»Die Wahrheit ist ein Haus mit vielen Räumen«

Viele kennen Monika Peetz als Autorin der Roman-Reihe Die Dienstagsfrauen. Nun erzählt die erfolgreiche Schriftstellerin und Drehbuchautorin in ihrem Roman Sommerschwestern von einer Familie, deren Mitglieder nicht unterschiedlicher sein könnten. So begleiten die Lesenden vier Schwestern auf eine aus dem Alltag gegriffene Geschichte zu einem mysteriösen Familientreffen, bei dem die Wahrheit im Feriendorf ihrer Kindheit vergraben zu sein scheint.

Von Sofia Peslis

Bild: Via Pixabay, CC0

In Monika Peetz’ neuem Roman Sommerschwestern geht es vor allem um eins: Geheimisse. Von denen hat die Familie der Thalbergs mehr als genug zu bieten. Besonders Mutter Henriette nimmt die Lebensweisheit »Jeder Mensch hat ein Recht auf Geheimnisse« sehr ernst, als sie spontan ihre vier Töchter Yella, Hellen, Amelie und Doro zum Familienurlaub in das holländische Bergen einlädt. Und so stellt sich den Schwestern, die alle ihre eigenen Sorgen und Probleme im Gepäck haben, die Frage, warum die Mutter sie so kurzfristig nach Holland zitiert.

Ein Ort der Vergangenheit und Aufarbeitung  

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Monika Peetz
Sommerschwestern

KiWi: Köln 2022
304 Seiten, 16,00€

Wäre das überrumpelnde Zusammentreffen der Familie nicht schon Stress genug, so bringt der Treffpunkt, den Mutter Henriette für die Familienzusammenführung ausgewählt hat, die vier Geschwister schon vor der Abreise ins Wanken. Denn in Bergen verbrachte das Quartett schon damals die schönsten Sommerurlaube seines Lebens. Verzaubernd beschreibt Peetz das holländische Küstenörtchen, dessen urige Geschäfte, bunte Tulpenfelder und windige Dünen wie aus einem Gemälde entsprungen zu sein scheinen. Bis der tödliche Unfall des Vaters die heile Welt der Familie vor zwanzig Jahren zerriss.

Eine überstürzte Hochzeit der Mutter kurz nach dem Tod des Vaters und die Verständnislosigkeit der Töchter, die sich immer mehr durch die neue Liebe der Mutter mit der Trauer allein gelassen fühlten, führten zur Spaltung der Familie. Mit gemischten Gefühlen und doch unterschwelliger Neugier brechen die Schwestern auf in eine Reise in die Vergangenheit.

Nicht zu vernachlässigen ist auch die Aktualität des Romans, da er in einer Welt mit Corona-Pandemie spielt. Wobei diese in der Geschichte schon längst überstanden ist – was den Lesenden doch eine erfrischende Hoffnung auf Familientreffen und Urlaub ohne Sorgen gibt.  

Die Sommerschwestern

Die Charaktere der Schwestern könnten unterschiedlicher nicht sein und damit macht Peetz gleich eins klar: Streit ist vorprogrammiert. Allein in Bergen schienen die vier damals glücklich zu sein. Mit Humor stellt eine der Schwestern fest: »Wir sind eben für den Alltag nicht gemacht. Wir sind Sommerschwestern.« Wobei der Name allen so gut gefällt, dass sie gleich ihre WhatsApp-Gruppe danach benennen.

Indem die Autorin gekonnt zwischen den Erzählperspektiven der Schwestern wechselt, gelingt es ihr, den Lesenden einen Einblick in die Gefühle der vier unterschiedlichen Persönlichkeiten zu geben. Durch die Kürze des Buches kann es aber auch schnell einmal zur Informationsüberflutung kommen, wenn die Geschichte von vier Schwestern in nur 304 Seiten untergebracht wird.  Die Hauptrolle nimmt hierbei die 33-jährige Yella ein, die vergeblich versucht, ihr eigenes Leben vor der launenhaften Henriette zu rechtfertigen und oft kläglich dabei scheitert. Ein vergangener Streit, in den auch ihr Ehemann David involviert war, führt dazu, dass die Tochter zum Zeitpunkt des Treffens schon Monate nicht mehr mit der Mutter gesprochen hatte. Die meisten Partner der Schwestern scheinen für Henriette Thalberg von jeher ein Fremdkörper in ihrer perfekten Welt zu sein. David kontert daraufhin nur zu gerne mit seiner selbstdiagnostizierten »Schwiegermutter-Allergie« und ist damit der Einzige, der sich weigert, beim Familientreffen gute Miene zum bösen Spiel zu machen – indem er gar nicht erst mitkommt. Und dann gibt es noch die beiden Zwillinge Amelie und Helen, die sich nicht nur optisch, sondern auch charakterlich meilenweit voneinander weg einordnen: verträumte Mädchenwelt die eine, nüchterne Realität die andere. Allein Doro, Kostümbildnerin und die Älteste im Gespann, scheint unter der Gnade von Mutter Henriette zu stehen und auch in einige Geheimisse dieser eingeweiht zu sein.

Alles was wir sehen ist eine Perspektive, nicht die Wahrheit

Zusammen erscheinen sie wie eine geballte Ladung Chaos. Doch das lose Band, das die vier verbindet, wird durch die gemeinsamen Kindheitserinnerungen nach und nach etwas enger.  Gefühlvoll und realitätsnah beschreibt Peetz dann die überrollenden Ereignisse, denen sich Yella, Hellen, Amelie und Doro stellen müssen. Nicht lange dauert es, bis Mutter Henriette verkündet, was es mit dem Familientreffen auf sich hat, was jedoch statt Antworten noch mehr Fragen für die Schwestern aufwirft. Fragen, die besonders Yella versucht zu beantworten. Doch immer mehr Geheimnisse kommen ans Licht und eine nicht aufzuhaltende Reihe an schmerzvollen Ereignissen wird ausgelöst, mit denen die Schwestern konfrontiert werden, wobei der Vater wie ein Geist über der Familie schwebt. Verständlich wird es erst gegen Ende des Buches: Der Tod des Vaters hat die gesamte Familie gespalten – und erst jetzt geben alle zu, dass er immer noch fehlt. Der spontane Urlaub scheint ihnen dabei zu dienen, sich selbst, aber auch sich gegenseitig wiederzufinden.

Denn der Roman macht deutlich, dass der sturköpfigen Familie besonders Einfühlsamkeit fehlt. Leicht humoristisch schafft Peetz dies zum Ende des Buches festzuhalten, als Yella über die sonderbaren letzten Urlaubstage nachdenkt und sie Revue passieren lässt:

Die Wahrheit ist ein Haus mit vielen Räumen. Sie und ihre Mutter bewohnten unterschiedliche Flügel.

Zusammenfassend ist Monika Peetz’ Roman Sommerschestern eine schnelle Lektüre für Herz und Seele. Peetz zeigt mit ihm nämlich vor allem eins: Dass man die Entscheidungen und Sichtweisen der Menschen, die einem wichtig sind, nicht immer verstehen muss; man sollte sie nur so lieben und akzeptieren, wie sie sind. Der Rest kommt dann von ganz allein.

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