Die Bühne des Münchener Resi kommt als beeindruckende, achtarmige Krake daher und spiegelt so die Geldgier der Bewohner von Roulettenburg wider. Die Gier nach einem Aktualitätsbezug von Dostojewskis Der Spieler bleibt jedoch unbefriedigt.
Von Anika Tasche aus München
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Anhand eines Theaterbesuchs ein Urteil über ein Haus zu fällen, wäre unangemessen. Anhand einer Romandramatisierung die Reihe von Adaptionen zu bewerten, wäre ebenfalls unangemessen. Das waren zwei gute Gründe, mich wieder auf den Weg ins Resi zu machen. Die letzte Dostojeweski-Inszenierung am Volkstheater war eher enttäuschend und da ich zufälligerweise neben Die Dämonen einen weiteren Dostojewski noch nicht gelesen habe und sich das Resi gerade Dostes Der Spieler für seine Produktion ausgesucht hatte, passte alles wie ein Puzzle zusammen.
Offenbar kommt das Resi an einem Samstagabend anders daher als das Resi an einem Mittwochabend. Auch wenn bereits beim ersten Besuch auffiel, dass die Leute weitaus eleganter als in Göttingen gekleidet waren, so waren an diesem Abend noch einmal deutlich mehr Anzugträger unter den Zuschauern auszumachen. Der Herr, der vor mir in der Reihe Platz nahm, bekam von seiner Partnerin sogar noch das Opernglas gereicht, dann konnte die Inszenierung beginnen.
Roulettenburg als geldgierige Krake
Bei der Produktion des Resis von Samuel Becketts Das Endspiel war das Bühnenbild überaus minimalistisch gehalten. Nun, beim Spieler, hat der Bühnenbildner Harald B. Thor sich einiges einfallen lassen, um den Handlungsort Roulettenburg zum Leben zu erwecken. Beeindruckend erstreckte sich auf der Bühne eine wahre Roulettenburg, deren Dreh- und Angelpunkt der Casinotisch war. Dieser zog den Spieler Alexej immer wieder magisch an. Von diesem, auf einem Stahlkonstrukt erbauten Casino ragten diverse kleine Bühnen wie die Arme einer Krake. Zu betreten waren sie alle über kleine Stege, die immer wieder an den magischen Tisch führten. Unter dem imposanten Bau aus Stahl und Holz befanden sich jede Menge Müll, Plastikflaschen oder auch Einkaufstüten, eben alles, was nach dem Gebrauch meist die Umwelt verschmutzt. Und wie ein Rouletterad steht auch die Bühne niemals still, sondern dreht sich permanent, sodass die Schauspieler*innen andauernd von einem Bühnenteil auf das nächste laufen müssen.
Der Beginn des Stückes fand jedoch nicht auf dem eindrucksvollen Zentrum der Bühne statt, sondern auf der Vorderbühne, wo Regisseur Andreas Kriegenburg sechs Mikrofone platziert hatte. Im Verlauf des Abends wurden diese von unterschiedlichen Schauspieler*innen genutzt, die als Erzähler*innen Passagen der Handlung darboten. Am Anfang stand eine A-Cappella-Einlage zum Thema ›Geld‹. Denn Geld, so erklang das Credo, bedeute Macht. Und damit wurde auch gleich auf den Grundkonflikt Des Spielers hingewiesen: Er hat eben kein Geld. Alexej Iwanowitsch besitzt – wie so viele von Dostojewskis Helden – lediglich eine Anstellung als Hauslehrer und diese war damals nicht sonderlich gut vergütet. Da Geld aber Macht bedeutet und Alexej diese Macht gerne hätte, um das Herz seiner Angebeteten namens Polina zu erobern, beginnt er Roulette zu spielen. Und wie das bei so einem Glücksspiel eben ist, folgt auf die Glückssträhne auch mal eine Pechsträhne, bevor man dann doch wieder auf das große Glück hoffen kann. Sein Chef, der General, hat sein Geld bereits verspielt und hofft auf das Erbe der Großtante. Doch anstatt zu sterben, kommt auch sie nach Roulettenburg und verspielt im Nu ihren gesamten Reichtum. Auch der ›Franzmann‹ Marquise des Grieux und der Engländer Astley sind ständig in Lauerstimmung nach Frauen und Geld. Und nachdem die Geliebte des Generals, Mademoiselle Blanche, diverse Male ihr Outfit auf der Bühne gewechselt hat, zeigt auch sie ihr wahres Gesicht, das von Geldgier geprägt ist. Ein Sammelsurium an verkommenen Charakteren.
Ein Spiel ohne Gewinn
Reihe
Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, bleibt sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.
Während jedoch das Roulettespiel bei den Protagonisten für einiges an Spannung sorgte, so zeigte sich der Theaterabend eher von seiner weniger spannenden Seite. Die narrative Ebene, die Kriegenburg in das Stück integrierte, ließ den Eindruck einer Nacherzählung entstehen. Immer wieder traten einzelne Schaupieler*innen an die Rampe und erzählten ganze Textpassagen nach. Dies wiederum führte zu wenig interpretatorischem Spielraum, den Romandramatisierungen und auch Dramentexte selbst doch bieten können. Die Figuren kamen als überzogene Stereotype daher, was zwar den einen oder anderen Lacher hervorrief, jedoch größtenteils platt erschien. Hintergedanke war vermutlich, durch die unterschiedlichen Nationen auf das gegenwärtige Europa hinzuweisen, dass dank Brexit nun ebenso heruntergekommen wie Roulettenburg scheint. Dieser Funke verglomm allerdings schnell. Davon abgesehen war die schauspielerische Leistung jedoch durchweg bemerkenswert.
Allein, dass Thomas Lettow sich diesen Wall an Text merken konnte, versinnbildlichte das Talent auf der einen Seite und das Problem der Inszenierung auf der anderen Seite. Das permanente Herumlaufen der Schauspieler*innen von einem Bühnenteil zum nächsten sorgte für viel Bewegung auf der Bühne, diese gepaart mit der Masse an Text machte es allerdings schwer, den einzelnen Gesprächen zu folgen. Einzig, dass Dostojewski diesen Roman unter enormem Zeitdruck schrieb, weil auch er unter Geldnot litt und mit dem Spieler seine eigene Spielsucht aufschrieb, spiegelte diese Schnelligkeit der Inszenierung wider.
Wie schon bei den Dämonen am Volkstheater sind auch hier die Textlastigkeit und die kaum vorhandene Interpretation durch die Regie problematisch. Zwar war beim Spieler die Handlung weitaus verständlicher als bei den Dämonen, doch kann bei beiden Inszenierungen von verschenktem Potential gesprochen werden. Stellt sich nun die Frage, ob es an den Romandramatisierungen liegt, vielleicht sogar insbesondere an Dramatisierungen solcher Mammutromane, oder ob es schlichtweg Zufall war, dass beide Inszenierungen nicht überzeugen konnten. Sicherlich ist es eine Herausforderung, so umfassende Werke zu kürzen und damit einhergehend zu pointieren. Wer allerdings Klassiker von Dostojewski, Tolstoi oder auch Thomas Mann auf die Bühne bringen möchte, der muss sich dieser Herausforderung stellen. Es hilft wohl nur, weitere Romandramatisierungen anzuschauen, um die Frage beantworten zu können. Der Spieler am Resi konnte nicht wirklich überzeugen, wobei Andreas Kriegenburgs Inszenierung auch nicht gänzlich gescheitert ist und es ein netter Theaterabend war. Aber der Vorhang fällt sowieso erst, wenn ich mehr gesehen habe.