Jede:r von uns braucht sie von Zeit zu Zeit: eine warme Umarmung. Tee gibt und hält dieses Versprechen – sei es Früchtetee, grüner oder schwarzer. In einem kleinen Beutelchen stecken Momente voller Ruhe und guter Gespräche. Ein Plädoyer für mehr Teetrinken und Pausen im Alltag.
Von Emily Lüter
Bild: Emily Lüter
3 Gramm purer Genuss. 10 Minuten pures Genießen. Die schwarzen, getrockneten Teeblätter färben das heiße Wasser zunächst gelblich, dann tief golden. Ein wohliges Durchatmen – die Augen geschlossen – als sich die verschiedenen Geschmacksnoten auf meiner Zunge ausbreiten. Erst bitter, dann der zitronige Spritzer der Bergamotte und zum Schluss eine leichte Süße (ein bisschen Zucker darf nicht fehlen). Earl Grey Tee ist perfekt abgestimmt und entzückt nicht nur die britischen Geschmacksknospen seit den 1880ern. Der Legende nach ist die beliebte Teesorte durch ein Schiffsunglück entstanden: Bei einem Sturm vermischte sich der aus den Kolonien importierte Tee (ja, die Geschichte des Tees war nicht immer blütenrein) mit Bergamotten-Öl und der Earl Grey ward geboren. Schiffsunglück hin oder her, ich bin jedenfalls sehr dankbar für meinen Earl Grey und all die anderen Teesorten, die meinen Küchenschrank bewohnen. Ein kleines Beutelchen und so viele Möglichkeiten: Rooibos-Tee für glückliche Momente, indischer Gewürztee für einen guten Morgen, Ingwertee für mutige Tage. Sag mir, welchen Tee du trinkst, und ich verrate dir, wie du dich fühlst. Tee trinken ist eben auch Gemütssache.
Reihe
Nachdem wir in unserer letzten Kolumne geschimpft haben, erklären wir diesmal unsere Liebe. Ob Gegenstände, Orte oder Konzepte – hier verraten ab sofort Litlog-Autor:innen, was sie von ganzem Herzen lieben. Alle Beiträge im Überblick findet ihr hier.
So manche Studierende behaupten ja, sie kämen nicht ohne ihre vier Tassen Kaffee durch den Tag: morgens eine und in den nachts eingelegten Lernmarathons die restlichen drei. Das ist doch eine sehr toxische Beziehung. Diese Abhängigkeit und das Gefühl der Ekstase, gefolgt von einer koffeinlosen Leere. Dieses Schwanken zwischen Liebe und Hass. Kaffee ist stets an deiner Seite, wenn du für einen kurzen Moment dem schwarzen Loch der Erschöpfung entkommen willst. Doch die Tiefphasen folgen aufeinander, wenn die Leistung nach der ersten Tasse nachlässt. Mehr, mehr, mehr! verlangt das Hoch und Tief des Koffeinkonsums. Ein Teebeutel hingegen lässt mich nie im Stich, sei es während der zwei letzten Semesterwochen, in denen mein Kopf vor lauter Pauken raucht, oder an den ruhigen Abenden, wenn ich mich mit einem guten Buch auf dem Sofa fläze. Tee ist beruhigend und treu und warm. Vielleicht nicht ganz so aufregend wie Kaffee, aber brauchen wir nicht alle ein bisschen mehr Beständigkeit?
In der chinesischen Tradition ist das Kochen von Tee eine wahre Kunst. In mehreren Aufgüssen wird zunächst ein minderwertiger Tee produziert, der zum Aufwärmen der Teeschalen verwendet wird. Ein zweiter und dritter Aufguss dienen dem Riechen und Bewundern und erst in einem letzten Schritt dem Trinken. Tee – das ist nicht nur ein mit dem Wasserkocher schnell zubereitetes Heißgetränk. Tee ist eine Lebenseinstellung, ein Festhalten an Tradition und Ruhe. Ich bekenne mich nun ganz ehrlich als Wasserkochernutzerin und ich würde lügen, wenn ich behauptete, regelmäßig eine so aufwendige Zeremonie in meinem studentischen Wohnzimmer zu veranstalten. In weniger hektischen Momenten wird mein Tee aber in einer alten, mit blauen Blumen verzierten Kanne serviert. Mit etwas Milch und Haferkeksen. Very british. Und dann auch gerne mit Freund:innen, die für eine Lernpause vorbeikommen und mit einer Tasse Tee in der Hand den Moment der Ruhe mit guten Gesprächen füllen. In jedem Teebeutel steckt ein Quäntchen dieses Lebensgefühls. Eine wohl verdiente Entschleunigung im Alltag.
»A hug in a mug« heißt es auf Werbeanzeigen oder generischen Pinterest-Bildern. Und doch komme ich nicht umhin, diesem abgenutzten Spruch zuzustimmen. Die Wärme eines Tees ist beruhigend und wohlig, wie eine gute Umarmung. Sie verleitet mich dazu, den Moment zu genießen. Einmal die Augen zu schließen. Und Durchzuatmen. Kaffee schreit: Sei produktiv, sei produktiver, sei am produktivsten. Es heißt ja nicht umsonst auf den Werbetafeln der studentischen Cafés »But first coffee«. Ohne den geht’s nicht, ohne den kann man nicht volle Leistung bringen. Immer Leistung. Mein Tee hingegen lächelt still und leise. Keine aufgeregten Schmetterlinge im Bauch, aber dafür wohlige Wärme.