Zusammenfassen in Worddateien merken die Protagonist*innen erst, wie es ihnen eigentlich geht.
Randt hat versucht, einen Roman zu schaffen, in dem sich Leute eines gut aufgestellten Milieus wiederfinden können. Das funktioniert, gerade wenn man einen ähnlichen Zugang zu digitaler Kommunikation und ästhetischen Fragestellungen hat wie er. Dann fühlt man sich immer wieder ertappt beim Nachvollziehen der Gedankengänge und Textnachrichten. So bietet der Roman einen ungeschönten Einblick in das Lebensgefühl einer Generation, die vor allem über Kurznachrichten kommuniziert. Während der Lektüre beginnt man, selbst absurde Smileys in den Nachrichten der Figuren zu deuten (Spoiler: Jerome mag das crazy Gespenst). Diese Insider auf Textnachrichtenbasis dürften viele aus ihrer privaten Messengerkommunikation wiedererkennen.
Alles ist schlüssig, und alles ist lebensnah. Und dabei greift die Sprache durch Beschreibungen von E-Scooter-Fahrten und dem Drang, sich dabei zu filmen, die Ästhetik der späten 2010er Jahre perfekt auf. Die Geschichte ist für Randts Milieu so authentisch, dass man nie sicher sein kann, was ironisch oder tatsächlich ernst gemeint ist. Das gilt für die Kommunikation auf Figurenebene ebenso wie auf den Text insgesamt auf Rezipient*innenebene.
Kein politisches Bewusstsein?
Etwas schade ist die elitäre Grundhaltung, die Leif Randt durch das akademische Setting und die vielen Selbstverständlichkeiten (der regelmäßig gemietete Tesla-Wagen, spontan gebuchte Flüge nach Lissabon) seiner Figuren vermittelt. Damit fühlen sich vermutlich eher Leser*innen angesprochen, die seinen privilegierten Figuren mindestens teilweise entsprechen: weiß, hetero, gutverdienend, aus einer funktionierenden Familie kommend und mitten im Leben stehend.
Aus dieser Blase sticht nur Tanjas Schwester Sarah hervor. Die kommt allerdings sehr selten selbst zu Wort und fungiert hauptsächlich als psychisch labiler Sidekick. Tanja nimmt sie nicht ernst und nutzt sie und ihre labile Psyche als Stoff für ihren neuen Roman. Melden tut sie sich in berechenbaren Zeitabständen bei ihr, um so etwas wie eine familiäre Pflicht zu erfüllen. Darin spiegelt sich das funktionierende Verdrängen von möglichen Problemen wider. Eine ernsthafte Auseinandersetzung erfolgt nicht auf persönlicher Ebene, sondern nur mit Distanz, hier in der Verarbeitung der Schwester als Romanfigur.
Auch bei den immer wieder angestoßenen Themen Politik und Sex bleibt der Roman noch mehr an der Oberfläche als sowieso schon. Theoretisch haben die Figuren das Wissen und die Toleranzfähigkeit für einen reflektierten Umgang mit beidem. Sexpartys scheinen dazuzugehören, wirken aber in dem beschriebenen Milieu unglaubwürdig. Antideutsche Haltungen werden erwähnt, in drei Sätzen erklärt, dann aber ohne ehrliches Interesse abgetan. Jerome macht sich Gedanken über eine Umstrukturierung der Arbeitsverteilung, es klingt jedoch eher wie eine unbedarfte Äußerung um eloquent zu wirken. Später wird dieser Eindruck durch die Diegese bestätigt: Er will mit dem Gedanken Tanja beeindrucken und keine wirkliche Änderung des Systems diskutieren. Tanja gibt sich politisch noch flexibler: Bei einer Entscheidung für eine politische Richtung hätte sie Angst, dass »ihre Fähigkeit, ergebnisoffen Geschichte zu schreiben, zwangsläufig ersticken würde«.
Der Schein des Perfekten wird von Allegro Pastell auch auf materieller Ebene aufgegriffen. Hat man das Buch in der Hand, schockt der erste Eindruck durch den glitzernd-glänzenden Einband: Die Haptik des Buches ist angenehm und greift das durchweg positive Lebensgefühl auf, das die beiden Hauptfiguren vermitteln. Auf der Vorder- und der Rückseite befindet sich auf gleicher Höhe ein durch ein Sechseck gerahmtes Bild von Straßenlaternen im Nebeldunst. Es wirkt, als wäre es mit dem Rio-Filter von Instagram bearbeitet. Das Bild ist jeweils gespiegelt abgebildet. Spiegel ist ein gutes Stichwort: Selten ertappt ein Roman seine Leser*innen so nachhaltig. Das ist nicht unbedingt angenehm, aber eine bemerkenswerte Leistung ist es dennoch. Die Illusion der eigenen Individualität wird einem darin gekonnt vorgeführt.