Ein Abend voller Leben

In der vollbesetzten Sheddachhalle wird Jörg Hartmanns Lesung von Der Lärm des Lebens zu einem Höhepunkt des Literaturherbstes. Gemeinsam mit Margarete von Schwarzkopf nimmt er das Publikum mit auf eine Reise durch seine Familiengeschichte und Theatererlebnisse – humorvoll, tiefgründig, mit spontanen Lachmomenten und simultan übersetzt in Gebärdensprache.

Von Sofia Peslis

Bild: Sofia Peslis

Der Lärm des Lebens ist am Abend des 27. Oktobers nicht nur der Titel der Lesung, sondern auch ein spürbares Erlebnis in der gut gefüllten Sheddachhalle in Göttingen. Inmitten der ungeduldigen Geräuschkulisse eines ausverkauften Saals führt Jörg Hartmann das Publikum mit seiner unverkennbaren, charmanten Ruhrgebietsnote in der Stimme durch die Geschichte seiner Familie und bietet im Dialog mit Margarete von Schwarzkopf eine gelungene Mischung aus humorvollem Vorlesen und tiefgründigem Gespräch. Nur knapp entkam sein Vater, das Kind gehörloser Eltern, der Zwangssterilisation unter den Nationalsozialisten – ein Schicksal, das sich tief in die Familiengeschichte einschreibt und das Leben des bekannten Schauspielers nachhaltig geprägt hat. 

Die Bühne lebt

Schnell wird klar: Hartmanns Bühnenpräsenz ist eines der Highlights des Abends. Mit seiner fesselnden Erzählweise sorgt er von Anfang an für zahlreiche amüsante Momente, die das Publikum zum Lachen bringen. Seine eloquente Ausdrucksweise und humorvolle Leichtigkeit ziehen die Zuhörenden sofort in den Bann der Geschichten seines Lebens und machen deutlich, dass diese Lesung weit über die Fangemeinde des Schauspielers hinaus faszinieren wird. Trotzdem: Seine Rolle als Tatortkommissar aus Dortmund scheint er nicht ganz abschütteln zu können. Bereits in der Anmoderation wird ausgesprochen, was wohl vielen im Publikum durch den Kopf geht: »Jörg Hartmanns Ruf eilt ihm voraus, alle Menschen, die ihn kennen waren sehr bemüht mir zu sagen, dass er nicht so ist wie Kommissar Faber!«

Durch seine Vortragskunst und seine umfangreiche Erfahrung, nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Hörbuchsprecher, erweckt er Szenen aus seinem Buch zum Leben und lässt die ausgewählten Passagen durch seine gekonnte Art des Voice Acting lebendig werden. Der gesamte Austausch mit Moderatorin Margarete von Schwarzkopf ist ein Vergnügen für alle Zuschauenden und sorgt gleich zu Beginn für eine natürliche Lockerheit im Raum. Die beiden duzen sich von Anfang an, was zu einer entspannten Atmosphäre beiträgt und das Publikum sofort mitnimmt. Diese Atmosphäre der Lesung wird durch das einfache Bühnenbild verstärkt: Ohne Tisch sitzen Hartmann und Margarete Schwarzkopf direkt nebeneinander, was den Abend noch intimer wirken lässt und den Austausch zwischen den beiden betont. Der Abend ist von harmonischer Interaktion und einer sympathischen Dynamik zwischen Hartmann und Schwarzkopf geprägt.

Im Dialog mit der Vergangenheit

Neben zahlreichen humorvollen Anekdoten spricht Hartmann auch die persönlichen und emotionale Themen seines Buches an. Besonders die Geschichten seiner gehörlosen Großeltern im Zweiten Weltkrieg und die Demenz seines Vaters werden hierbei mit Respekt und Einfühlungsvermögen behandelt. Die Wertschätzung, die Hartmann diesen familiären Erfahrungen entgegenbringt, ist deutlich spürbar und die Lesung wird in Gebärdensprache übersetzt, was der Veranstaltung einen respektvollen Bezug zur Gehörlosenkultur verleiht. Hinzu kommen die humorvollen Interaktionen mit den Gebärdensprachdolmetschenden, die zusätzlich für ein herzliches Miteinander sorgen und dem Publikum deutlich machen, wie sehr Hartmann die Gebärdensprache schätzt und mit dem Thema verbunden ist.

Ein weiteres zentrales Element seiner Erzählungen ist die Auseinandersetzung mit Heimat und Zugehörigkeit. Hartmann spricht mit Liebe und Nostalgie von seiner Heimat Herdecke im Ruhrgebiet und betont, wie sehr er diese Verbundenheit erst richtig zu schätzen wusste, als er nach längerer Abwesenheit zurückkehrte. Er vermisste den »Menschenschlag«, der ihm so vertraut war, und erinnert sich daran, wie leicht es war, mit den Leuten zu Hause wieder ins Gespräch zu kommen. Diese Reflexion über Heimat und Gemeinschaft verstärkt die emotionale Tiefe des Abends und lässt die Zuhörenden ein weniger mehr in Hartmanns persönliche Welt eintauchen.

»Theater ist nicht ersetzbar«

Im Gespräch kommt auch Hartmanns langjährige Theaterkarriere zur Sprache. Besonders amüsant hierbei ist seine Anekdote über eine Theaterübung, bei der er sich ein Mettbrötchen als Brigitte Bardot vorstellen sollte. Als er eine ausführliche Passage aus dem Buch vorliest, in der er die absurde Aufgabe schildert, muss das Publikum schmunzeln. Mit schauspielerischer Präzision und lebhafter Mimik malt er die Situation bildlich aus, sodass das Publikum förmlich spüren kann, wie schwer es ihm fiel, dieses Mettbrötchen mit Brigitte Bardot gleichzusetzen und eine schöne Frau in einem zerhackten Fleischbrötchen zu sehen.

Auf die Frage dann, in welcher Kunstform er sich am wohlsten fühle – Theater, Film oder Schreiben, es habe ja alles etwas mit Sprache zu tun – antwortet Hartmann: »Ich kann es nicht bewerten – wenn es so wäre, würde ich nur eins machen!«. Er betont, dass jede Form seine Reize und Vorteile hat, doch dass das Theater für ihn einen besonderen Platz einnimmt. »Das Theater ist nicht ersetzbar«, erklärt er, und beschreibt den direkten Kontakt zum Publikum als eine Erfahrung, die er auf keine andere Weise so intensiv erleben könne. Besonders während der Pandemie sei ihm die Bedeutung dieser Nähe und Interaktion noch einmal eindringlich bewusst geworden. Die Pandemie und ihre Folgen kämen auch in Der Lärm des Lebens zur Sprache – aber man brauche sich nicht zu sorgen, es sei nicht noch so ein »Corona-Buch«, da das Thema nur kurz angerissen wird.

Insgesamt schafft Jörg Hartmann es, das Publikum mit Humor und Tiefgang zu begeistern, und bietet mit der Lesung am 27. Oktober eine äußerst gelungene Veranstaltung des diesjährigen Literaturherbstes, der nur einen Tag später zu Ende ging. Am Ende des Abends hatten die Besuchenden noch die Möglichkeit, sich ihre Bücher persönlich signieren zu lassen – ein perfekter Abschluss, vor allem für jene, die sich vielleicht doch zu den Fans des vielseitigen Schauspielers zählen.

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